Richter haben "Regierung die Leviten gelesen"

Die Grünen haben mit ihrer Klage vor dem Verfassungsgericht Erfolg. Die Parlamentarische Informationsrechte wurden gestärkt.
Die Bundesregierung hat in mehreren Fällen das Informationsrecht von Parlamentariern verletzt. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag verkündet – und damit ein Grundsatzurteil gesprochen.
Worauf bezog sich die konkrete Klage? Abgeordnete der Grünen-Fraktion hatten im Jahr 2010 mehrere Anfragen an die Koalition aus CDU und FDP gerichtet. Die Abgeordneten wollten wissen, wie oft die Deutsche Bahn zu spät kommt, wo in das Schienennetz investiert werden sollte und für wie wirtschaftlich ein Gutachten das Mega-Bauprojekt Stuttgart 21 befunden hatte. Auch interessierten sie sich dafür, gegen welche Finanzinstitute die Bankenaufsicht Bafin vor der Finanzkrise aufsichtsrechtliche Schritte eingeleitet hatte. Die Anfragen wurden jedoch unvollständig, gar nicht oder nicht öffentlich beantwortet. Grünen-Politiker um den inzwischen aus dem Bundestags ausgeschiedenen Hans-Christian Ströbele klagten dagegen – erfolgreich.
Hat das Urteil weitergehende Folgen? Ja, es gilt sogar als richtungsweisend: Es stellt klar, dass der Staat für das Handeln seiner Unternehmen gerade stehen und darüber Auskunft geben muss. Zudem stärkt es die Abgeordneten in ihrer Kontrollfunktion der Regierung und „führt zu einer Stärkung der parlamentarischen Informationsrechte“, sagt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle.
Auch die Kläger sprachen von einem großen Gewinn für die Demokratie: „Das ist ein hervorragendes Urteil, das in die Lehrbücher eingeht“, sagte Ströbele der FR. Abgeordnete würden bei unliebsamen Fragen bislang oft mit kurzen Antworten abgespeist. Die Erklärung, warum etwas unter Verschluss bleibt, sei meist knapp. An diesem Dienstag, sagt Ströbele, habe das Gericht der Bundesregierung zwei Stunden lang „die Leviten gelesen“.
Wie begründete das Gericht sein Urteil? Die Bundesregierung hatte darauf verwiesen, dass die Deutsche Bahn ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen sei, Angaben über Verspätungen nicht vorlägen. Diese Erklärung ließ das Gericht nicht durchgehen: Als alleinige Besitzerin der Bahn sei die Regierung sowohl verantwortlich für deren Geschäfte als auch auskunftspflichtig über deren Tätigkeiten. Dass die Regierung Fragen zum Stuttgart-21-Gutachten mit dem Hinweis auf die Verschwiegenheit von Wirtschaftsprüfern und eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit der Bahn ablehnte, war ebenfalls nicht rechtens.
Was rügt das Gericht noch? Bei den Anfragen zu Maßnahmen der Bafin gaben die Richter den Klägern ebenfalls Recht: Die Bundesregierung könne bei der Frage, welche Banken während der Finanzkrise von der Bafin überprüft wurden, nicht einfach darauf verweisen kann, dass die Märkte sensibel auf solche Informationen reagierten und damit die Auskunft verweigern.
Das Gericht mahnt: Sollte die Bafin, wie von der Bundesregierung dargelegt, für ihre Arbeit wirklich auf die freiwillige Mitwirkung der Finanzinstitute angewiesen sein, wären Nachbesserungen bei den Rechten der Aufsichtsbehörde notwendig. Es reiche zudem nicht aus, wenn die Regierung darauf verweist, dass über die gestellten Fragen schon geheim berichtet worden sei. Ebenso müsse die Frage, welche der staatlich unterstützten Banken ihren Mitarbeitern hohe Boni zahlte, öffentlich beantwortet werden.
Gilt die Auskunftspflicht uneingeschränkt? Nein. Die Regierung hat auch das Recht, eine Auskunft nur in einem geschützten Raum oder gar nicht zu geben – etwa, wenn Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Dritten oder das Staatswohl berührt sind.
Allerdings betont das Gericht: „Es ist Aufgabe der Bundesregierung, nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grund die angeforderten Informationen geheimhaltungsbedürftig sind und warum sie gegebenenfalls auch noch nach Jahren oder sogar nach Abschluss des betreffenden Vorgangs nicht Gegenstand einer öffentlichen Antwort sein können.“