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Rassismus in Peru: Es herrschen „sklavenähnliche Zustände“

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Fußball spielende Kinder im Andenhochland.
Fußball spielende Kinder im Andenhochland. © Eva Tempelmann

UN-Tag gegen Rassismus: Zwar gilt gerade Peru als Land der Vielfalt – ethnisch, sprachlich, ökologisch – aber ein starres Klassensystem prägt die Gesellschaft.

Lima – Im vergangenen Jahr feierte Peru 200 Jahre Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialherrschaft. „Somos libres, seamos“ – wir sind frei, mögen wir es bleiben, heißt es in der peruanischen Nationalhymne. Dennoch sind die Spuren der jahrhundertelangen Kolonialzeit bis heute präsent. Wirtschaftliche Abhängigkeiten, ein ausgeprägtes Klassensystem und ein alltäglicher struktureller Rassismus bestimmen die Gesellschaft.

Ein Beispiel dafür ist die Situation von Hausangestellten in den großen Städten. Dies sind zu 95 Prozent Frauen – zum Großteil Indigene – also Nachfahr:innen der peruanischen Urbevölkerung, die ihre eigenen Sprachen und Traditionen haben und bis heute aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden. Die Hausangestellten arbeiten vor allem in weißen Mittelschichts- und Oberschichtfamilien, oft „cama adentro“, leben also mit im Haus. Fast 90 Prozent der Arbeitsverträge werden nur mündlich geschlossen.

In Lima sind die wirtschaftlichen und kulturellen Klüfte extrem.
In Lima sind die wirtschaftlichen und kulturellen Klüfte extrem. © Eva Tempelmann

Rassismus in Peru: „Teils sklavenähnliche Zustände“

Entsprechend groß ist das Risiko wirtschaftlicher Ausbeutung. Obdulia Guevara Neyra, stellvertretende Leiterin der Gewerkschaft für Hausangestellte in der Region Lima, berichtet von jungen Mädchen, die bis zu 18 Stunden täglich arbeiten mussten oder nicht entlohnt wurden, weil man sie des Diebstahls bezichtigte. „Das sind teils sklavenähnliche Zustände“, sagt sie. In der Hauptstadt Lima, in der ein Drittel der Bevölkerung des Landes lebt, ist der Rassismus besonders ausgeprägt.

„Die kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede sind hier extrem“, sagt Guevara Neyra. Der Zugang zu Macht, Bildung und Ressourcen konzentriert sich in den Händen der weißen, privilegierten Oberschicht. Die indigene Bevölkerung ist in den meisten staatlichen Einrichtungen, in der Politik, in den Medien, der Literatur, Werbung oder Kunst so gut wie nicht vertreten. Dabei ist Peru, neben Bolivien und Guatemala, eines der Länder mit dem größten Anteil indigener Bevölkerung in Lateinamerika: Mehr als 50 verschiedene indigene Gruppen leben in Peru, 48 Sprachen werden im Land gesprochen.

Die „Wochen gegen Rassismus“ sind eine bundesweite Aktion für Solidarität mit den Gegnerinnen und Gegnern sowie den Opfern von Fremdenfeindlichkeit und Hass. Sie finden jährlich rund um den 21. März, dem „Internationalen Tag gegen Rassismus“, statt. Dieser wurde 1966 von den Vereinten Nationen ausgerufen. Anlass war der sechste Jahrestag des Massakers von Sharpeville durch Einheiten der South African Police in Sharpeville in Südafrika, damals Apartheidstaat Südafrikanische Union, am 21. März 1960. Seit 1995 ist der 21. März als „Tag der Menschenrechte“ auch in Südafrika ein nationaler Gedenktag.

Weitere Informationen im Netz unter www.stiftung-gegen-rassismus.de. Die FR begleitet die Aktion mit Berichten, Analysen und Hintergründen zum Thema.

Bei der letzten Volkszählung von 2017 gaben 26 Prozent der Menschen an, sich einer indigenen Gemeinschaft zugehörig zu fühlen. Vier Prozent der Gesamtbevölkerung identifizierten sich als Afroperuaner:innen, 60 Prozent als Mestizen, also Nachfahren von Indigenen und Weißen. Nur fünf Prozent bezeichneten sich als Weiße. Die Volkszählung wurde wegen ihrer Frage nach ethnischer Zugehörigkeit in der Öffentlichkeit scharf kritisiert. Wer gefragt werde, wie er oder sie sich definiere (Schwarz? Weiß? Indigen? Mestize?), habe die ganze Farbpalette des auf Rassismus basierenden Kolonialismus vor Augen.

Damals wurden die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe verschiedenen Kasten zuordnet, die sie rechtlich und sozial entweder privilegierten oder diskriminierten: Mestize, Mulatte, Viertel Indio. Das mag lange her sein, aber das Erbe dieses rassistischen Systems ist noch immer in den Köpfen der Menschen verankert. Bis heute verleugnen viele Indigene, die ihren Lebensmittelpunkt in die Stadt verlegt haben, ihre kulturellen und sprachlichen Wurzeln, um Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft zu finden.

Peru: Fehlende politische und kulturelle Anerkennung der indigenen Bevölkerung

Selbst Führerinnen indigener Gruppen, die sich für die Rechte dieser benachteiligten Bevölkerung einsetzen, bezeichnen sich mitunter eher als Mestizinnen denn als Indigene. So bleiben sie als Menschen mit besonderen Rechten – sei es in Bezug auf ihre Sprache oder den Umgang mit Land und natürlichen Ressourcen – unsichtbar und werden in der peruanischen Politik weder gehört noch vertreten.

Die fehlende politische und kulturelle Anerkennung und Teilhabe der indigenen Bevölkerung in Peru ist eklatant. Das reicht von fehlendem Zugang zu Bildung oder Unterricht in Landessprachen wie Quechua über die Missachtung indigener kollektiver Landrechte bei Bergbauprojekten bis zu immer noch ausstehenden offiziellen Entschuldigungen bei den mehr als 300.000 Betroffenen der Zwangssterilisierungen in den späten 1990er Jahren.

Indigene Frau in den Anden.
Indigene Frau in den Anden. © Eva Tempelmann

Peru: Neuer Präsident verspricht Wandel

Einen Wandel verspricht der neue Präsident Pedro Castillo. Er wurde im Juli 2021 als erster Indigener im höchsten Amt des Landes vereidigt. In seiner Antrittsrede sagte Castillo wörtlich: „Es ist höchste Zeit, dass wir mit dem Wiederaufbau unserer Institutionen beginnen: auf der Grundlage von Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität.“ Ob und wie er dies umsetzen wird, ist aber noch offen.

Die ersten acht Monate seiner Regierungszeit waren geprägt von Machtkämpfen innerhalb seiner Partei, von einem Misstrauensvotum durch die ultrarechte Opposition und einer unklaren Regierungslinie. Dennoch ist Castillos Präsidentschaft für viele Menschen ein Hoffnungsschimmer. Er könnte die Vielfalt des Landes sichtbarer machen. In den nächsten fünf Jahren seiner Amtszeit wird sich zeigen, ob das gelingen wird. (Eva Tempelmann)

Auch die Abholzung des Regenwaldes treibt indigene Frauen in Peru in die Abhängigkeit. Während Männer in die Städte ziehen, bleiben Frauen in den Dörfern zurück und kümmern sich um die Familie.

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