Kreml droht dem Schützling Armenien mit „äußerst negativen Folgen“

Lange Zeit verließ sich Armenien auf Russland. Das scheint vorbei: Wladimir Putin droht ein weiterer Affront eines Verbündeten. Der Kreml sendet Warnungen.
Jerewan/Moskau - Russlands Macht über die Nachbarschaft bröckelt offenbar weiter. Das neueste Indiz: Armenien, eigentlich sogar ein lange Zeit bitter auf Moskau angewiesener Schützling, hat einen Affront gegen den Kreml im Köcher. Der reagiert mit Drohungen - zwar noch abseits der regulären diplomatischen Wege, aber dennoch unmissverständlich.
Putin droht Haftbefehl-Affront vom Schützling - Armenien enttäuscht vom Kreml
Anlass des Streits sind der Internationale Strafgerichtshof und letztlich der von dort ergangene Haftbefehl gegen Wladimir Putin. Armeniens Regierung und Gerichtsbarkeit haben nun zumindest den Weg für eine Anerkennung freigemacht. Schon im Dezember hatte Ministerpräsident Nikol Paschinjan den Verfassungsgerichtshof um eine Einschätzung gebeten. Am Freitag kam grünes Licht für eine Ratifizierung des Gründungsprotokolls des Strafgerichtshofs, wie das Portal azatutyun.am des US-Senders Radio Liberty berichtete. Verfassung und Gerichtshof teilten „universelle Werte“ und Ziele, urteilten die Richter.

Ob Armenien nun schnell den Gerichtshof anerkennen wird, ist offen. Der Rechtsexperte Ara Zakarian erklärte, er rechne vorerst mit einem Stopp der Ratifizierung. Doch wenn die Regierung in Jerewan Fakten schafft, müsste sie rein rechtlich ihren Schutzpatron Putin bei einem Besuch im Land festnehmen.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, ist bemerkenswert. Denn Russland erkannte den Internationalen Strafgerichtshof auch schon vor dem Wirbel um den Putin-Haftbefehl nicht an. Und Armenien vertraute lange Zeit auf den großen Verbündeten in Moskau: Im teils blutigen Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan ist Russland die Schutzmacht. Aktuell stehen russische Friedenstruppen im Konfliktgebiet.
Russland droht unzufriedenem Verbündeten Armenien: „Äußerst negative Folgen“
Doch schon länger kriselt es im Vertrauensverhältnis der ungleichen Partner. Armenien ist enttäuscht vom eher flauen Einsatz Moskaus in dem Konflikt - schon im Herbst wuchsen sogar Zweifel an der Mitgliedschaft in Putins Verteidigungsbündnis OVKS, wie die Journalistin Irina Ghulinyan-Gerz für die Heinrich-Böll-Stiftung analysierte. Paschinjan rügte sogar, Armenien habe vorangezahlte Waffen nicht erhalten. Im Dezember warf er Moskau vor, die Friedensmission erfülle ihre Aufgabe nicht. Im Januar sagte Armenien geplante Truppenübungen ab.
Noch hält das Bündnis einigermaßen: Am Samstag warf Russland Aserbaidschan vor, das Waffenstillstandsabkommen zu verletzen - russische Soldaten würden „Maßnahmen ergreifen“, um eine Eskalation zu verhindern. Doch der Kreml droht im Strafgerichtshof-Streit auch Armenien mit Konsequenzen.
Die Pläne Jerewans seien „absolut inakzeptabel“, zitierte die Staatsagentur Ria Nowosti einen nicht namentlich genannten Informanten aus Sergej Lawrows Außenministerium. Man habe die Kollegen vor „äußerst negativen Folgen“ für die Beziehungen mit Moskau gewarnt. Belastet sind die ohnehin: Armenien hat etwa Putins Top-Propagandistin Margarita Simonjan die Einreise ins Land untersagt, aus der Duma erklang der unheilvolle Vorwurf, Armenien sei ein unrechtmäßig von der Sowjetunion abgetrenntes „illegales Staatsgebilde“.
Putins Russland zieht sich Unmut zu: „Der Krieg in der Ukraine betrifft auch uns Armenier“
Ob die jüngsten Drohungen zünden, bleibt abzuwarten. Der ganze Konflikt könnte aber ein Zeichen dafür sein, dass Wladimir Putins „soft power“ unter den ehemaligen Verbündeten schwindet. Das britische Forschungsinstitut RUSI urteilte schon im November, Russlands Einflusssphäre im post-sowjetischen Raum „verkümmere“ - auch, weil das Land nicht mehr als erfolgreicher Vermittler auftrete. Im Armenien-Streit könnte das auch an Eigeninteressen liegen: Ghulinyan-Gerz zufolge will Russland Aserbaidschan als wichtiges Öl- und Gas-Transitland nicht verprellen.
Unterdessen kochen jedenfalls die Sorgen im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan weiter hoch: Laut einem Bericht der Deutschen Welle rüsten sich Zivilisten in Jerewan in paramilitärischen Trainings bereits für das Schlimmste. Im Hintergrund steht der Ukraine-Krieg: „Der Krieg in der Ukraine betrifft auch uns Armenier, weil dadurch ein Macht-Vakuum im Südkaukasus entstanden ist“, sagte Experte Tigran Grigoryan dem Sender. Einen Teil des Vakuums füllt die EU: Eine Beobachtermission ist in Grenzdörfern präsent. (fn)