Putins perfide Taktik: So werden kritische Russen mundtot gemacht
In Russland hat sich Putin ein Monopol auf die Wahrheit geschaffen. Kritiker des Ukraine-Kriegs sind fast komplett verstummt. Ein Experte erklärt die Mechanismen.
Moskau - Dezember 2022: Der 39-jährige Ilja Jaschin spricht auf seinem YouTube-Kanal über die Gräueltaten, die russische Soldaten im ukrainischen Vorort Butscha begangen haben. Kurz darauf bekommt er Besuch von der Polizei. Ilja Jaschin wird die nächsten achteinhalb Jahre in einer Strafkolonie verbringen. Danach darf er vier Jahre lang kein Internet benutzen.
Das Urteil gegen einen der letzten verbliebenen Oppositionellen in Russland ist nur ein Beispiel für Menschen, die wegen des Fake-News-Gesetzes in Russland verhaftet wurden. Präsident Wladimir Putin brachte es kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs durch die Duma. Seither wird die Verbreitung angeblicher Falschinformationen über die russische Armee drastisch bestraft. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Putins Gesetze im Ukraine-Krieg: Willkür versetzt Russen in Paranoia
„Das Gesetz verbietet praktisch jegliche Verwendung von Informationen, die nicht direkt aus dem Verteidigungsministerium kommen“, sagt Peter Franck, Russland-Experte bei „Amnesty Deutschland“, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Es hat schon dazu geführt, dass einige Menschen in Russland jahrelang in Haft sitzen.“

Das Perfide daran: Was genau verboten und erlaubt, ist im Gesetz nicht klar präzisiert. Die Formulierung ist vage gehalten, genauso wie die russischen Bestimmungen gegen Landesverrat und das Gesetz gegen „ausländische Agenten“. „Die Menschen in Russland haben nur ein vages Gefühl, was vom Staat geduldet ist und was nicht. Und sie wissen, es kann Ärger geben, wenn man den Spielraum überschreitet“, so Franck. Jeder, der sich nicht völlig konform verhalte, gehe ein Risiko ein.
Wenn es aber keine Logik bei der Strafverfolgung gebe, verfielen die Menschen in Paranoia, sagt auch der russische Menschenrechtsanwalt Pawel Chikow gegenüber dem unabhängigen russische Nachrichtenportal Meduza.
Putin macht Russland mundtot: Machtapparat statuiert Exempel an Einzelnen
Es ist nicht so, dass jeder, der sich in Russland kritisch äußere, direkt bestraft werde, so Franck. „Eine flächendeckende Verfolgung gibt es nicht, aber es gibt für jeden das Risiko für eine Bestrafung.“ Putins Machtapparat statuiere Exempel, die das Gefühl verbreiteten: „Es kann jeden treffen.“ Franck: „Es wird eine Atmosphäre geschaffen, die den Menschen vermittelt: Haltet euch da raus, dann lässt der Staat euch in Ruhe.“
Auch Aussagen von russischen Passanten in Straßenumfragen durch ausländische Journalisten würden dies immer wieder zeigen. Zur „militärischen Spezialoperation“ Putins befragt, laute die Standard-Antwort: „Ich mische mich da nicht ein, ich vertraue der russischen Führung.“

Putin bestimmt in Russland, was wahr ist
Vor allem seit dem Ukraine-Krieg gilt: Der Staat bestimmt, was wahr ist und was gesagt werden darf. Menschenrechtsanwalt Pavel Chikow nennt es eine der krassesten juristischen Neuerungen seit dem Ukraine-Krieg, dass sich der Staat ein Monopol auf die Wahrheit geschaffen habe. „Die Behörden sind dazu übergegangen, die Äußerung der persönlichen Meinung zu kriminalisieren“, so Chikow, „einschließlich völlig friedlicher Dinge, die in einer freien Gesellschaft nicht kriminalisiert werden sollten.“
Ebenso von Willkür geprägt ist das Gesetz gegen „ausländische Agenten“, das Putin seit seiner dritten Amtszeit 20212 immer wieder verschärfte. Wurden anfangs nur Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen, die vom Ausland finanziert wurden und politisch aktiv waren, als Agenten eingestuft und mit entsprechenden Repressionen belegt, sind es nun auch Medien und Einzelpersonen.
Fehlende Meinungsfreiheit in Russland hat lange Tradition
Viele fragen sich: Warum nehmen die Menschen in Russland das hin, warum gibt es keinen Volksaufstand? Die repressiven Strafen und die Angst um das eigene Leben und das der Angehörigen sind gewiss eine Antwort darauf. Eine andere, dass es viele Russen nicht anders kennen.
„Dieser Modus hat eine ganz lange Tradition, weit über 100 Jahre“, so Russland-Experte Franck. „Die Menschen in Russland haben nie die Erfahrung gemacht, dass unabhängiges Engagement zu irgendetwas führt.“ Auch unter Russlands Jugend herrscht großteils Apathie, sagte ein Experte für die jungen Generation in Russland kürzlich im Interview mit Merkur.de.
Einen Ausweg aus der Lage sieht Menschenrechts-Experte Franck derzeit nicht. „Das Land kann sich wohl nur von innen verändern“, glaubt er. „Durch irgendwelche Ereignisse, die jetzt noch niemand vorhersehen kann.“ (smu)