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Putin spricht vom „Krieg“ statt von der „Spezialoperation“ – Dieses Kalkül steckt wohl dahinter

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Von: Stephanie Munk

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Russland befinde sich im Krieg: Davon sprach jetzt auch Putin bei seinen Auftritten zum Jahrestag des Ukraine-Kriegs. Was steckt dahinter?

Moskau – Seit einem Jahr führt Russland einen Krieg gegen die Ukraine - und in diesem Jahr hat sich auch Russlands staatliche Kriegspropaganda verändert. Hatte der Kreml es anfangs noch als Ziel ausgegeben, in einer Art Blitzkrieg die angeblichen „Nazis“ in der Ukraine zu entfernen, bedient die russische Führung in jüngster Zeit verstärkt auch ein anderes Narrativ: Russland befindet sich in einem allumfassenden Krieg mit dem kollektiven Westen.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich dahingehend bislang eher zurückhaltend geäußert - im Gegensatz zu seinen Sprachrohren im Kreml und im russischen Staats-TV. Bei seiner rund zweistündigen Rede zur Lage der Nation am Dienstag (21. Februar) verwendete der russische Präsident aber nun ausdrücklich das Wort „Krieg“ im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt: Putin sagte, der Westen sei es gewesen, der „den Krieg begonnen“ habe, „und wir haben Gewalt angewendet und werden Gewalt anwenden, um ihn zu beenden“. Zur Erinnerung: In Russland ist es eigentlich per Gesetz verboten, die Invasion in die Ukraine als „Krieg“ zu bezeichnen, der vom Staat vorgegebene Begriff lautet „militärische Spezialoperation“.

Russlands Sicht auf Ukraine-Krieg: Aus Kampf gegen Nazis wird Krieg gegen kollektiven Westen

Anders als Putin bedienen andere Vertreter der russischen Führung schon seit einiger Zeit die Erzählung, Russland befinde sich in einem Krieg mit dem Westen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte am 15. Februar laut der russischen Nachrichtenagentur Tass bei einer Rede vor der russischen Staatsduma: „Die Vereinigten Staaten und ihre Satelliten führen einen allumfassenden hybriden Krieg gegen Russland.“ Und am Mittwoch (22. Februar) sagte Russlands Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, ebenfalls laut Tass: „Was unser Land betrifft, sehen wir all dies als Krieg mit dem Westen ums Überleben, um die Zukunft unseres Landes, um unsere Kinder, um unsere Identität.“

Wladimir Putin bei seinem Auftritt im Moskauer Luschniki-Stadion am Mittwoch (22. Februar).
Wladimir Putin bei seinem Auftritt im Moskauer Luschniki-Stadion am Mittwoch (22. Februar). © Alexander Vilf/Imago

Putin braucht offenbar Rechtfertigung für Verlauf des Ukraine-Kriegs

Dass der Kreml mittlerweile so offen von einem „Krieg“ spricht, liegt wohl an einer bewussten Verschiebung der staatlichen Propaganda. Dass der Ukraine-Krieg für Putin viel schlechter als erwartet verlaufe, bedürfe einer Erklärung gegenüber dem russischen Volk, erklärte Silke Bigalke, Russland-Expertin der Süddeutschen Zeitung, in einem Podcast.

Den langen Abnutzungskrieg und die hohen russischen Opferzahlen rechtfertige man mittlerweile mit der Behauptung, Russland kämpfe nicht nur gegen die ukrainische Armee, sondern gegen den gesamten Westen. Dieser greife Russland „auf allen Ebenen“ an. Bei seiner Rede vor der Duma erläuterte Lawrow das so: „Die Palette der Instrumente ist breit.“ Es gehe dem Westen nicht nur darum, „Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, die russische Wirtschaft zu zerstören“, so Lawrow, sondern auch darum „uns in eine Art Schurkenland zu verwandeln“.

Russland wirbt offenbar um Geduld im Ukraine-Krieg - mit Erzählung vom „Krieg gegen den Westen“

Eine Verschiebung der russischen Propaganda seit Kriegsbeginn sieht auch der russische Schriftsteller und Putin-Kritiker Dmitri Gluchowski. Wie der Exilrusse im Spiegel-Podcast „Acht Milliarden“ erklärt, bringt die russische Führung schon seit Kriegsbeginn verwirrende und sich ständig verändernde Propaganda-Botschaften unters russische Volk. Das derzeitige Narrativ vom „existenziellen Kampf gegen den Westen“ diene dazu, der russischen Bevölkerung Verständnis für die unerwartet lange Dauer des Krieges und die massiven Todeszahlen russischer Soldaten abzuringen.

Dass der Ukraine-Krieg den Russen vermehrt als eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs verkauft werde, diene demselben Zweck, so der Kremlkritiker: „Wenn wir während des Zweiten Weltkrieges 20 Millionen Menschen verloren haben, scheinen 180.000 Menschen nicht so viel, weil es die Fortsetzung unseres größten existenziellen Kampfes gegen das Böse der Welt ist“, so Gluchowski. Bei Russlands Verlust-Zahlen berief er sich auf eine Einschätzung des norwegischen Außenministeriums. (smu)

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