Geplanter Sturm des Elysée-Palasts: Rechtsextremer Staatsstreich in Frankreich vereitelt

Eine Terrorgruppe wollte mithilfe von Verschörungsanhänger:innen und Impfgegner:innen Parlament, Fernsehen und Elysée-Palast stürmen. Die Rädelsführer sind in Haft.
Paris - Terrorismus, das war für viele Menschen in Frankreich bisher gleichbedeutend mit Islamismus und Banlieue-Dschihad. Jetzt zeigt sich allerdings, dass auch Rechtsextremisten in großem Umfang Anschläge planen. Die Polizei ermittelt insbesondere gegen einen aus Malaysia abgeschobenen Royalisten und Drahtzieher namens Rémy Daillet-Wiedemann wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“.
Was er genau plante, hat die Zeitung „Le Parisien“ am Donnerstag und Freitag enthüllt. Laut dem Untersuchungsbericht des französischen Geheimdienstes DGSI zettelte der 55-jährige Ex-Politiker – er flog schon vor Jahren aus der Mittepartei Modem – einen eigentlichen Staatsstreich an. Der als „charismatisch, intelligent und manipulativ“ beschriebene Sohn eines gemäßigten Abgeordneten rief seit einem Jahr via Youtube offen zum Umsturz auf. Einzelne seiner Appelle, die von Tiraden gegen Jüd:innen, Muslim:innen und Demokrat:innen durchsetzt waren, erreichten bis zu 340.000 Leute.
Geplanter Staatsstreich in Frankreich: Aufruf zum Sturz der demokratischen Regierung geplant
Laut DGSI konnte Daillet auf einen harten Kern von 300 Gesinnungsgenossinnen und -genossen zählen. Darunter waren nicht nur jugendlich-naive Mitläufer, sondern diensttuende Polizistinnen, Militärs, Ärztinnen und Anwälte. Sie waren streng hierarchisch in regionalen Zellen organisiert.
Ihr Hauptprojekt war die „Opération Azur“. Die bestand darin, in Paris eine möglichst ausartende Massenkundgebung aus Rechtsextremisten, Verschwörungstheoretikern, Impfgegnerinnen, Überlebensaktivisten, 5G-Antennen-Gegnerinnen, Gelbwesten und anderen Systemgegnern zu organisieren, um die Polizeikräfte zu binden. Die 300 wollten derweil die allgemeine Verwirrung benützen, um den Elysée-Palast, die Nationalversammlung sowie Ministerien zu stürmen. Gleichzeitig wollten sie eine Fernseh- oder Radiostation besetzen, um die Menschen in Frankreich zum Sturz der demokratischen Regierung aufzurufen.
Organisator hinter geplantem Staatsstreich in Frankreich ließ ein Kind entführen
Die Vorbereitungen dazu waren unterschiedlich weit gediehen. Einzelne der 36 „Hauptleute“, wie die Zellenchef:innen hießen, hatten schon Zutaten für Sprengstoff beschafft. Daillet selbst hatte im April bewiesen, dass er zu handeln weiß: Ausgehend von seiner verblendeten Theorie, dass die Staatselite pädophil sei und Kinder raube – eine moderne Version des Nazi-Wahns der „jüdischen Kinderfresser“ – hatte er ein achtjähriges Mädchen entführen lassen, um es seiner Mutter „zurückzugeben“, die das Sorgerecht verloren hatte.
Dass Daillet nicht nur wegen umstürzlerischer Aktivitäten, sondern auch wegen terroristischer Umtriebe verfolgt wird, zeigt auf, wie ernst die Behörden die Bedrohung von rechtsextremer Seite nehmen. Der Geheimdienst-Koordinator Laurent Nuñez erklärte, seit dem Amtsantritt von Präsident Emmanuel Maron seien schon Attentatspläne von sechs rechtsextremen Gruppen vereitelt worden. Eine geplante Attacke per Küchenmesser galt Macron selbst, zwei andere verschleierten Frauen oder einer Halal-Metzgerei.
Vorbereitungen für Staatsstreich in Frankreich: 1000 Personen waren „tatbereit“
Rund tausend Aktivist:innen gelten laut Nuñez als „tatbereit“. Das sind zwar weniger als etwa in Deutschland. Auch hatte das Augenmerk in Frankreich bisher den islamistischen Terroranschlägen gegolten, die in den letzten 40 Jahren landesweit 330 Todesopfer gefordert haben.
Nun registriert die Öffentlichkeit, dass in französischen Gefängnissen nicht nur 505 Islamisten einsitzen, sondern auch 28 Rechts- sowie fünf Linksextremist:innen. Alle gelten als sogenannte akute Gefährder. Die Erschießung dreier Gendarmen durch den Waffennarr und Verschwörungstheoretiker Frédérik Limol im vergangenen Dezember zeigte ebenfalls auf, dass Rechtextreme unter dem Einfluss von virtuellen Hetzer:innen, etwa aus dem US-Netzwerk QAnon, durchaus zur Tat schreiten können.
Macron betont zurückhaltend nach vereiteltem Staatsstreich in Frankreich
Die verhinderte „Opération Azur“ sorgt in Frankreich aber auch darüber hinaus für Bestürzung, erinnert sie doch an eine düstere Stunde der französischen Geschichte. Am 6. Februar 1934 hatten Rechtextremisten und Royalisten bereits einmal versucht, die Nationalversammlung zu stürmen. 15 Angreifer wurden damals erschossen, 2000 Menschen verletzt.
Viele Französinnen und Franzosen sehen Parallelen zur aktuellen politischen Stimmung, in der ein rechter Volkstribun wie Éric Zemmour fast aus dem Stand – eine aktuelle Umfrage sieht ihn mit 17 Prozent auf Platz zwei hinter Macron – die Präsidentschaftswahl aufmischt. Mit Marine Le Pen ist es zudem eine weitere Rechtspopulistin, die dem Präsidenten gefährlich wird.
Die Regierung äußert sich zu den Putschplänen zurückhaltend. Das mag auf den ersten Blick verwundern, da dieses Projekt die ideologische Verbundenheit politischer und tatbereiter Rechtsextremer aufzeigt, was Macron eine Angriffsfläche gegen Le Pen oder Zemmour bieten würde. Der Präsident will aber nicht Öl ins Feuer gießen. Denn auch so drängt sich der für ihn eher unangenehme Befund auf, dass seine Amtszeit seit 2017 von einer sehr aggressiven Krisenstimmung geprägt war – vom Aufstand der Gelbwesten 2018 bis zum aktuellen Vormarsch der Rechten. (Stefan Brändle)