Rebellion gegen Den Haag

Der Austritt vieler afrikanischer Staaten aus dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag könnte das Aus für die Behörde bedeuten.
Die jüngste Nachricht muss für Fatou Bensouda besonders schmerzlich gewesen sein. Ausgerechnet ihr Heimatland Gambia kündigte diese Woche an, aus der Organisation auszuscheren, der sie als Chefanklägerin angehört: dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Gambia ist – nach Burundi und Südafrika – der dritte Staat, der im Verlauf der vergangenen Tage seinen Austritt aus der Haager Behörde angekündigt hat. Mit Sicherheit werden bald andere afrikanische Nationen wie Kenia, Namibia, Uganda und die Demokratische Republik Kongo folgen. Die Austrittswelle droht, die ohnehin wankende Institution vollends zu Fall bringen: Denn Afrika ist bislang der einzige Kontinent, auf dem die 14 Jahre alte Behörde Erfolge vorweisen kann.
Gambias Informationsminister nahm kein Blatt vor den Mund. Der „Internationale Gerichtshof der Kaukasier“ sei zur „Verfolgung und Erniedrigung farbiger Menschen, vor allem Afrikaner“ da, befand Sheriff Bojang: Ein Vorwurf, den sich die 800 Angestellten der Behörde schon seit Jahren anhören müssen. Alle 23 bislang vor dem Gerichtshof verhandelten Fälle stammen aus Afrika – als ob es nur in dieser Region der Welt Völkermörder und Kriegsfürsten gäbe. Der Unmut der Präsidenten scheint nicht unberechtigt zu sein.
Bei genauer Betrachtung wird deutlich, warum das so ist. Der IStGH kann sich seine Verfahren nicht selbst aussuchen: Er ist auf die Überweisung verdächtiger Fälle durch den UN-Sicherheitsrat oder die Regierung des betroffenen Staates angewiesen.
Das ist ein Geburtsfehler der Behörde, ohne den ihr wohl kein Staat der Welt beigetreten wäre: Denn anders hätte die juristische Macht des Gerichtshofs die Souveränität der Staaten allzu deutlich übertrumpft.
Erfahrungsgemäß ruft der Sicherheitsrat den IStGH nur zu Hilfe, wenn der Konflikt nicht die Interessen eines seiner ständigen Mitglieder berührt – andernfalls wird dieses Mitglied nämlich sein Veto einlegen. Nur deshalb gibt es keinen Fall Aleppo, Gaza, Bagdad oder Afghanistan in Den Haag. Eine Weltregion, in denen die Interessen der fünf Veto-Mächte nicht unbedingt die erste Geige spielen, ist lediglich Afrika: Dort überwies der Sicherheitsrat mit Libyen und dem Sudan gleich zwei Fälle an den Gerichtshof.
Noch in einer anderen Hinsicht bot sich Afrika als Territorium der Behörde an. Nirgendwo anders in der Welt gibt es derart zerrüttete Staaten, dass von ihnen keine unabhängige Rechtsprechung und keine Verurteilung mächtiger Übeltäter erwartet werden kann. Das sahen selbst Afrikas Präsidenten so, als sie sich während der Debatten um die Gründung des Gerichtshofs leidenschaftlich zu seinen Gunsten aussprachen. Die ersten – und bislang einzigen – Hilfsgesuche an den IStGH kamen denn auch von afrikanischen Staaten: Ugandas Yoweri Museveni, der die Juristen in Den Haag als einen „Haufen nutzloser Leute“ verunglimpft, war der erste, der diesen „nutzlosen Haufen“ zur Anklage der Rebellen der „Lord Resistance Army“ in sein Land rief.
Auch der Kongo, die Elfenbeinküste und Mali baten den Gerichtshof von sich aus um Hilfe. Der Zorn der afrikanischen Präsidenten entzündete sich erst, als die Ankläger in den Niederlanden auch den sudanesischen Staatschef Omar al-Baschir und den später zum Präsidenten gekürten Kenianer Uhuru Kenyatta auf ihre Liste setzten.
Nun bekamen es die Mächtigen mit der Angst zu tun: Bei Fehltritten drohte auch ihnen eine Zelle in Den Haag. Erst suchten die Präsidenten eine Regelung durchzusetzen, die Staatschefs unter Strafschutz stellt: Als sich das nicht durchsetzen ließ, dachten sie über Alternativen nach. Nun soll im tansanischen Arusha ein afrikanischer Strafgerichtshof aufgebaut werden, der ganz dem Den Haager Vorbild nachempfunden ist – mit dem einzigen Unterschied, dass die höchsten Amtsträger vor einer gerichtlichen Verfolgung ausgeschlossen sind. Ihre Ablehnung der bestehenden Behörde begründen die Machthaber offiziell natürlich anders. Mit einem angeklagten Staatschef könne man nicht mehr über friedliche Konfliktlösungen verhandeln, heißt es etwa. Oder dass es „der Westen“ mit der Strafverfolgung gewisser afrikanischer Präsidenten nur auf einen Wechsel in ihm unbeliebter Regierungen abgesehen habe. Beide Begründungen sind fadenscheinig. Denn welche Gespräche wurden von der Anklage al-Baschirs gefährdet? Und Muammar Gaddafi wurde auch ohne Haager Haftbefehl vom „Westen“ aus der Macht gebombt.
Nun gibt es allerdings auch einige afrikanische Regierungen, die sich dem Austritt nicht anschließen wollen. Noch kann auch dem Exodus der Abtrünnigen entgegengewirkt werden, denn ihr Abgang wird erst nach Ablauf eines Jahres gültig. Mitte November findet in Den Haag die Versammlung aller Mitgliedstaaten statt: Eine letzte Gelegenheit, dem Geburtsfehler der Institution etwas entgegenzusetzen.