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Putins treue Freunde

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Wladimir Putin mit Verteidigungsminister Schoigu (rechts)
Wladimir Putin mit Verteidigungsminister Schoigu (rechts) © AFP

In der Machtelite rund um den Präsidenten rumort es. Doch ein Umsturz ist dem inneren Kreis kaum zuzutrauen.

Im Ganzen seien die Hauptaufgaben der ersten Operationsphase erfüllt, erklärte Sergei Schoigu. Das erlaube, die wesentlichen Kräfte auf die Erreichung des Hauptziels zu konzentrieren, die Befreiung des Donbass. Damit sagte der russische Verteidigungsminister am Dienstag wirklich nichts Neues, vier Tage zuvor hatte ein Vertreter seines Generalstabs dasselbe fast wortgleich angekündigt. Aber zumindest war Minister Schoigu wieder klar und deutlich im Staatsfernsehen zu sehen, gesund, in voller Uniform, wenn auch mit vielleicht noch etwas graueren Geheimratsecken.

Seit dem 23. März wurde Schoigu in der Öffentlichkeit vermisst, noch am Montag sah sich Außenminister Sergei Lawrow gezwungen, eine Krankheit Schoigus mit Grimm zu dementieren. Schon spekulierten die Medien, Putins Urlaubs-Kamerad sei in Ungnade gefallen. Auch, weil in der Ukraine nach über einem Monat Blutvergießen noch immer kein endgültiger Sieg in Sicht ist.

Schoigu, 66, gilt längst als enger Kumpel Putins, sogar als möglicher Nachfolgekandidat. Ein unkomplizierter Naturbursche, übrigens kein Berufsmilitär, sondern gelernter Bauingenieur. Er organisiert für den Präsidenten seit Jahren gemeinsame Abenteuertouren in den Wäldern und Bergen Sibiriens.

In Putins Macht-Elite scheint es zu rumoren

Aber seit Russlands Panzer durch die Ukraine kurven, scheint es auch in Putins Macht-Elite zu rumoren. Es gibt erste Entlassungen in den Sicherheitsorganen. Ein Umsturz ist den Männern und Frauen im inneren Kreis um Putin wohl kaum zuzutrauen. Aber in Ministerien und Geheimdiensten wird jetzt über ganz neue Fragen nachgedacht.

Noch vor dem Abschuss der ersten russischen Raketen gab es Unstimmigkeiten. Am 21. Februar stellte Putin die Anerkennung der prorussischen Rebellenrepubliken im Donbass zur Diskussion, vor dem Sicherheitsrats Russlands, der oft mit dem sowjetischen Politbüro verglichen wird. Nikolai Patruschew, Sekretär des Sicherheitsrats und langjähriger Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, machte den Vorschlag, vorher noch einmal mit den USA zu verhandeln. Außer Premierminister Michail Mischustin unterstützte ihn auch Sergei Naryschkin, Direktor des Auslandsnachrichtendienstes SWR. Als Putin ihn deswegen anherrschte, geriet Naryschkin allerdings ins Stammeln, sprach von den „Volksrepubliken“ sogar als künftigen Teilen Russlands.

Aber wirklich begeistert mag sein Gefolge nicht gewesen sein, als Putin drei Tage später umfassende Vorstöße russischer Truppen auch von der Krim und aus Belarus auf ukrainisches Gebiet sowie eine Luftlandung bei Kiew befahl. Patruschew, Naryschkin oder FSB-Chef Alexander Bortnikow gelten als Putins engste Schicksalsgenossen. Wie der Präsident sind sie weit über 60, wie er stammen sie aus Sankt Petersburg, dienten einst im KGB. Diese Seilschaft ist mit Putin auch steinreich geworden hat. „Seine Generäle haben so viel gestohlen, dass sie weiter im Luxus leben können, auch wenn sie jetzt 90 Prozent ihres Vermögens verlieren“, erklärt der Menschenrechtler Wladimir Ossetschkin, der vertraulichen Kontakt zu vielen Sicherheitsbeamt:innen hält, unserer Zeitung.

Putins Leibwache gilt als treu

Putins Nibelungen. „Sie verstehen, wenn Putin weg ist“, sagt der ausgewanderte Exparlamentier Ilja Ponomarjow, „können sie nicht nur ihre Macht, sondern vielleicht auch ihr Leben verlieren.“ Jetzt droht ihnen zumindest Ärger, weil sie wie Schoigu Putin die Risiken der Militäroperation gegen die Ukraine verschwiegen haben. Aber Putin entlässt enge Mitarbeiter:innen bekanntlich nicht gern. Und erst recht, wenn ihr Rauswurf wie die Reaktion auf eine eigene Niederlage aussieht. Bisher nahm erst Roman Gawrilow, stellvertretender Direktor der Nationalgarde Rosgwardija, seinen Abschied – aus ungeklärten Gründen. Obwohl er erst 45 ist und seine Nationalgardist:innen ebenfalls in Ukraine kämpfen.

Und nach Angaben des Geheimdienstexperten Andrei Soldatow landeten die FSB-Generäle Sergei Besseda und Anatoli Boljuch im Hausarrest. Sie sollen den „5. Dienst“ geleitet haben, eine FSB-Abteilung, die für Informationen über die ukrainische Innenpolitik zuständig ist.

Schon spekulieren Exilpolitolog:innen, ob nicht einer der von den Sanktionen arg gebeutelten russischen Wirtschaftsoligarchen eine Milliarde Dollar auf Putins Kopf aussetzen möchte. Aber Putins Leibwache, die Elite des angeblich 50 000 Mann starken FSO-Sicherheitsdienstes, gilt als ihm treu ergeben. Obendrein werden Russlands Multimilliardäre von Putins Geheimdiensten abgehört. Die Superreichen würden es nie wagen, den Gedanken an ein Attentat laut auszusprechen, sagt der Ex-Geheimdienstler Gennadi Gudkow dem TV-Kanal Current Time. „Sonst sind sie tot.“

Ratlosigkeit: Nur Putin und Schoigu wüssten, was los ist

In den Reihen des Geheimdienstes selbst aber gärt etwas. „Man diskutiert ernsthaft, dass Putin in letzter Zeit sehr viel Aufmerksamkeit sogenannten mystischen Themen widmet. Von Numerologie bis zu Schamanen irgendwo in Sibirien“, schreibt ein FSB-Analytiker in einem Brief an Ossetschkin. „Über die Wirtschaft gar nicht zu reden, das ist, als diskutiere man Einzelheiten der Aussaat während eines atomaren Bombenangriffs.“ Er schließt sogar Raketenschläge gegen Europa als Reaktion auf neue westliche Sanktionen nicht aus.

Auch in der Präsidialverwaltung scheint eine gewisse Ratlosigkeit zu herrschen. Einem Moskauer Starkolumnisten, der sich dort Anweisungen für seine nächsten Leitartikel holen wollte, erklärte man, nur Putin oder Schoigu wüssten noch, was zu tun sei. Der erste Kreis um den Staatschef hält still. Offenbar hoffen die Generäle auf Putins Fortune und die Ängstlichkeit des Westens, Finanzminister Anton Siluanow oder Nationalbankchefin Elvira Nabiullina auf die aus jeder Krise rettenden Exportdollarströme. Und die Angaben des US-Geheimdienstes, dass Putins Umgebung ihn aus Angst falsch informiert, überraschen kaum einen Russen. „Dem Staatsoberhaupt wird das berichtet, was es hören möchte, nicht das, was wirklich passiert“, sagt der Publizist Konstantin Eggert dem ukrainischen Portal nv.ua.

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