Erdogan: Plötzlich Protagonist des Ukraine-Kriegs

Er scheint im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt omnipräsent: Recep Tayyip Erdogan. Doch welche Rolle spielt der Präsident der Türkei?
Istanbul – Die Worte des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan klangen eindringlich: „Als Mitglieder der Delegation haben Sie eine historische Verantwortung übernommen“, sagte er am Dienstag (29.03.2022), bevor sich die Delegationen aus Russland und der Ukraine zu bilateralen Gesprächen zurückzogen. Er ließ dabei seinen Blick über die Verhandler schweifen.
Rund viereinhalb Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges haben beide Seiten in Istanbul erneut über einen Weg zum Frieden verhandelt. Und tatsächlich schien es in eine Annäherung zu geben. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sprach sogar von dem „bedeutendsten Fortschritt“ seit Beginn der Verhandlungen.
Recep Tayyip Erdogan: Türkei in den Augen von Russland als Vermittler ungeeignet
Doch welche Rolle spielt Erdogan im Ukraine-Konflikt? Offensichtlich versucht die Türkei, eine Brücke zwischen den beiden Konfliktparteien Ukraine und Russland zu schlagen. So pflegt Recep Tayyip Erdogan regelmäßigen Kontakt zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als auch zu Wladimir Putin.
Der Russland-Experte Aydin Sezer betont gegenüber der Deutschen Welle, dass Ankara sich trotz der Nähe zu Russland deutlich auf der Seite der Ukraine positioniert habe. Das würden auch die Rüstungsdeals über türkische Drohnen in der Ukraine beweisen. Damit sei die Türkei aber in den Augen von Russland nicht „neutral“ – und daher in ihrer Vermittlerrolle ungeeignet.
Türkei: Recep Tayyip Erdogan unterstützt Ukraine
Trotzdem handelt Erdogan vorsichtig, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht. So verurteilt er zwar den Angriffskrieg von Russland, beteiligt sich aber nicht an den Sanktionen des Westens. Die Meerenge am Bosporus ist beispielhaft. Da die Türkei hier den Vertrag von Montreux, ein internationales Abkommen, anwendet, wird die Durchfahrt von sämtlichen Kriegsschiffen beschränkt.
Kein Wunder – denn die Türkei ist Nato-Mitglied. Für Beate Apelt von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul handele es sich bei den Vermittlungsversuchen um eine gewisse „Notwendigkeit“, gab sie gegenüber der Deutschen Welle zu. Falls der Krieg die Türkei zwingen sollte, zwischen zwei Fronten zu wählen, käme sie in ein Dilemma, da das Nato-Mitglied Türkei auch stark von Russland abhängig sei.
Recep Tayyip Erdogan: Welche Rolle spielt er im Ukraine-Konflikt?
Erdogans Umgang mit dem Ukraine-Konflikt könnte auch für seine inländische Reputation profitabel. Die Menschen in der Türkei schätzen, dass Ankara sich in dem Konflikt auf keine Seite stellt. So sind es laut einer Umfrage des Instituts Metropoll immerhin 73 Prozent, die diesen Schritt befürworten.
Das kommt ihm zugute – denn zuletzt machte die schwere Währungskrise dem türkischen Präsidenten zu schaffen. Tiefpunkt. Die Teuerung von Lebensmitteln und Energie dominierte schon vor dem Ukraine-Krieg die Agenda - Bilder von Menschen, die für günstiges Brot anstehen, kursierten in sozialen Medien. Laut der dpa seien die diplomatischen Bemühungen von Recep Tayyip Erdogan eine willkommene Abwechslung. Offenbar verbreiten Erdogans Mitarbeiter unermüdlich Fotos, auf denen der türkische Präsident internationalen Politikern die Hände schüttelt. (Marvin Ziegele)