Neuer Streit zwischen Putin und Prigoschin? Kreml uneins bei „Nazi“-Rechtfertigung für Krieg
Russlands Geschlossenheit in der Kriegspropaganda soll bröckeln. Prigoschin widerspricht der „Nazi“- Erzählung von Putin im Ukraine-Krieg.
Moskau - Laut dem britischen Verteidigungsministerium hat Russland Schwierigkeiten, seine Rechtfertigung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine aufrechtzuerhalten. Die Einheitlichkeit der russischen Kernerzählung, dass der Ukraine-Krieg den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg gleiche, sei bedroht – so die Einschätzung der Briten. Ein Anzeichen dafür seien die jüngsten Äußerungen des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin. Dieser hatte entgegen der russischen Kriegspropaganda bestritten, dass Russland in der Ukraine gegen „Nazis“ kämpfe, wie auch der US-amerikanische Thinktank Institute for the Study of War (ISW) berichtete.

Die Kreml-Propaganda hatte den Angriffskrieg immer wieder damit gerechtfertigt, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen. Moskau behauptet, die Regierung in Kiew werde von „Nazis“ gelenkt. Auch die Erzählung, Russland kämpfe gegen die NATO, stellte Prigoschin infrage. Russland kämpfe gegen Ukrainer, die lediglich mit NATO-Waffen ausgerüstet seien, stellte er klar.
Russische Propaganda im Ukraine-Krieg: Nazi-Mythen
Das britische Verteidigungsministerium schreibt in einem Twitter-Beitrag am Samstag, die russischen Behörden würden weiter versuchen, die Öffentlichkeit ihres Landes hinter Mythen über die 1940er Jahre zu einen. Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti habe Mitte April von Archiv-Dokumenten des russischen Geheimdienstes FSB berichtet, nach denen die Nazis im Jahr 1940 an der Ermordung von 22 Tausend Polen beim Massaker von Katyn beteiligt gewesen sein sollen. In Wahrheit war jedoch das sowjetische Innenministerium für die damalige Ermordung tausender polnischer Offiziere und Intellektueller verantwortlich. Und auch die russische Regierung hatte 2010 Diktator Stalin dafür verurteilt, die Taten befohlen zu haben
Russland sagt Militärparaden ab – Angst vor bröckelnder Geschlossenheit
Die offizielle Absage einer Vielzahl von Militärparaden und Märschen im Mai wird von Experten als Anzeichen von Angst vor einer bröckelnden Geschlossenheit der Bevölkerung gesehen. In Russland wird am 9. Mai, dem „Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland, traditionell an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen russischen Soldaten erinnert. Der Gedenkmarsch „Unsterbliches Regiment“ wurde dieses Jahr abgesagt. Nach Einschätzung des US-Thinktanks „Atlantic Council“ habe Russland immer weniger Panzer zur Verfügung und möchte vermeiden, dass die prekäre Ausrüstungssituation offensichtlich werde.
Neben diesen logistischen Problemen fürchte die Regierung in Moskau aber auch Trauerbekundungen für die im Ukraine-Krieg gefallenen russischen Soldaten, so die Einschätzung von Experten gegenüber dem US-Magazin Newsweek. Auch der britische Geheimdienst teilte in einem Lagebericht mit, dass die Erinnerung an gefallene russische Soldaten des Zweiten Weltkrieges die Aufmerksamkeit auf die Verluste im Ukraine-Krieg lenken könnte, was nicht im Interesse des Kreml sei. Die Gleichsetzung des Einsatzes im Zweiten Weltkrieg mit der von Russland sogenannten „Spezialoperation“ könnte sich dann für Moskau rächen. (kasa/dpa)