Reiner Haseloffs unberechenbare PartnerReiner Haseloffs unberechenbare Partner

Sachsen-Anhalt steht nun unter besonderer Beobachtung: Angesichts der Bundestagswahl wird jede mögliche Koalition ein Signal aussendenSachsen-Anhalt steht nun unter besonderer Beobachtung: Angesichts der Bundestagswahl wird jede mögliche Koalition ein Signal aussendenVon Jan Sternberg
Die Elbe fließt auch an diesem schwülen Wahlsonntag breit und ruhig am Magdeburger Domfelsen vorbei. 302 Kilometer lang windet sich Deutschlands schönster Fluss durch Sachsen-Anhalt, länger als durch jedes andere Bundesland. Ähnlich wie die Elbe agiert auch die Politik im Land. Es gibt Wirbel und Unterströmungen, im Großen und Ganzen geht es irgendwie voran. Alle paar Jahre aber wird es wild, die Wasser breiten sich aus, und bis nach Berlin befürchtet man einen Deichbruch.
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) kommt hier die Rolle des Deichgrafen zu, seinen kleinen Koalitionspartnern SPD und Grüne in der Kenia-Koalition eher die ungeliebte der Sandsäcke. Als „Bollwerk gegen Rechts“ sollte das Not-Bündnis agieren. Doch Haseloff musste vor allem stets verhindern, dass seine eigenen Leute den Damm zur AfD sprengen. So zuletzt geschehen im Streit um die Rundfunkgebühren Ende vergangenen Jahres. Haseloff opferte seinen Innenminister und einstigen Kronprinzen Holger Stahlknecht, der sich zum Sprachrohr jener Konservativen gemacht hatte, die gerne mit der AfD schwimmen würden. Mit 67 warf Haseloff sich nun noch einmal in den Landtagswahlkampf – als der beliebteste, aber ehrlich gesagt auch einzige bekannte Politiker im Land.
Haseloffs Ziel: Er wollte nicht weit unter den 30 Prozent landen, die seine Partei vor fünf Jahren eingefahren hatte. Die CDU führte einen Landesvater-Wahlkampf („Wer Haseloff will, muss mit beiden Stimmen CDU wählen“). Das verfing, der Abstand zur AfD war in den meisten aktuellen Umfragen wieder gestiegen.
Zugleich aber war Haseloff anzumerken, wie unwillig, hektisch, ja unsouverän er die Rolle des Zwangs-Favoriten interpretierte. Mal machte er „linke Identitätspolitik“ für die Stärke der AfD verantwortlich. Mal beschwerte er sich öffentlich, dass die zur 10-Prozent-Partei geschrumpfte SPD nicht besser da stand. „Ich kann nicht alleine die Prozente bringen, die die AfD uns abgenommen hat“, klagte Haseloff. Es könne nicht die Aufgabe eines Mannes und einer Partei sein, „das Problem in Sachsen-Anhalt und in Deutschland mit der AfD zu lösen“.
Noch härter klang es beim virtuellen Wahlkampfabschluss der CDU am Samstag: „Wer das Kreuz nicht bei mir und bei uns macht, der schadet Sachsen-Anhalt, so muss man es klar sagen“, dozierte Haseloff. „Unanständig, Herr Ministerpräsident“, erregte sich die SPD auf Twitter.
Das war ungewöhnlich, entstanden doch die Konflikte in der Kenia-Koalition bisher meist zwischen CDU und Grünen. In der vergangenen Woche attackierte CDU-Wirtschaftspolitiker Ulrich Thomas (bundesweit bekannt, seit er in einem Strategiepapier empfahl, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen) die grünen Pläne zur Benzinpreiserhöhung mit voller Wahlkampfschärfe: „Wer so etwas fordert, nimmt keine Rücksicht auf die Menschen. Die Grünen spalten mit ihren Vorstellungen unsere gesamte Gesellschaft.“
Eine Woche zuvor in Magdeburg erhebt die grüne Parteichefin und Kanzlerkandidatin erstmals ihre Forderung nach einer Spritpreiserhöhung um 16 Cent pro Liter. Ein Teilnehmer einer Wahlveranstaltung fragt sie: „Kostet der Liter Benzin mit den Grünen bald drei Euro?“ Nein, wiegelt Baerbock ab, mehr als die bereits durch die CO2-Steuer beschlossenen 16 Cent werden es nicht, und zum Ausgleich gäbe es ein Energiegeld von 75 Euro pro Kopf. Und sie verspricht noch mehr: „Jede Stunde ein Bus in jeden Ort“. Das sei in Sachsen-Anhalt bis auf Weiteres nicht machbar, schränkt gleich Landes-Spitzenkandidatin Conny Lüddemann ein.
Die Grünen taten im Pendlerland Sachsen-Anhalt also viel, um sich selbst auszubremsen. Zugelegt haben sie dennoch. Aber reicht das, um in der Regierung zu bleiben? Haseloff muss sich (mindestens) zwei Partner suchen. Ein neues Bündnis wäre eine Herausforderung. Doch mit jedem Tag, den die Bundestagswahl heranrückt, steigt der Druck, ein für alle akzeptables Bündnis zu schmieden.
Wie groß die Fliehkräfte der Kenia-Koalitionäre sind, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Einflussreiche CDU-Vertreter wie der Parlamentarische Geschäftsführer Markus Kurze, hoffen auf eine „Deutschland-Koalition“ mit der FDP, um die nervenden Grünen in die Opposition zu schicken. Solch ein Bündnis trug die Weimarer Republik, bis die Extreme zu stark wurden. Eine Warnung? Nach dem Krieg war es nur in den 1950er Jahren in einigen Ländern nötig.
Wieder einmal würde Sachsen-Anhalt aus der Not heraus eine neue Regierungsoption erfinden – ähnlich wie das Kenia-Bündnis, das auch in Sachsen (unter CDU-Führung) und Brandenburg (mit einem SPD-Ministerpräsidenten) nachgeahmt wurde.
Einige Grüne wiederum würden nicht nur gerne weiter regieren, sondern sich auch von der SPD trennen, die mit teuren Wahlversprechen angetreten ist.
Die Linke wiederum, nur ein Schatten ihrer selbst, spielt in den Gesprächen keine Rolle. Das Protestpotenzial der Gesellschaft ist, wie bereits 2016, fast vollständig bei der AfD gelandet. Damals waren die 24,3 Prozent bei einer Landtagswahl ein Schock. Dass die AfD sich trotz interner Querelen und mit klar rechtsextremer Politik in dieser Höhe gefestigt hat, wird fast achselzuckend zur Kenntnis genommen. Ihr Spitzenkandidat Oliver Kirchner wünschte sich ein „politisches Beben“, wenn man nun stärkste Kraft würde. Der beharrliche Haseloff hat ihm diesen Triumph genommen.
Zur Erinnerung: Im März, bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, büßte die AfD im Vergleich zu 2016 ein Drittel der Stimmen ein. In Sachsen-Anhalt aber dominierte die Partei die teils schrillen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen, sie ist eng vernetzt mit rechtsextremen Strömungen – und treibt die CDU vor sich her. Diese müsse „durch Schmerz lernen“, sagt Kirchner. Die Deiche würden nicht ewig halten. Und er kann warten.