Rasanter Anstieg politischer Straftaten
Innenministerin Faeser meldet Höchststand politischer Delikte. Es gibt Zweifel an der richtigen Einordnung von Straftaten aus der Querdenken-Szene.
Die politisch motivierte Kriminalität in Deutschland ist im vergangenen Jahr auf einen dramatischen Höchststand gestiegen. Mit gut 55 000 Delikten gab es im Jahr 2021 so viele wie nie, seit diese Zahlen erhoben werden. „Wir müssen unsere Demokratie mit aller Kraft schützen“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag in Berlin, wo sie die Zahlen gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, vorstellte.
Auf Kritik stößt, wie die Polizei die Straftaten einordnet. Der offiziellen Statistik zufolge bilden rechtsextreme Straftaten mit knapp 22 000 zwar weiter den größten Bereich. Das BKA registrierte aber einen Rückgang um rund sieben Prozent gegenüber 2020. Direkt dahinter mit gut 21 000 Delikten folgt die Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität – nicht zuzuordnen“. Sie wurde eingeführt, um Straftaten aus der Querdenken-Szene und anderen staatsfeindlichen Gruppierungen zu erfassen.
Umstritten ist, ob viele Delikte aus dieser Bewegung gegen die Corona-Politik nicht ebenfalls als rechtsextreme Straftaten eingeordnet werden müssten. So sehen es etwa die Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG). Sie heben hervor, fünf Menschen seien 2021 und 2022 „durch rechte Tötungsdelikte von Anhängern der Coronaleugnerbewegung“ ums Leben gekommen.
Dazu rechnen sie nicht nur die Tötung einer Mutter mit ihren drei Kindern in König Wusterhausen (Brandenburg) im Dezember, bei der eine antisemitische Verschwörungserzählung über das Coronavirus als Tatmotiv gilt. Auch die tödlichen Schüsse auf den 20-jährigen Tankstellenmitarbeiter Alex W. in Idar-Oberstein im September 2021 ordnet der VBRG – anders als die Sicherheitsbehörden – als „rechts motiviertes Tötungsdelikt durch bewaffnete Anhänger von Verschwörungsideologien“ ein. Nicht nur der Täter in Brandenburg, sondern auch der in Rheinland-Pfalz habe schon lange vor der Tat „rechten Parteien und Verschwörungsideologien“ angehangen, sagte Robert Kusche vom VBRG am Dienstag in Berlin. Auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner wendet sich gegen die neue Kategorisierung. „Der Fakt, dass hier selbst massiv auf antisemitischen Verschwörungsmythen beruhende Taten wie der Mord in Idar-Oberstein nicht unter ,Politische motivierte Kriminalität - rechts‘ eingeordnet werden, ist unerträglich“, urteilte Renner. Eigentlich müssten die Zahlen über rechte Gewalt daher „fast doppelt so hoch ausfallen“.
Besondere Sorgen bereitet Innenministerin Nancy Faeser der Anstieg der antisemitischen Straftaten um fast ein Drittel auf mehr als 3000 Delikte. „Es ist eine Schande für unser Land“, urteilte sie. Mit mehr als 2500 Delikten wurde der Großteil davon aus einer rechtsextremistischen Motivation verübt, ungefähr die Hälfte der Delikte im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie. Auffällig sei aber auch der islamistisch geprägte Antisemitismus, der Hass gegen Juden und gegen den Staat Israel offen propagiere, schilderten Faeser und Münch.
Bei den Straftaten aus der linksextremen Szene registrierte das Bundeskriminalamt einen Rückgang um rund acht Prozent auf gut 10 000. Faeser kündigte an, die Behörden Bayerns und des Bundes würden das Gipfeltreffen der G7-Staaten, das für Juni in Elmau geplant ist, „konsequent schützen vor linksextremistischer Gewalt und Randale“. Solche Treffen böten für die linksextreme Szene „traditionell ein hohes Mobilisierungspotenzial“, erläuterte Münch.