Rajoy bereitet Übernahme von Katalonien vor

Nach dem Verstreichen des Ultimatums berät die spanische Regierung, in welchen Schritten sie die katalanischen Separatisten entmachtet.
Der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont hat an diesem Donnerstag eine zweite Frist verstreichen lassen, um seine verklausulierte Unabhängigkeitserklärung von vergangener Woche zurückzunehmen.
In einem Brief an den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy kündigte er eine mögliche Klarstellung durch das Regionalparlament an. Falls die spanische Regierung weiterhin „einen Dialog verhindert und mit der Repression fortfährt“, könne das katalanische Parlament über eine „formelle Unabhängigkeitserklärung“ abstimmen, wenn es eine solche Abstimmung für „opportun“ halte.
Rajoy antwortete mit einem Schreiben, in dem er Puigdemont eine „willentliche und systematische institutionelle Konfrontation“ vorhält, trotz dem schweren Schaden, den er damit „dem Zusammenleben und der wirtschaftlichen Struktur Kataloniens“ zufüge.
Sein Regierungskabinett werde sich an diesem Samstag zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenfinden, um mit „den in Artikel 155 der Verfassung vorgesehenen Schritten fortzufahren“. Sein Ziel sei es, die „Legalität in der Selbstregierung Kataloniens“ wiederherzustellen.
Vorerst sind damit alle Brücken zwischen der separatistischen Regionalregierung und der spanischen Regierung abgebrochen. Der Artikel 155 der spanischen Verfassung erlaubt es Rajoy nun, die „notwendigen Maßnahmen“ zu treffen, um in Katalonien wieder zu rechtsstaatlichen Verhältnissen zurückzukehren. Das Regionalparlament und die Regionalregierung hatten in den vergangenen zwei Jahren sämtliche Beschlüsse des Verfassungsgerichts gegen ihre separatistischen Pläne ignoriert und damit offen gegen die spanische Rechtsordnung rebelliert. Genau für solch einen Fall steht – nach dem Vorbild des Artikels 37 des deutschen Grundgesetzes – der Artikel 155 in der spanischen Verfassung.
Rechtliches Neuland
Was aber wird nun genau geschehen? Die Rajoy-Regierung betritt rechtliches Neuland, der Artikel 155 ist wie der deutsche Artikel 37 noch nie zur Anwendung gekommen. Es gibt auch kein Ausführungsgesetz dazu. Jeder Schritt, den die Regierung ab Samstag tut, wird inner- und außerhalb Spanien mit höchster Aufmerksamkeit beobachtet werden. Die „Wiederherstellung der Legalität“ in Katalonien muss selber allen rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen.
Was immer sich die spanische Regierung vornimmt, sie wird in die autonomen staatlichen Strukturen Kataloniens eingreifen müssen. Sie könnte Puigdemont und seiner Regierung Aufpasser zur Seite stellen. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie Puigdemont und einige seiner Minister absetzen wird. Die Frage ist, ob der behördliche Mittelbau danach mit den neu eingesetzten Verwaltern zusammenarbeiten wird. Um eine solche Situation nicht in die Länge zu ziehen, wären baldige Neuwahlen in Katalonien ein Ausweg. Die würden allen Beteiligten zumindest eine Atempause gewähren.
Sowieso geht jetzt alles noch nicht ganz so schnell. Nach Artikel 155 ist zwar die Regierung für alle weiteren Schritte verantwortlich, sie muss sich für ihr Vorgehen allerdings den Segen des Senats, der zweiten Kammer des spanischen Parlaments, einholen. Im Senat hat Rajoys konservative Volkspartei (PP) die absolute Mehrheit, die Abgeordneten könnten also Rajoys Vorschläge einfach durchwinken.
Wahrscheinlicher ist, dass sich zunächst eine Kommission des Senates die Lage genauer anschaut und auch mit Puigdemont Kontakt aufnimmt. Das wäre die Gelegenheit zum immer wieder wortreich eingeforderten Dialog – allerdings nicht, wie von Puigdemont erhofft, über die Abspaltung Kataloniens von Spanien. Die steht so oder so nicht zur Debatte.
Rajoy kann bei seiner Katalonien-Strategie auf die Unterstützung der Sozialisten (PSOE) und der liberalen Ciudadanos setzen. Während es den einst in Katalonien als antinationalistischer Partei gegründeten Ciudadanos gar nicht schnell genug mit der Anwendung des Artikels 155 gehen kann, sind die PSOE und Rajoy selbst etwas zögerlicher.
Sie ahnen, welches Ungewitter auf Spanien zukommt, wenn Puigdemont und andere Regionalpolitiker erstmal von ihren Schreibtischen weggeführt werden sollten.
Eine Ahnung kommender Unruhen haben schon die vergangenen Wochen gegeben. Erst am Dienstagabend gingen in Barcelona wieder (nach Zählung der Lokalpolizei) an die 200 000 Menschen auf die Straße, um gegen die Inhaftierung der beiden Separatistenführer Jordi Sànchez und Jordi Cuixart durch Spaniens Nationalen Gerichtshof zu protestieren. Eine Untersuchungsrichterin unterstellte ihnen „aufrührerisches Verhalten“ bei der Organisation anderer Proteste vor einem Monat.
Die spanische Sektion von Amnesty International hält diesen Vorwurf für nicht haltbar und forderte deshalb am Mittwoch die sofortige Freilassung der beiden Aktivisten. Für diesen Samstag haben katalanische Separatistenorganisationen zu einer weiteren Massenkundgebung in Barcelona aufgerufen.