1. Startseite
  2. Politik

Flucht vor Moskaus Militär: Viele Russen wollen nicht in den Krieg ziehen

Erstellt:

Von: Pitt v. Bebenburg

Kommentare

Im September 2022 ergreifen viele Russinnen und Russen die Flucht nach Finnland.
Im September 2022 ergreifen viele Russinnen und Russen die Flucht nach Finnland. © ALESSANDRO RAMPAZZO / AFP

Viele Russen wollen nicht in der Ukraine kämpfen. In Deutschland erhalten die Deserteure nicht genügend Schutz, kritisieren nun Menschenrechtsorganisationen.

Moskau – Russische Deserteure, die sich an Putins Krieg nicht beteiligen wollen, erhalten im Regelfall in Deutschland Schutz. Das betrifft jedenfalls diejenigen, die schon beim Militär waren oder ihre Einberufung erhalten haben. Für andere Männer im wehrfähigen Alter, die aus guten Gründen eine Einberufung in Russland befürchten, gilt das jedoch nicht.

Das zeigt ein Fall, auf den die Organisationen Connection und Pro Asyl jetzt hingewiesen haben. Sie fordern, dass auch solche „Militärdienstentzieher“ vor der zwangsweisen Rückkehr nach Russland geschützt werden müssten.

Flucht aus Russland: Bei Rückkehr droht der Militärdienst

Die Staaten der Europäischen Union müssten „Lösungen für die große Zahl der Militärdienstentzieher“ finden, sagt Connection-Geschäftsführer Rudi Friedrich. „Denn wenn sie nach Russland zurückkehren müssen, sind sie einer Rekrutierung für einen völkerrechtswidrigen Krieg unterworfen.“

Nach Angaben der Organisationen war der Asylantrag eines Russen, der sich einer möglichen Rekrutierung entzogen habe, im Januar 2023 abgelehnt worden. Zur Begründung habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) angegeben, es sei „nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller gegen seinen Willen zwangsweise zu den Streitkräften eingezogen würde“.

Auch die Asylanträge aus Russland steigen. Quelle: BAMF/FR.
Auch die Asylanträge aus Russland steigen. Quelle: BAMF/FR. © Quelle: BAMF/FR

Flucht aus Russland: BAMF sieht keine Hinweise auf weitere Mobilsierung

Das Bamf argumentiert dem Bescheid zufolge mit dem Alter des Schutzsuchenden, der über 40 Jahre alt ist, und verweist auf das russische Militärdienstgesetz, das lediglich die Einberufung der männlichen russischen Staatsbürger von 18 bis 27 Jahren vorsehe. Es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Russland für den Krieg gegen die Ukraine weitere Jahrgänge einziehen werde, behauptet das Bamf laut Connection in der Begründung. Eine solche Mobilmachung werde „auch sonst für unwahrscheinlich gehalten, insbesondere, da sie nicht mit dem russischen Narrativ einer nach Plan verlaufenden, begrenzten ‚Spezialoperation‘ zu vereinbaren und innenpolitisch kaum zu vermitteln wäre“.

Dem widerspricht Rudi Friedrich. Schon im Mai habe die russische Duma ein Gesetz verabschiedet, das die Einberufung von Männern bis zu 65 Jahren ermögliche. Während einer Teilmobilmachung im September und Oktober 2022 habe es Razzien und Straßenkontrollen gegeben, um Männer zu rekrutieren. So hätten Polizeibeamte in Sankt Petersburg die Ausgänge von Wohngebäuden blockiert und Vorladungen verteilt. Das gehe etwa aus einer Expertise hervor, die der Internationale Versöhnungsbund für die Vereinten Nationen angefertigt habe.

Flucht aus Russland: Zahl der Asylbegehren in Deutschland steigt

Das Bundesamt versichert, dass die Lageeinschätzung stets aktualisiert werde, gerade mit Blick auf die Entwicklung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. „Die Prüfung der Entscheidungspraxis durch das Bamf zu russischen Kriegsdienstverweigerern dauert noch an und soll möglichst zeitnah abgeschlossen werden“, teilte die Behörde auf Anfrage der FR mit. Gleichwohl werde in jedem Einzelfall geprüft, ob individuelle Verfolgungsgründe und damit ein Schutzanspruch vorlägen.

Die Zahl der Asylbegehren von Russinnen und Russen in Deutschland ist seit Kriegsbeginn kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2022 stellten nach Angaben des Bamf insgesamt gut 2800 Menschen einen solchen Antrag, allein im Januar 2023 waren es bereits mehr als 700. Wie viele von ihnen Kriegsdienstverweigerer oder Militärdienstentzieher sind, ist nicht bekannt. Connection schätzt deren Zahl auf rund 600 im Jahr 2022.

Gemeinsam mit Pro Asyl fordert Connection nicht nur die Berücksichtigung der Militärdienst-entziehung im Asylverfahren. Die Organisationen verlangen darüber hinaus humanitäre Visa, damit solche Menschen die Staaten der Europäischen Union überhaupt erreichen können, und ein EU-weites Aufnahmeprogramm, „damit diejenigen russischen Staatsbürger:innen, die sich unter großem Risiko von der Regierung ihres Landes abgewandt haben, Möglichkeiten der Ausbildung und Beschäftigung erhalten“. (Pitt von Bebenburg)

Auch interessant

Kommentare