Rechte Gewalt in Deutschland nimmt weiter zu

In Deutschland gab es im Jahr 2022 so viel politisch motivierte Kriminalität wie noch nie. Über die Zuordnung von Delikten aus der „Querdenker“-Szene gibt es Streit.
Das Ausmaß rechter Gewalttaten und anderer Formen politisch motivierter Kriminalität wächst weiter an. Im Jahr 2022 wurde nach Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, mit fast 60 000 (genau 58 916) Taten ein neuer Höchststand registriert. Dieser Trend setzt sich nach Informationen der Frankfurter Rundschau auch im Jahr 2023 fort.
„Die politisch motivierte Kriminalität ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Konflikte in unserem Land“, stellte Ministerin Faeser bei der Vorstellung der Statistik am Dienstag in Berlin fest. „Besondere Sorge“ mache ihr, dass Angriffe auf geflüchtete Menschen stark zugenommen hätten. Vom Rechtsextremismus gehe „nach wie vor eine besonders hohe Gefahr“ aus.
Tatsächlich machen rechtsextrem motivierte Straftaten mit 23 493 Fällen einen erheblichen Anteil der Delikte aus. Das ist ein Anstieg von sieben Prozent gegenüber dem Jahr 2021.
Erstmals weist allerdings eine andere Kategorie noch mehr Fälle aus: Kriminalität, die nach Auffassung der Behörden politisch begründet ist, aber auf einer „diffusen ideologischen Motivation“ beruhe. In dieser Rubrik „nicht zuzuordnen“ wurden von der Polizei gut 24 000 Straftaten eingeordnet und damit erstmals mehr als bei den rechten Straftaten. Mehr als die Hälfte der Taten standen im Zusammenhang mit Corona-Protesten.
Daneben gab es laut der Statistik fast 7000 Straftaten aus einer linken Gesinnung, fast 4000 Delikte aus einer „ausländischen Ideologie“ sowie rund 500 Taten aus einer „religiösen Ideologie“. Die Zahl der linken Delikte ging damit um gut 30 Prozent zurück.
Auf scharfe Kritik trifft die Vielzahl der Fälle, die als „nicht zuzuordnen“ eingestuft werden, bei Opferberatungsstellen, aber auch bei den Grünen. Denn sie vertreten die Auffassung, dass ein Großteil dieser Taten als rechtsextrem bewertet werden müssten.
„Wenn rechte und rassistische Gewalttaten von Ermittlungsbehörden und Gerichten nicht als solche erkannt werden, führt dies zu einer sukzessiven Entpolitisierung und Normalisierung dieser Taten“, kommentierten die Grünen-Bundestagsabgeordneten Misbah Khan und Schahina Gambir. Von einer „erhebliche Ausweitung der Untererfassung rechter Gewalt“ spricht auch der Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG). Im Milieu der Pandemie-Leugner:innen und Verschwörungsgläubigen („Querdenken“) gebe es „erhebliche Schnittmengen zu militanten Rechtsextremen, vor allem zu sogenannten ,Reichsbürgern‘“.
Als Beispiel nennt der Verband den Mord an dem 20-jährigen Tankstellenmitarbeiter Alex W. in Idar-Oberstein im September 2021, der als „nicht zuzuordnendes“ politisches Delikt einsortiert worden sei. Im Urteil trete die rechte Motivation des Täters klar zutage, der seit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 zunehmend Hassgefühle auf Politiker:innen und Andersdenkende entwickelt habe. In anderen Bundesländern seien solche Taten klar als rechtsextrem eingestuft worden.
Die neuesten Zahlen aus dem Jahr 2023 zeigen, dass die Entwicklung auch in den vergangenen Monaten nicht besser geworden ist. Aus der jüngsten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken geht hervor, dass die Polizei im März 1171 rechts motivierte Straftaten registrierte, davon 54 Gewaltdelikte. Im März 2022 waren es mit 924 Straftaten, davon 41 Gewaltdelikte, deutlich weniger gewesen. Einen ähnlichen Anstieg im Jahresvergleich hatte es auch im Januar und Februar gegeben.
Die Monatszahlen lassen sich allerdings nicht mit der Jahresstatistik vergleichen, da eine erhebliche Zahl von Delikten erst später als politisch motivierte Tat registriert wird.
„Die politisch rechts motivierten Straftaten haben sich im ersten Quartal 2023 wieder mindestens auf einem Vor-Corona-Niveau eingependelt“, stellte die Linken-Abgeordnete Petra Pau fest, die die Zahlen regelmäßig abfragt. „Auffällig und besorgniserregend“ sei die Zunahme rechter Gewaltdelikte.
Pau machte „die aktuellen Diskussionen um eine deutlich restriktivere Einwanderungspolitik der Bundesregierung sowie die Rhetorik konservativer und insbesondere rechter politischer Kräfte“ mitverantwortlich für „ein gesellschaftliches Klima des Hasses“, das solche Taten begünstige. Die Regierung lasse sich hier „von AfD und CDU treiben“.