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„Readme.txt“ von Chelsea Manning: (Un-)zensierte Lebensbeichte

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Von: Jana Ballweber

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Chelsea Manning.
Chelsea Manning. © Imago

Ein Buch über das Leben als trans Frau, Krieg, Folter und die Grenzen des Rechtsstaats.

Fachleute für leserfreundliches Schreiben raten Autor:innen oft, Texte gleich welcher Länge nicht zu überfrachten. Jedes Buch sollte sich auf eine überschaubare Anzahl Themen beschränken, um nicht zu überfordern. Doch was, wenn ein Leben, noch dazu das einer jungen Person, derartig mit Leid, Zumutung und schwerwiegenden Entscheidungen belastet ist, dass es für Dutzende Lebensbeichten ausreichen würde? Sollte nicht auch ein solches Leben dem Publikum zumutbar sein? Es sollte. Und es ist. Zumindest, wenn es so ehrlich und nahbar aufgeschrieben ist wie im Buch von Chelsea Manning, das im November 2022 erschienen ist.

„Readme.txt“ macht einen Menschen und seine Entscheidungen nachvollziehbar.Manning ist Whistleblowerin. Sie hat Geheimnisse preisgegeben, deren Veröffentlichung verboten ist, die ihrer Ansicht nach aber im öffentlichen Interesse liegt. In Mannings Fall: Geheimnisse des US-Militärs. Als Soldatin war sie bei ihrem Einsatz im Irak vor allem mit Aufklärungsmissionen betraut. Dabei stieß Manning auf Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die die USA im Irak begingen.

Sie konnte nicht schweigen. Ihre Entfremdung mit dem Militär und dem Krieg im Irak sind in ihrem Buch minutiös nachvollzogen. Ohnehin war sie nur ins Militär eingetreten, um den Vater zufriedenzustellen – und in der Hoffnung, dem Schmerz in ihrem Leben zu entkommen. Manning wurde 1987 in Oklahoma geboren. Die Eltern trennten sich, es folgte eine Lebensphase in England mit der lebensunfähigen Mutter und eine konfliktreiche Zeit in der neuen Familie des Vaters. Mit Anfang zwanzig stand Manning auf der Straße. Sie wohnte in ihrem Auto, prostituierte sich und sah wenig Perspektive.

„Readme.txt“ von Chelsea Manning ist die Verzweiflung deutlich anzumerken

Überschattet wurde Mannings Jugend von ihrem Kampf mit ihrer Geschlechtsidentität. Schon als Kind hatte sie gemerkt, dass sie mit dem ihr bei der Geburt zugeschriebenen männlichen Geschlecht nicht viel anfangen konnte. Doch im ländlichen Oklahoma hatte man für trans Menschen nicht viel übrig. Ein Kampf, der sich bis in die Zeit beim Militär fortsetzte. Denn in den frühen 2000er Jahren galt für US-Soldat:innen noch die Maßgabe „Don’t ask, don’t tell“ - frag nicht, sag nichts.

Die Anweisung bezog sich auf die LGBTQ-Community der Soldat:innen. Vorgesetzte durften keine Nachforschungen über die sexuelle Orientierung von Soldat:innen anstrengen, diese musste ihre Identität im Gegenzug aktiv verstecken. Nicht einmal mit psychologischen Berater:innen beim Militär konnte Manning über die psychischen Probleme sprechen, die ihr das Leben mit einer falschen Geschlechtsidentität bescherte. Erst nach ihrer Verurteilung outete Manning sich offiziell als Frau. Die persönliche und die berufliche Krise spitzten sich parallel immer weiter zu. Dem Buch ist die Verzweiflung so deutlich anzumerken, dass der Schritt, geheime Dokumente des US-Militärs weiterzugeben, beinahe unspektakulär wirkt, so nachvollziehbar ist er geworden.

Readme.txt ist ein Buch über das Leben als trans Frau. Es ist ein Buch über das US-Militär, über Krieg, Folter und die Grenzen des Rechtsstaats. Es beschreibt nur die ersten dreißig Jahre eines einzigen Lebens. Das reicht für ein ganzes Buch. Jana Ballweber

Chelsea Manning:„Readme.txt“, Harper Collins , Erlangen 2022, 336 S., 22 Euro

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