Reichsbürger bei der Polizei: Extremisten im Staatsdienst

Fast alle Bundesländer führen Disziplinarverfahren gegen Extremisten im Staatsdienst. In Bayern gibt es die meisten Verdachtsfälle.
Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik und ihre Behörden nicht an. Doch ausgerechnet diese Menschen, meistens Männer, arbeiten offenbar gerne für genau diese Behörden, insbesondere für die Polizei.
Zahlreiche Bundesländer führten oder führen deswegen Disziplinarverfahren, entfernten Reichsbürger aus dem Beamtenverhältnis oder ergriffen andere Maßnahmen, um sie zu sanktionieren. Am stärksten ist der Freistaat Bayern mit solchen Probleme konfrontiert. Das ergab eine Umfrage der Frankfurter Rundschau unter den Bundesländern.
Größte Reichsbürger-Szene Deutschlands in Bayern
Danach gab es allein unter den Polizisten bundesweit rund zwei Dutzend Fälle, in denen sich ein Reichsbürger-Verdacht bestätigte. Mindestens 15 weitere Verdachtsfälle werden noch geprüft.
Etwa ein Dutzend Verfahren wurde eingestellt. Damit hatte sich der Verdacht aber nicht immer erledigt, sondern es wurde zum Beispiel auf verminderte Schuldfähigkeit entschieden. In dieser Woche war durch eine Anfrage der FR bekannt geworden, dass in Hessen bei drei Personen im Landesdienst der Verdacht besteht, dass sie Reichsbürger sein könnten. Bei zwei weiteren Polizeibeamten, die ebenfalls unter Verdacht standen, habe sich dies nicht bestätigt, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Wiesbaden.
Die größte Reichsbürger-Szene Deutschlands scheint es in Bayern zu geben, wo der Landesverfassungsschutz 4200 Menschen dazuzählt.
Entsprechend meldet das bayerische Innenministerium auch die höchste Zahl an einschlägigen Disziplinarverfahren. Im Zusammenhang mit der Reichsbürgerbewegung seien 18 Disziplinarverfahren gegen bayerische Polizeibeamte und Polizisten im Ruhestand eingeleitet worden, sagte ein Sprecher.
Nur fünf Länder ohne Verdachtsfälle
Acht Verfahren seien mit einer disziplinarrechtlichen oder einer dienstaufsichtsrechtlichen Ahndung abgeschlossen worden. Die noch laufenden zehn Disziplinarverfahren richteten sich gegen fünf aktive Polizeivollzugsbeamte und fünf Ruhestandsbeamte. Die aktiven Polizisten seien alle suspendiert worden.
Ein Beamter sei in erster Instanz aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden, wobei das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Ein weiterer Beamter habe sich „auf eigenen Antrag entlassen lassen“, nachdem das Land Disziplinarklage gegen ihn erhoben habe.
Doch die 18 Verfahren gegen Beamte sind noch nicht alles. Auch einem Tarifbeschäftigten, der der Reichsbürgerbewegung nahe stand, wurde in Bayern gekündigt. Zudem habe das Land die Dienstverhältnisse mit zwei Personen, die bei der Sicherheitswacht tätig gewesen seien, aus diesem Grund sofort beendet.
Nur fünf der 16 Länder gaben in der FR-Umfrage an, dass sie keine Verdachtsfälle von Reichsbürgern in der Polizei gehabt hätten: Bremen, Schleswig-Holstein, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland. In Nordrhein-Westfalen laufen nach Angaben des Innenministeriums vier Disziplinarverfahren wegen des Verdachts „reichsbürgerlicher Aktivitäten“. Zwei der Beamten befänden sich bereits im Ruhestand. Ein aktiver Beamter sei vom Dienst suspendiert. „Die auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichtete Klage gegen den anderen Beamten war nicht erfolgreich, das Disziplinarverfahren wird jedoch weitergeführt“, erläuterte eine Sprecherin.
Etwa 19.000 Menschen „Reichsbürger und Selbstverwalter“
In der sächsischen Polizei wurden in den vergangenen fünf Jahren gegen zwei Polizeibeamte Disziplinarverfahren wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zur so genannten Reichsbürgerbewegung geführt. Es gab aber keine Entlassungen aus dem Dienst, und keinem der Betroffenen wurde der Beamtenstatus entzogen. Das hat das Innenministerium in Dresden der Frankfurter Rundschau auf Anfrage mitgeteilt.
Aus Sachsen-Anhalt berichtet das Innenministerium, dass „in jüngster Vergangenheit“ gegen vier Bedienstete des Polizeivollzugsdienstes Disziplinarverfahren wegen des Verdachts auf Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene eingeleitet worden seien. Drei der Betroffenen seien 2018 und 2019 aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden, im vierten Fall hätten sich die Verdachtsmomente nicht bestätigt.
In Rheinland-Pfalz wurde bereits 2014 ein Polizeibeamter aus dem Dienst entfernt, was das Verwaltungsgericht Trier bestätigte. Gegen drei weitere Beamte liefen Ermittlungen oder Verfahren. In einem dieser Fälle sei zwar ein Dienstvergehen festgestellt, aber das Verfahren „wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit eingestellt“ worden, berichtete das Innenministerium in Mainz.
Der Kommentar: „Reichsbürger“ - die bundesweite Gefahr
Niedersachsen meldet drei Fälle, bei denen Disziplinarverfahren 2017 oder 2018 eingeleitet wurden. Bei einer Polizistin laufe die Klage, um sie aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Bei einer anderen Polizistin sei ein Dienstvergehen festgestellt worden. Der dritte Fall sei noch anhängig, teilte die Sprecherin in Hannover mit. Das Land Berlin spricht von „wenigen Einzelfällen im unteren einstelligen Bereich“ mit Bezügen zur Reichsbürger-Szene. Baden-Württemberg gibt zwei Fälle an. „In einem Fall haben sich die Vorwürfe nicht erhärtet, weshalb das Disziplinarverfahren eingestellt wurde. Im zweiten Fall wurde eine Kürzung des Ruhegehalts um 20 Prozent für zwei Jahre verfügt“, sagte eine Sprecher in Stuttgart.
In Potsdam kennt man lediglich den Fall eines ehemaligen Polizeimeister-Anwärters, der im Jahr 2017 wegen Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen worden sei.
Hamburg berichtet von einem Angestellten im Polizeidienst, der auf einer Demonstration mit dem Tenor „Merkel muss weg“ aufgetreten sei und Äußerungen getätigt habe, „die der Reichsbürger-Szene zugeordnet werden könnten“. Er sei gekündigt worden, doch das Arbeitsgericht habe entschieden, dass die Kündigung „wegen eines Formfehlers“ unwirksam gewesen sei, sagte die Sprecherin der Innenbehörde.
Zahlen
Etwa 19.000 Menschen in Deutschland rechnet das Bundesamt für Verfassungsschutz zur Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“, die die Bundesrepublik und ihre Organe nicht anerkennen. Im Vorjahr waren 16 500 solcher Personen registriert worden. Dies bedeutet nicht unbedingt eine Zunahme der betreffenden Personen, sondern dass die Behörden sie besser im Blick haben. In Hessen registriert der Verfassungsschutz 1000 Reichsbürger.