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„Lage ist katastrophal“: Wie Putin Medienschaffende bedrängt – und den „Informationskrieg“ in Russland lehren lässt

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Von: Florian Naumann, Ben Voß

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Ist Journalismus in Russland zu Zeiten des Ukraine-Kriegs noch möglich? Zwei Experten schildern IPPEN.MEDIA die Lage in Putins Regime.

München/Berlin – Die Menschen in der Ukraine sind die Hauptleidtragenden des russischen Angriffskrieges. Doch auch für Regierungskritiker:innen und Journalist:innen in Russland hat sich die Lage verschärft – das haben zwei Experten von Amnesty International und Reporter ohne Grenzen der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA unabhängig voneinander in eindringlichen Worten bestätigt.

„Die Lage der Pressefreiheit in Russland macht uns ja seit vielen Jahren Sorgen. Aber sie hat sich natürlich in den letzten Monaten, insbesondere nach Beginn des Angriffskrieges, noch mal drastisch verschärft“, sagte Amnesty-Russlandexperte Peter Franck. „Inseln“ und „Nischen“ für Andersdenkende in der russischen Öffentlichkeit sind ihm zufolge seit Beginn des Ukraine-Krieges nahezu vollständig verschwunden. Kritische Stimmen kommen ihm zufolge nun vor allem noch aus dem Exil. Und das, obwohl der Kreml unabhängige Projekte wie die Nowaja Gaseta oder Sender Doschd oder Echo Moskau in der Vergangenheit auch im eigenen Land durchaus in Eigeninteresse geduldet habe.

Putins Regierung ließ aus Eigeninteresse „Inseln“ und „Nischen“ zu – bis zum Ukraine-Krieg

„Wir hatten den Eindruck, dass diese Inseln noch zugelassen wurden, um letztlich von der Staatsspitze her nicht den Kontakt zu jeder Kritik zu verlieren, um auch die Lage im Land einigermaßen beurteilen zu können“, erläuterte Frank im Videointerview mit der Frankfurter Rundschau. Das habe sich geändert: „Unabhängiger Journalismus in Russland ist derzeit ausgeschlossen.“ Das Land entwickle sich in Richtung Totalitarismus.

Noch drastischer beurteilte Birger Schütz, Pressereferent für den postsowjetischen Raum von der Organisation Reporter ohne Grenzen, die aktuelle Situation kritischer Journalist:innen in Wladimir Putins Russland. „Die Lage ist katastrophal“, sagte er. „Letztendlich beobachten wir eigentlich den Zusammenbruch der unabhängigen Medienlandschaft, die sich seit der Perestrojka herausgebildet hat“.

Wladimir Putin im Fokus der Kameras: Russlands Präsident 2020 bei einem Statement.
Wladimir Putin im Fokus der Kameras: Russlands Präsident 2020 bei einem Statement. © Aleksey Nikolskyi/Kremlin Pool/www.imago-images.de

Ein Faktor dabei sind Restriktionen in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg: Einzig zulässig Quelle nach neuer Rechtslage ist eigentlich nur noch das Verteidigungsministerium von Sergej Schoigu, wie Schütz betont. „Für die Verbreitung sogenannter falscher Informationen über die russische Armee beziehungsweise für die ‚Diskreditierung‘ der russischen Armee können Journalisten jetzt mit bis zu fünfzehn Jahren Haft bestraft werden.“

Russlands Journalismus: Klare Tendenzen schon in der Ausbildung – „Das wird wirklich gelehrt“

Schütz schilderte auch aus westlicher Sicht höchst bedenkliche Tendenzen in der russischen Journalistenausbildung. An der renommierten Moskauer Lomonossow-Universität sei etwa das Modul politischer Journalismus gestrichen worden – die bislang eine „Insel des freien Denkens und kritischen Arbeitens“ gewesen sei. Die Lehre in einem so großen Land wie Russland sei zwar schwer zu überblicken. Die Ausbildung werde allerdings nicht nur als stark „verschult“ und „veraltet“ kritisiert. Auch die Inhalte scheinen befremdlich.

„Russischen Journalismus-Studenten wird zum Beispiel tatsächlich beigebracht, dass sie in einem Informationskrieg mit dem Westen stehen. Das wird wirklich an den Unis gelehrt und das ist auch Konsens teilweise bei Absolventen“, sagte Schütz. An einer Präsident Wladimir Putin unterstellten „Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst“ wiederum werde die Einführung neuer Lehrbücher diskutiert, die Studierende zum medialen Widerstand gegen „negativen Content“ anhält. „Gemeint sind damit zum Beispiel jegliche Meldungen über Homosexualität“, erläuterte Schütz. Kritik an Russland wiederum werde pauschal als „Russophobie“ bezeichnet.

Russlands Weg zu kritischen Stimmen: VPN-Systeme erlauben Kontakt – „Die Masse erreicht das nicht“

Komplett ausgeschaltet sind kritische Stimmen laut Franck und Schütz in Russland allerdings nicht: Zumindest der interessierte Teil der Bevölkerung hat etwa über VPN-Systeme weiterhin Zugang zu Informationen abseits der Regierungslinie. Trotz Repressionen gegen Journalist:innen im Inland – und obwohl etwa die Social-Media-Angebote des Meta-Konzerns wie Facebook und Instagram in Russland abgeschaltet sind.

„Das funktioniert schon“, sagte Franck. „Der Zugang zu Medien ist gegeben, wenn man diese VPN-Nutzung hat. Und auch über Youtube ist vieles möglich, weil sich das offenbar selektiv nicht blockieren lässt“, erklärte der Amnesty-International-Experte der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Journalisten und Journalistinnen im Exil leisteten auf diesen Umwegen weiterhin gute Arbeit für die Menschen in Russland. Sie berichteten „sehr authentisch, sehr gut, mit Verbindungen nach Russland“.

Diese Kanäle bleiben gleichwohl in Russland nur eine Randerscheinung. Lediglich der aktivere Teil der Bevölkerung greife zu dieser Option, räumte Franck ein: „Die Masse erreicht das natürlich nicht, aber die Masse ist vorher auch von Doschd oder von Echo Moskau meiner Auffassung nach kaum erreicht worden.“ (bv/fn)

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