Schwarze Mütter stehen unter Generalverdacht

Der Report „Recht gegen rechts“ sammelt Fälle von Rassismus in der Justiz. Beispiel Bremen. Ein Textauszug von Fatou Sillah.
Frankfurt – Diese Misshandlung, diese Kinderrechtsverletzung betrifft nur Schwarze deutsche Kinder, deren Eltern afrikanische Migrant:innen sind, Schwarz. Und ich versichere dir, der Ursprung dieser ganzen Saga ist Hautfarbe, weil wir Schwarz sind. Das ist es.“ Damit bezieht sich eine Betroffene auf das Vorgehen, durch welches das Bremer Standesamt in den letzten Monaten traurige Berühmtheit erlangt hat. Die Praxis erfasst Fälle, in denen Frauen nichtdeutscher Staatsbürgerschaft mit deutschen Männern ein Kind bekommen haben.
Betroffen sind fast ausschließlich Frauen aus Ghana und Nigeria. Das Bremer Standesamt unterstellt ihnen pauschal, der Mann, der die Vaterschaft ihres Kindes anerkannt hat, sei nicht der leibliche, zumindest nicht der rechtliche Vater. Hier zu unterscheiden ist wichtig, denn der biologische Vater ist nach deutschem Recht nicht automatisch der rechtliche Vater eines Kindes. Rechtlich wird als Vater eines Kindes in erster Linie immer der Ehemann der Mutter vermutet, und solange es einen Ehemann gibt, kann es zunächst keinen anderen Vater geben.
Report über Rassismus in der Justiz – Das OVG Bremen entscheidet: Der Generalverdacht ist rechtswidrig
Das Standesamt behauptet, die Vaterschaftsanerkennung durch den deutschen Mann sei nur erfolgt, damit das Kind dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit und die Mutter ein daraus abgeleitetes Aufenthaltsrecht bekäme. Der Ehemann der Mutter, und damit der rechtliche Vater, lebe jedoch vermutlich im Herkunftsland oder in einem anderen EU-Staat. Mit dieser Begründung weigert sich das Standesamt in einigen Fällen schon seit über einem Jahr, die Geburtsurkunden der betroffenen Kinder auszustellen. Anhaltspunkte für diese Vermutung gibt es nicht.
Wenn ein Kind in Deutschland geboren wird, heißt das nicht unbedingt, dass das Kind auch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt, denn vorrangig gilt das sogenannte Abstammungsprinzip.
Seit September 2020 protestieren Schwarze Mütter gegen diese Praxis. Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat in seinem Beschluss vom 10. Februar 2021 entschieden, dass dieser pauschale Generalverdacht rechtswidrig ist. Wenn ein Kind in Deutschland geboren wird, heißt das nicht unbedingt, dass das Kind auch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt, denn vorrangig gilt das sogenannte Abstammungsprinzip: Kinder werden nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz grundsätzlich dadurch deutsche Staatsangehörige, dass ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Erkennt ein deutscher Mann die Vaterschaft an, ist also der rechtliche Vater, so geht seine deutsche Staatsangehörigkeit auf das Kind über. Gilt ein anderer Mann als der rechtliche Vater, so bekommt das Kind nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und ist im schlimmsten Fall ausreisepflichtig. Das macht die Frage der Beurkundung der Abstammung so zentral.
Report über Rassismus in der Justiz: Frauen aus Ghana und Nigeria sind betroffen
Die Behörden sind offensichtlich darauf aus, in möglichst vielen solcher Fälle festzustellen, dass dem Kind die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zusteht. Hierfür stehen ihnen mehrere Mittel zur Verfügung. Eines davon ist Paragraf 1597a des Bürgerlichen Gesetzbuches. Die Norm verbietet seit ihrer Einführung 2017 „missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen“ und untersagt die Anerkennung einer Vaterschaft, wenn diese lediglich dazu dienen soll, den rechtmäßigen Aufenthalt des Vaters, der Mutter oder des Kindes zu ermöglichen. Verdächtig ist eine Vaterschaftsanerkennung laut Gesetz etwa, wenn der Eindruck entsteht, dass die Eltern sich nicht kennen. Aber auch wenn eine der beteiligten Personen eine Duldung hat oder Angehörige eines sogenannten sicheren Herkunftsstaates ist und einen Asylantrag gestellt hat.
