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Recep Tayyip Erdoğan: Türkei will weiter in die EU, doch beklagt Brüssels „Doppemoral“

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Von: Mirko Schmid

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Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip Erdoğan kritisiert die EU scharf, will ihr aber mit der Türkei weiter beitreten. © Xinhua/Imago Images

Recep Tayyip Erdoğan nutzt den Jahrestag der Schuman-Erklärung für eine kritische Abrechnung mit der EU. Trotztdem wolle die Türkei der Union weiter beitreten.

Ankara - Recep Tayyip Erdoğan hat bekräftigt, dass die Türkei weiterhin einen Beitritt zur EU anstrebt. Faktisch liegen die im Jahr 2005 aufgenommenen Beitrittsverhandlungen aktuell auf Eis, mehrfach war nach EU-kritischen Äußerungen des türkischen Präsidenten darüber spekuliert worden, dass das türkische Interesse an einer EU-Mitgliedschaft in den letzten Jahren abgekühlt sei.

Anlässlich des „Europatages“ am 9. Mai, Jahrestag der Schuman-Erklärung von 1950, welche der EU-Vorgängerin EGKS den Weg ebnete, erklärte Erdoğan nun, dass das Interesse der Türkei, ein EU-Mitgliedstaat zu werden, keinesfalls erloschen sei. Während der türkische Präsident die Errungenschaften der EU im Hinblick auf innereuropäischen Frieden und Stabilität ausdrücklich herausstrich, kam er nicht umhin, dem Staatenbund kritische Worte ins Stammbuch zu schreiben.

Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan: Hindernisse aus Europa

„Die Türkei behält trotz der Doppelmoral und der Hindernisse, mit denen sie konfrontiert ist, ihre entschlossene Haltung und ihre Bemühungen um ihr strategisches Ziel der Mitgliedschaft in der Europäischen Union bei“, heißt es in einem Statement Recep Tayyip Erdoğans. Die EU-Mitgliedschaft der Türkei werde „den Weg für den Aufstieg eines auf regionaler und globaler Ebene wirksameren Europas ebnen und nicht nur den Bürgern, sondern auch den Menschen in ihrer Nachbarschaft und der ganzen Welt Hoffnung geben.“

Zuletzt jedoch, so Erdoğan, sei die EU „mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert“ gewesen. Der religiös-konservative Politiker benennt die „Flüchtlingskrise, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit“ sowie „finanzielle und steuerliche Fragilitäten“, den Brexit und die Corona-Pandemie als solche Herausforderungen. Die Überwindung dieser Probleme, welche „die Union und ihre Zukunft bedrohen“ würden, hänge „von Solidarität, Zusammenarbeit und der Wiedererlangung einer mutigen und integrativen Perspektive“ ab.

Recep Tayyip Erdoğan über die EU: „Mangel an strategischer Geduld und Vision“

Das „Haupthindernis der EU auf einem Weg zu einem starken globalen Akteur“ sieht Recep Tayyip Erdoğan im „Mangel an strategischer Geduld und Vision“. Die EU müsse ihre Entscheidungsmechanismen überdenken und „eine neue institutionelle Struktur, eine neue Vision und einen neuen integrativen Diskurs“ in Erwägung ziehen. Ausdrücklich lobt das türkische Staatsoberhaupt die „Konferenz zur Zukunft Europas“ der EU-Kommission als einen richtigen Schritt. Allerdings würden „die Debatten jedoch bereits eingegrenzt“, da keine Kandidatenländer eingeladen worden seien.

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Die Türkei trägt bereits seit dem Jahr 1999 den offiziellen Status einer solchen Beitrittskandidatin. Erdoğan betont, sein Land sei „als Teil Europas in Bezug auf historische, geografische und menschliche Aspekte“ bereit, „ihren Beitrag zur Lösung der Probleme, mit denen die Europäische Union konfrontiert ist, und zur Steigerung der Wirksamkeit der Union“ zu leisten. Selbstbewusst fügt der Staatschef an, dass es „offensichtlich“ sei, dass die EU ohne „den Beitrag und die Unterstützung“ der Türkei weniger „stark“ sei.

Recep Tayyip Erdoğan kritisiert die EU für „nicht eingehaltene Versprechen“

Für den schleppenden Fortgang der Beitrittsverhandlungen findet Erdoğan scharfe Kritik: Die EU habe ihre Versprechen bezüglich des Beitrittsprozesses der Türkei nicht eingehalten, einige Mitgliedstaaten würden „ihre bilateralen Probleme mit der Türkei auf die EU-Korridore übertragen“, was die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union belaste und „die Fähigkeit der Union, gegen globale Herausforderungen zu kämpfen“, beeinträchtigte und schwäche. 

Recep Tayyip Erdoğans Fazit: „Wir wünschen uns, dass die Europäische Union ihre Fähigkeit unter Beweis stellt, ihre Beziehungen zur Türkei auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und Vertrauens mit strategischer Sichtweise und gesundem Menschenverstand auszubauen. “ Die Türkei mit ihren 82 Millionen Einwohner:innen wäre eine der größten und gewichtigsten EU-Nationen, Deutschland als aktuell bevölkerungsreichster Mitgliedsstaat bringt rund 83 Millionen Menschen in die Staatengemeinschaft ein.

Cem Özdemir hält einen EU-Beitritt der Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan für ausgeschlossen

Cem Özdemir, ehemaliger Parteichef und aktueller Bundestagsabgeordneter der Grünen, sieht eine Türkei unter Erdoğan nicht als legitimen EU-Mitgliedsstaat. In einer Bundestagsrede von Anfang April 2021 sagte der türkisch-deutsche Politiker: „Solange Erdoğan Präsident der Türkei ist, solange müssen die Beitrittsverhandlungen genau dort bleiben, wo sie gegenwärtig sind, nämlich im Tiefkühlregal ganz hinten. Mit Erdoğan wird diese Türkei ganz sicher nicht Mitglied der Europäischen Union werden können.“

NameRecep Tayyip Erdoğan
PositionStaatspräsident Türkei
ParteiAdalet ve Kalkınma Partisi (AKP)
EhepartnerinEmine Erdoğan (seit 1978)
Alter67 Jahre (26. Februar 1954)
GeburtsortKasımpaşa, Türkei

Das gelte jedoch nicht für die Türkei insgesamt. Die zahlreichen Erdoğan-kritischen Demonstrationen in der Türkei von Menschen, die sich „trotz aller Zensur und trotz aller Gefängnisandrohung für die Demokratie entschieden haben“ hätten gezeigt, dass es eine „andere Türkei“ gebe: „Die Türkei, die sich für Demokratie, für Toleranz, für Menschenrechte, für Minderheitenrechte, für Gleichberechtigung, also für die Werte Europas, einsetzt. Ihr gilt unsere Solidarität.“ (Mirko Schmid)

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