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„Reichsbürger“: Bewaffnete Gefahr

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Von: Pitt von Bebenburg

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In elf Bundesländern, hier im sächsischen Olbernhau, kommt es am 7. Dezember zeitgleich zu Einsätzen.
In elf Bundesländern, hier im sächsischen Olbernhau, kommt es am 7. Dezember zeitgleich zu Einsätzen. © Imago

Zwei Monate nach der „Reichsbürger“-Razzia gibt die Bundesregierung weitere Details bekannt. Bei den Inhaftierten wurden drei „Feindeslisten“ entdeckt – und Tausende Schuss Munition.

Die Heppenheimer Astrologin Hildegard Leiding hatte einen guten Tipp parat. „Wie heißt es so schön: Man muss das Richtige zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort tun, dann kann nichts schiefgehen“, ist auf der Homepage des von ihr betriebenen Verlags „Weisse Reihe“ in der Vorschau für 2023 zu lesen.

Doch für Hildegard Leiding ist einiges schief gegangen. Das Jahr 2023 hat für sie im Gefängnis begonnen. Die 68-Jährige gehört zu den 25 Personen, die bei einer Großrazzia im Dezember 2022 festgenommen wurden. Sie soll Teil der Verschwörung selbsternannter „Reichsbürger“ sein, die geplant haben sollen, die Bundesregierung wegzuputschen, Widersacher:innen zu töten und die Macht zu übernehmen.

Leiding sitzt ebenso wie die anderen 24 Personen weiter in Untersuchungshaft. Eine Person befindet sich nach Angaben der Bundesanwaltschaft noch in italienischer Haft, ein Auslieferungsgesuch für den ehemaligen Offizier läuft demnach.

Mittlerweile werden 55 Personen beschuldigt

Insgesamt werden mittlerweile 55 Personen in dem Komplex beschuldigt. Nach Informationen der FR sollen mindestens fünf von ihnen ihre Bereitschaft zu einer Aussage bekundet haben. Nun beleuchten Auskünfte der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, die der Frankfurter Rundschau vorliegen, die Pläne der Gruppierung, ihre Verbindungen zu Sicherheitsbehörden und ihre Bewaffnung.

Danach wurden bei der Razzia gegen Angehörige der „Reichsbürger“-Szene drei Feindeslisten aufgefunden. „Auf einer Sammlung sind Namen von hochrangigen Bundes- sowie Landespolitikern aufgeführt. Eine zweite aufgefundene Sammlung enthält Namen und Adressen von Politikern und deren Wahlkreisbüros sowie Namen und Anschriften von Ärzten und deren Praxen“, heißt es in der Antwort der Regierung. Zudem sei eine dritte Datensammlung aufgefunden worden, „in welcher Personen, die im näheren Umkreis des Verfassers wohnhaft waren, in verschiedene ,Gefährlichkeitsstufen‘ eingeteilt“ worden seien.

Laufende Verfahren

Am 7. Dezember 2022 rückten mehr als 3000 Polizist:innen in Deutschland aus, darunter 1500 aus Spezialeinheiten. Bei ihrer Razzia gegen Angehörige der „Reichsbürger“-Szene stürmten sie 162 Wohnungen und Geschäftsräume in elf Bundesländern. Es besteht der Verdacht, dass eine terroristische Gruppe den Staat umstürzen wollte.

55 Beschuldigte hat die Bundesanwaltschaft im Visier, von denen 25 derzeit in Haft sitzen. Das Umfeld ist weit größer. Eine dreistellige Zahl von Menschen soll im Bilde gewesen sein und „Verschwiegenheitserklärungen“ unterzeichnet haben.

Bei der Bundesanwaltschaft sind weitere Verfahren gegen „Reichsbürger“ anhängig. In der vorigen Woche erhob sie Anklage gegen fünf Personen. Sie werden beschuldigt, einen Umsturz und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant zu haben.

Mitte Januar hatte die Bundesanwaltschaft den „Reichsbürger“ Ingo K. angeklagt. Ihm wird versuchter Mord vorgeworfen. K. soll im April 2022 im baden-württembergischen Boxberg mit einem Schnellfeuergewehr auf Polizisten geschossen und dabei zwei Beamte verletzt zu haben.

Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wird seit November 2022 gegen einen „Reichsbürger“ verhandelt, der einen Polizeibeamten bei einer Kontrolle im Kreis Lörrach absichtlich angefahren haben soll. Auch ihm wirft die Bundesanwaltschaft versuchten Mord vor. pit

Nach Medienberichten sollen auf der ersten Liste etwa die Namen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz stehen. Die Regierung gibt jedoch vorsichtig Entwarnung: „Aus den aufgefundenen Datensammlungen lässt sich aktuell keine erhöhte Gefährdung für die betroffenen Personen ableiten.“

Kopf der mutmaßlichen Umstürzlergruppe ist nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden der Frankfurter Immobilienkaufmann Heinrich XIII. Prinz Reuß. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass die Ermittlungen aus einem Berliner Verfahren gegen eine Frau sowie einem Münchner Verfahren gegen drei Personen hervorgegangen seien. In der Gruppe soll es eine Art militärischen Arm gegeben haben, der vor allem aus ehemaligen Bundeswehrsoldaten bestand, darunter mehrere, die früher als Fallschirmjäger oder im Kommando Spezialkräfte gedient hatten.

Das Waffenarsenal wird weiter untersucht

Die Bundesregierung teilt nun mit, unter den „verfahrensrelevanten Personen“ befänden sich sechs ehemalige oder aktive Angehörige der Polizei sowie ein aktiver Bundeswehrangehöriger und weitere 32 Zeuginnen und Zeugen und Beschuldigte „mit unterschiedlich ausgeprägten Bezügen zur Bundeswehr“. Dazu würden auch Bezüge gezählt, „die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen“, also etwa die Ableistung eines Grundwehrdienstes.

Die Beschuldigten verfügten über etliche Waffen. Sichergestellt worden seien 97 Schusswaffen. Allein 55 davon seien „einem gewerblichen Waffenhändler zuzuordnen“. Zudem seien „mindestens 25 462 Schuss“ Munition sichergestellt“ worden. Doch welche Waffen den betreffenden Personen legal gehören und welche illegal waren, vermag die Regierung nicht zu beantworten.

Darüber zeigt sich die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner verwundert. „Es ist völlig unverständlich, warum die Bundesregierung knapp zwei Monate nach der Durchsuchung nicht willens oder nicht in der Lage ist, genaue Angaben dazu zu machen, wie viele illegale Waffen gefunden wurden, ob die legalen Waffen vorschriftsmäßig aufbewahrt wurden oder ob diese überhaupt aufgefunden wurden“, sagte Renner der Frankfurter Rundschau.

Im Dezember hatte das Bundesinnenministerium den Abgeordneten mitgeteilt, es handele sich nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen „bei mindestens zehn sichergestellten/beschlagnahmten Waffen um illegal erlangte Schusswaffen“. Allerdings gebe es dazu noch keine abschließenden Erkenntnisse.

Die Heppenheimer Astrologin Leiding gehört zu den Verdächtigen mit AfD-Bezug. Sie hatte sich der AfD angeschlossen und war 2018 an der Gründung eines Ortsverbands der Partei in ihrer südhessischen Stadt beteiligt. Wenige Tage nach ihrer Festnahme allerdings hat der Landesvorstand der hessischen AfD ihre Mitgliedschaft annulliert, weil sie ihre Nähe zu den „Reichsbürgern“ verschwiegen hatte. „Die Dame ist nie rechtlich Mitglied geworden“, sagte Landesparteichef Robert Lambrou der FR. „Wir wollen mit Reichsbürgern nichts zu tun haben.“

Regierung rechnet nicht alle der rechten Szene zu

Doch manche Personen aus dem „Reichsbürger“-Spektrum sehen das offenbar anders. „Nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen waren zum Zeitpunkt der Exekutivmaßnahmen drei Beschuldigte Mitglieder der AfD“, teilt die Bundesregierung mit. Birgit Malsack-Winkemann, eine Berliner Richterin, saß für die extrem rechte Partei bis 2021 im Deutschen Bundestag. Christian Wendler gehörte der AfD in der sächsischen Stadt Olbernhau an.

Gleichwohl rechnet die Bundesregierung nicht alle Beschuldigten der rechten Szene zu, sondern kategorisiert sie unter „sonstige Zuordnung“. Eine falsche Kategorie, findet die Abgeordnete Renner. Das sei „eine Entpolitisierung und wird offensichtlich dem Gegenstand nicht gerecht“, kommentierte sie.

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