Name | „Recht gegen Rechts. Report 2020“ |
Herausgabe | Nele Austermann, Andreas Fischer-Lescano, Wolfgang Kaleck |
Verlag | Fischer Verlag |
Erscheinungsjahr | 2020 |
Seitenzahl | 400 |
Preis | 14,00 Euro |
Der Verdacht der Missbräuchlichkeit entsteht also nicht nur durch ein bestimmtes Verhalten. Viele Menschen stehen allein aufgrund von Faktoren unter Verdacht, auf die sie keinen Einfluss nehmen können. So werden etwa Personen mit ghanaischer Staatsangehörigkeit, die ohnehin schon große Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Aufenthaltstitels haben, da Ghana auf der Liste der sicheren Herkunftsstaaten steht, durch diese Regelung unter Generalverdacht gestellt. Auch eine geduldete Person kann nicht ohne weiteres ein Kind mit einem deutschen Staatsangehörigen bekommen, ohne den Verdacht des Versuchs einer „missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung“ zu wecken.
Report über Rassismus in der Justiz: Alles, was Sie wissen müssen
Das Buch
Der jährliche Bericht über rechtsextreme Tendenzen im Recht: Im Report „Recht gegen rechts“ 2022 beschreiben mehr als 30 prominente Autorinnen und Autoren die wichtigsten Fälle aus dem vergangenen Jahr. Die Herausgeber:innen sind Journalist:innen und Jurist:innen, die sich von einer Grundeinsicht leiten lassen: Rechtsextreme verstehen das Recht als Arena ihrer politischen Kämpfe und versuchen, es für ihre Zwecke auszunutzen. Wenn möglichst alle diese Versuche dokumentiert und bewertet werden, ist ein wichtiger Schritt getan, um sich besser wehren zu können.
Der Report „Recht gegen rechts“ wird herausgegeben von Nele Austermann, Andreas Fischer-Lescano, Heike Kleffner, Kati Lang, Maximilian Pichl, Ronen Steinke und Tore Vetter. Mit einem Vorwort von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main, 288 Seiten, 18 Euro, im Buchhandel erhältlich ab 26. Januar. FR
Das Bremer Standesamt bedient sich zuletzt aber vor allem einer anderen perfiden Methode. Sie betrifft vorrangig Mütter, die aus Ghana und Nigeria kommen. Die Standesbeamt:innen unterstellen jeder Mutter, die in das Raster fällt, sie sei bereits mit einem anderen Mann verheiratet als dem, der die Vaterschaft anerkannt hat. Damit wäre die bereits vom Jugendamt beurkundete Vaterschaftsanerkennung des deutschen Vaters unwirksam. Selbst wenn der anerkennende deutsche Staatsbürger also der biologische Vater des Kindes ist, würde das nach einem Beschluss des Bremer Oberverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2021 bedeuten, dass er nicht als dessen rechtlicher Vater in die Geburtsurkunde eingetragen werden konnte.
Legen die Mütter Ledigkeits- und Scheidungsurkunden vor, um zu beweisen, dass sie nicht verheiratet sind, werden diese nicht anerkannt. Und zwar mit der Begründung, dass das ghanaische und nigerianische Urkundenwesen nicht hinreichend zuverlässig sei. Das deutsche Urkundenwesen hingegen sei ein zu hohes Gut, um zu riskieren, dass möglicherweise falsche Urkunden ausgestellt würden. So erhält das Kind nicht einmal eine Geburtsurkunde, bis bewiesen ist, dass die Mutter tatsächlich nicht verheiratet ist. Da die entsprechenden Urkunden aus Ghana und Nigeria jedoch nicht anerkannt werden, ist dieser Beweis meist unmöglich. Die Betroffenen sind also in einem Teufelskreis aus rassistischen Vorurteilen gefangen.
Report über Rassismus in der Justiz: Wie sollen Frauen ihr Nicht-Verheiratet-Sein beweisen?
Das Bremer Oberverwaltungsgericht kritisierte in seiner Entscheidung vom 10. Februar 2021 noch einen weiteren Punkt. Es sei unzumutbar, den Müttern „ins Blaue hinein“ die Pflicht aufzuerlegen, ihr Nichtverheiratetsein zu beweisen. Eines Nachweises der Ledigkeit der Mutter bedürfe es nur, wenn auch konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen einer Ehe vorlägen, etwa wenn die Frau bei der Beantragung des Visums angegeben hat, verheiratet zu sein. Andernfalls könne von den Müttern nicht verlangt werden, diesen Verdacht zu widerlegen.
