Kleines Archipel in Sorge vor Putin: Finnland debattiert Russland-Rauswurf - fürchtet aber „Provokation“

Ein kleines Archipel, aber strategisch wichtig - und demilitarisiert. Åland war oft umkämpft. Nun wachsen dort Sorgen vor Russland.
Mariehamn/München - Russlands Ukraine-Krieg hat im hohen Norden einige Gewissheiten außer Kraft gesetzt: Nach jahrzehntelanger Blockfreiheit haben sich Finnland und Schweden zum Nato-Beitritt entschieden - aus Sorge vor einer russischen Aggression. Nun könnte eine kleine Ostsee-Insel zum nächsten Schauplatz der skandinavischen Zeitenwende werden: Das kleine Åland ist weitgehend autonom, vor allem aber seit langem demilitarisiert. Und Standort eines eher außergewöhnlichen russischen Konsulats.
In Finnland regt sich nun Zweifel am demilitarisierten Status der Insel - und auf Åland selbst Widerstand gegen den Stützpunkt der Kreml-Diplomatie. Allerdings ist der Ausgang der Streitigkeiten alles andere als ausgemacht. Mahnende Stimmen warnen vor einer Provokation gegen den Kreml. Und die nächsten Schritte könnten auch von der Koalitionsbildung nach der Finnland-Wahl von Anfang April abhängen.
Finnlands „Kontrollposten“ in Sorge vor Putin: Petition will Russlands Konsulat auf Åland beseitigen
Klar ist: Åland, zwischen Schweden und Finnland gelegen, ist ein besonderes Inselarchipel - mit verbrieftem Sonderstatus. Für die Bewohner bedeutet das ein Privileg, wie für die West-Berliner in Zeiten des Kalten Krieges. Die Wehrpflicht gilt für die Insulaner nicht. Das ist die eher skurrile Seite der Ausnahmeregeln. Die militärisch brisantere: Das Archipel ist seit mehr als 150 Jahren demilitarisiert. Åland gilt neben dem schwedischen Gotland als einer der „Kontrollposten“ in der nördlichen Ostsee.
Für eine kurze Zeit im 19. Jahrhundert gehörte das Eiland zusammen mit dem Großfürstentum Finnland auch zu Russland. Das ist lange passé - aber Wladimir Putins Geschichtsaffinität, insbesondere mit Blick auf die Grenzen der russischen Föderation, ist bekannt. Auch wichtige Kabel führen am Archipel vorbei. Auf deren heimliche Kartografierung hatte es skandinavischen Medienberichten zufolge zuletzt eine russische Flottenmission abgesehen.
Russlands Station auf Åland: „Was sie dort machen, ist unklar“ - Großrazzia weckte Befürchtungen
Wohl auch deshalb, aus „Sicherheitsgründen“ nämlich, will eine Petition jetzt Russlands Lauschposten auf der Insel beseitigen. Mehr als 25.000 Menschen hatten laut dem Rundfunksender YLE bis Samstag (15. April) unterzeichnet. Der Stein des Anstoßes ist ein Konsulat. Mit seiner Hilfe soll Moskau schon seit dem Ende des russisch-finnischen Winterkrieges 1940 die Demilitarisierung überwachen können. Laut einem Bericht der FAZ arbeiten dort bisweilen bis zur 40 Menschen. „Was sie dort machen, ist unklar“, urteilte das Blatt trocken.
Eine drastischere These äußerte aber der frühere Präsidentenberater Alpo Rusi: „Das Konsulat ist Teil des russischen Spionagesystems in Finnland“, urteilte er. Eine Großrazzia 2018 habe gezeigt, dass russische Staatsbürger große Grundstücke an exponierten Plätzen gekauft und teils mit Hubschrauberlandeplätzen und Landungsstegen versehen hätten. Das kann eine harmlose Praxis unter Superreichen sein. Es weckt aber auch Argwohn.
Finnland nach der Wahl: Wende auf Åland? Ex-Minister warnt vor „Provokation“ für Putin
Solche Sorgen könnten im neugewählten finnischen Parlament auf offene Ohren stoßen. Laut einer Erhebung von YLE ist etwa die Hälfte der neugewählten Volksvertreter zumindest unter bestimmten Bedingungen offen für ein Ende der Demilitarisierung. Vor allem bürgerliche Parteien und die rechten „Wahren Finnen“ neigen diesem Gedanken zu. Die von der Regierungsspitze verdrängten Sozialdemokraten und die schwedische Minderheitspartei SFP lehnen ihn ab. Noch ist völlig offen, welche der beiden Seiten neben den Konservativen die Regierungskoalition bilden wird.
Eine ehemalige Größe der finnischen Politik warnt jedenfalls schon jetzt vor Gedankenspielen. Der frühere Verteidigungsminister Jan-Erik Enestam sah die Debatte auf YLE-Anfrage lediglich als „Wind in Russlands Segeln“; vor allem für das Narrativ, die Gegner im Ausland bewaffneten sich. Russland habe noch nie die Nato angegriffen und werde das auch künftig nicht tun, erklärte er. Eine Stationierung von Militär sei lediglich ein „unnötiges Risiko“ und „provoziere“ Russland lediglich. Seine Vorgängerin Elisabeth Rehn verwies auf schon jetzt vorliegende „detaillierte Pläne“ zur Verteidigung Ålands. Finnland erschaffe sich nun selbst „Schreckgespenster“.
Finnland auf Konfrontationskurs? Präsident beschwichtigt, lässt aber Hintertür offen - Russland reagiert
Finnlands Präsident Sauli Niinistö beschwichtigte Mitte April im Parlament. Die Stellung des Archipels sei „stabiler als vielleicht jemals zuvor“ erklärt er unter Verweis auf Helsinkis Nato-Beitritt. Eine Aggression gegen Åland sei nun qua Nato-Artikel 5 „eine Kriegserklärung gegen die Nato“. Es werde besondere Aufmerksamkeit bei der Nato-Sicherheitsplanung erfahren. Das Staatsoberhaupt verteidigte auch die Existenz des Konsulats. Man habe internationale Abkommen immer als Lebensversicherung für kleine Staaten betrachtet, betonte er. „Es ist gut, an diesem Gedanken festzuhalten.“
Eine Hintertür in Sachen Demilitarisierung ließ Niinistö aber offen: Veränderte Beziehungen und die schnelle Entwicklung der Militärtechnologie könnten „die aktuelle Ausgestaltung bestehender Abkommen beeinflussen“, erklärte er. Ohnehin ist die Frage komplex. YLE wies auf Ålands Autonomie hin - und auf Stimmen, die die Entscheidung über den militärischen Status bei den Inselbewohnern selbst sehen.
Russland reagierte zunächst kühl auf die Debatten. Man gehe davon aus, dass Finnland seine „internationalen Verpflichtungen aufrechterhalten werde“, erklärte Sergej Lawrows Außenministerium der Staatsagentur Ria Novosti. „Wir werden sehen, worin diese Initiative endet“, hieß es weiter. (fn)