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Einigung im Brexit-Streit in Sicht: Sunak will’s in Belfast wagen

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Von: Sebastian Borger

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Der britische Premier Rishi Sunak strebt eine Lösung für Nordirland an. Führt das zu einer Entspannung im Brexit-Streit zwischen London und Brüssel?

Belfast - Mit einem Besuch in Belfast hat Rishi Sunak das größte Wagnis seiner politischen Karriere eingeleitet. Den Vorsitzenden sämtlicher wichtiger Parteien Nordirlands präsentierte der britische Premierminister am Freitag die Grundzüge einer neuen Vereinbarung mit der EU über den Status des britischen Teils der grünen Insel. In Gesprächen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und anderen wichtigen Protagonist:innen der Brüsseler Gemeinschaft soll übers Wochenende am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz der Deal festgeklopft werden. Bis dahin gebe es „noch ein Stück harte Arbeit“, prophezeite Naomi Long von der liberalen Alliance-Partei.

Wenige Wochen vor dem 25. Jahrestag des Karfreitagsabkommens über den Frieden in Nordirland wollen London und Brüssel einen Streit beenden, der am Tag des EU-Austritts der Brexit-Insel vor drei Jahren begann. Er dreht sich um die Anwendung des sogenannten Nordirland-Protokolls, das Teil des Austrittsvertrages war. Das Ziel: Die Landgrenze zur Republik im Süden offenhalten, wie von der katholisch-nationalistischen Bevölkerung gefordert, und gleichzeitig die Integrität des Binnenmarkts gewährleisten. Deshalb wurden zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel Zoll- und Einfuhrkontrollen fällig, was die königstreu-protestantischen Unionisten verärgert.

Brexit: 56 Prozent der Nordir:innen wollten in der EU bleiben

EU-Chefverhandler Maroš Šefcovic hat die zunächst allzu kleinlichen Checks nun aufs Mindestmaß verringert. Zukünftig soll es für die Wareneinfuhr nach Nordirland zwei Wege geben: Was für den Verbrauch im britischen Nordosten Irlands gedacht ist, wird nur noch in Sonderfällen kontrolliert. Hingegen bleibt es bei den Kontrollen für Waren, die in die irische Republik und damit in den EU-Binnenmarkt weitergeleitet werden. Zeitnaher Datenaustausch zwischen britischen und europäischen Behörden soll vor allem bewährten und als integer eingestuften Handelstreibenden das Leben erleichtern.

Als offen war, wer Premier wird, malte Künstler C. Gallagher Rishi Sunak an eine Wand in Belfast. Steht jetzt dessen nächster Sieg an? (PS: Die Person rechts ist Geschichte)
Als offen war, wer Premier wird, malte Künstler C. Gallagher Rishi Sunak an eine Wand in Belfast. Steht jetzt dessen nächster Sieg an? (PS: Die Person rechts ist Geschichte) © afp

Umstritten bleibt das Ausmaß der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der über die Binnenmarkt-Regeln wacht. Diese Einschränkung britischer Souveränität kränkt die Puristen von der unionistischen DUP, die als einzige größere Partei in Nordirland 2016 den Brexit befürwortete und damit eine Minderheitsposition einnahm – 56 Prozent der Nordir:innen wollten in der EU bleiben. Ein skizzierter Kompromiss könnte darin bestehen, dass bei Streitfragen zunächst nordirische Gerichte zuständig sind. Diese könnten dann entscheiden, ob sie die Meinung des EuGH einholen wollen.

Ob das der DUP reicht? Es gebe Fortschritte, sagte DUP-Chef Jeffrey Donaldson am Freitag, aber: „Wir haben den endgültigen Text noch nicht gesehen.“

Großbritannien: Rückzug von Sturgeon verschafft Sunak Rückenwind

Unverhofften Rückenwind erhielt Sunak diese Woche durch eine Nachricht aus einem anderen Teil des Königreichs. Der angekündigte Rücktritt der schottischen Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon holt eine der talentiertesten Politikerinnen des Landes, zudem die eloquenteste Befürworterin der schottischen Unabhängigkeit, vom politischen Schachbrett. Zum Scheitern der 52-Jährigen hat Sunak sein Scherflein beigetragen, indem er gegen Sturgeons umstrittenes Transgender-Gesetz sein Veto einlegte.

Das Vorhaben einer zweiten Volksabstimmung zur Abspaltung von England und Wales ist mit Sturgeons Rückzug nicht vom Tisch. Der Regierungschef hat aber Spielraum gewonnen, nicht zuletzt in der eigenen Partei, die ihren jungen Vorsitzenden misstrauisch beäugt. Im Kampf um einen pragmatischen Kompromiss über Nordirland muss Sunak weniger neue Finten der EU-Verhandelnden fürchten als vielmehr die Brexit-Betonköpfe auf den Fraktionshinterbänken, angeführt von Boris Johnson. Sollte sich der Ex-Premier an die Spitze der Hardliner:innen setzen, die in einer Gruppe namens Europäische Reformgruppe (ERG) agieren, könnte es für Sunak ungemütlich werden.

Sunak Anerkennung als Bewahrer der Einheit Großbritanniens

Allerdings trifft auf den Chaos-Populisten Johnson zu, was auch für dessen heftig agitierenden Ex-Chefverhandler David Frost gilt: Das ursprüngliche Nordirland-Protokoll trägt seine Unterschrift, und sämtliche Hardliner:innen hatten der Vereinbarung im Unterhaus zugestimmt. Vielleicht verstecken sich die ERG-Leute deshalb etwas verschämt hinter der DUP: Sollte sie den Deal ablehnen, sei dieser qua Definition gescheitert, heißt es aus der Gruppe.

Läuft alles nach Plan, will Sunak am Dienstag die neue Vereinbarung vom Kabinett absegnen lassen und dann dem Unterhaus vorlegen. Als Belohnung winkt ihm die Anerkennung als Bewahrer der Einheit des Landes. Für die Brit:innen würde die längst fällige Entspannung gegenüber den nächsten Nachbarn die schlimmsten Brexit-Folgen mildern. Beispielsweise könnte Großbritannien doch noch am Horizon-Wissenschaftsprogramm teilnehmen, was Brüssel bisher blockierte. (Sebastian Borger)

Der britische Premier Sunak sollte das Nordirland-Protokoll nun durchsetzen - auch gegen den Widerstand der königstreuen Unionisten. Der Kommentar.

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