Auch dem Generalverdacht gegenüber Müttern aus Ghana erteilt das Gericht eine klare Absage: „Der Hinweis der Antragsgegnerin, es habe sich in einer Vielzahl anderer Verfahren [ … ], in denen ghanaische Mütter Vaterschaftsanerkennungen deutscher Staatsangehöriger vorgelegt haben, herausgestellt, dass die Mütter in Ghana verheiratet sind, stell[e] keinen ‚konkreten Anhaltspunkt‘ [ … ] dar.“ Die rassistischen Vorurteile der Standesbeamt:innen reichen dem Gericht also nicht aus, um die Vermutung zu begründen, die Mutter sei bereits verheiratet. Dennoch stehen die von dieser Praxis betroffenen Kinder weiterhin laut Geburtenregister ohne Vater da. Auch die Geburtsurkunde wird ihnen nicht ausgestellt – und das teilweise schon seit einem Jahr und länger.
Report über Rassismus in der Justiz: Bremer Flüchtlingsrat schätzt, dass mehr als 200 Familien betroffen sind
Regelungen zu Vaterschaftsanerkennungen waren stets umstritten. Die sogenannte Behördenanfechtung etwa, bei der es bestimmten Behörden erlaubt war, beurkundete Vaterschaftsanerkennungen rückwirkend aufzuheben, wenn diese zu aufenthaltsrechtlichen Zwecken erfolgt sind, wurde im Jahr 2013 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin wurde mit dem ebenfalls kontrovers diskutierten „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ das heute geltende Verbot „missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen“ eingeführt.
Die gegenwärtige Praxis des Bremer Standesamtes zeigt, welch drastische Auswirkungen eine solche Regelung auf Familien hat. Mit dem Vorgehen gegen missbräuchliche Anerkennungen wird ein Generalverdacht gegen unzählige Familien begründet, der keine tatsächliche Grundlage hat und nur schwer zu widerlegen ist. Das Ausmaß ist erschreckend: So bekommt mittlerweile jede Mutter, die in das beschriebene Raster des Standesamtes fallt, ein vorgefertigtes Schreiben, in dem sie darüber informiert wird, dass die Geburtenbeurkundung zurückgestellt wird, weil eine Ehe mit einem anderen Mann vermutet wird. Der Bremer Flüchtlingsrat schätzt, dass sich derzeit über 200 Familien in diesem Verfahren befinden.
Report über Rassismus in der Justiz: Das Grundgesetz schützt auch das Zusammenleben von Familien
Demgegenüber sind in Bremen seit der Einführung des Verbots im Jahr 2017 bis einschließlich 2020 lediglich 16 Vaterschaftsanerkennungen als missbräuchlich eingestuft worden. Das Vorgehen gegen missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen ist also vor allem symbolischer Natur. Die Nachteile, die dabei für die betroffenen Familien entstehen, sind dagegen real.
Dabei sind Regelungen im Aufenthaltsgesetz, die etwa der „ausländischen“ Mutter eines Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit einen Aufenthaltstitel verschaffen, gerade dazu da, Familien das Zusammenleben zu ermöglichen. Sie sind eine Konsequenz des Schutzes, der Familien nach dem Grundgesetz zusteht. Dieser Schutz soll verhindern, dass Familien voneinander getrennt werden, weil ein Familienmitglied ein Aufenthaltsrecht oder die deutsche Staatsangehörigkeit hat, während die anderen ausreisen müssen. Doch die Praxis des Standesamtes zielt gerade darauf ab, Familien auseinanderzureißen. Anstatt durch die Rechtsordnung geschützt zu werden, geraten diese vulnerablen Familien in das Visier der Migrationspolitik.
Das Wohl des Kindes wird hierbei hintangestellt, obwohl es nach der UN-Kinderrechtskonvention bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, eigentlich zu priorisieren ist. Hartes Durchgreifen und konsequente Durchsetzung der Ausreisepflicht stehen deutlich über Grund- und Kinderrechten. Auch nach mehrmaligen Gesprächen zwischen Betroffenen und den Verantwortlichen aufseiten des Senators für Inneres hat sich kaum etwas an dieser Situation geändert, und so hält der Protest der Mütter an. Sie fordern nicht nur die Geburtsurkunden ihrer Kinder, sondern auch einen respektvollen Umgang, ein Ende der diskriminierenden Behördenpraxis und ein Verfahren frei von Rassismus. Ihren Kindern soll endlich die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt werden, denn sie steht ihnen zu. (Fatou Sillah)