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Bachmut von Russland erobert? Putin jubelt - Selenskyj und Ukraine schüren Verwirrung

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Von: Florian Naumann, Marcus Giebel, Christian Stör

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Seit Monaten tobt die Schlacht um Bachmut. Jetzt meldet Russland die Eroberung der Stadt. Dann sorgt eine Aussage von Selenskyj für Verwirrung.

Update vom 21. Mai, 22.30 Uhr: Noch immer ist unklar, ob Russland tatsächlich Bachmut vollständig erobert hat. Die Ukraine meldete am Abend weitere Vorstöße an der Front rund um die ostukrainische Stadt. „Speziell in den letzten 24 Stunden sind wir an einigen Teilstücken etwa 200 Meter vorgestoßen“, sagte der Sprecher der Heeresgruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, nun im Staats-Fernsehen. Bereits die ganze Woche sei das ukrainische Militär in der Umgebung der Stadt auf dem Vormarsch.

Die bei Bachmut eingesetzte 3. Sturmbrigade der Ukrainer erklärte, auf einem Frontabschnitt von 1700 Metern sogar 700 Meter vorgerückt zu sein. Tscherewatyj zufolge halten sich ukrainische Kräfte auch im Südwesten Bachmuts in einigen Gebäuden und Befestigungsanlagen verschanzt.

Das dementierte der russische Söldner-Boss Jewgeni Prigoschin: Es gebe in Bachmut keinen einzigen lebenden ukrainischen Soldaten mehr, behauptete er. Der Chef der Gruppe Wagner verkündete zugleich den Abzug seiner Einheiten ab 25. Mai. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben beider Seiten nicht. Ukrainische Kämpfer berichteten FR.de unterdessen vom Irrsinn der Lage in Bachmut.

Jewgeni Prigoschin in Militäruniform und mit russischer Flagge
Erklärt die Schlacht um Bachmut für gewonnen: Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin - hier in einem früheren Video aus dem Kampfgebiet - verkündet einen Sieg für Russland in der Ukraine. © Screenshot Telegram

Rätsel um Bachmut: Ukraine deutet sogar nahende Einkesselung an

Update vom 21. Mai, 15.30 Uhr: Die Unklarheit über die Lage im umkämpften Bachmut bliebt bestehen: Das ukrainische Militär hält nach eigenen Angaben weiter Teile der Stadt unter seiner Kontrolle. „Unsere Soldaten halten Befestigungsanlagen und einige Räumlichkeiten im Südwesten der Stadt“, sagte der Sprecher der Heeresgruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, nun im ukrainischen Fernsehen. Er räumte allerdings ein, die Lage sei kritisch und es gebe schwere Kämpfe. Am Samstag hatte das russische Militär bereits die Eroberung der Stadt verkündet. Unabhängig lassen sich die Angaben der Kriegsparteien nicht überprüfen.

Tscherewatyj nahm auch Stellung zu missverständlichen Äußerungen von Präsident Wolodymyr Selenskyj in Sachen Bachmut (siehe voriges Update). „Der Präsident hat es richtig gesagt - die Stadt ist praktisch dem Boden gleichgemacht“, sagte Tscherewatyj. Selbst bei einer Eroberung hätte die Stadt weder militärischen noch politischen Nutzen für die Russen, „aber sie führen sich auf, als hätten sie Dnipro eingenommen.“ Die Millionenstadt Dnipro ist das wichtigste Industrie- und Rüstungszentrum im Südosten der Ukraine.

Bachmut von Russland eingenommen? Selenskyj dementiert nun doch

Update vom 21. Mai, 13.20 Uhr: Die seit Monaten umkämpfte Stadt Bachmut ist nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht vollständig unter russischer Kontrolle. Nach dem G7-Gipfel im japanischen Hiroshima sagte Selenskyj am Sonntag: „Bachmut ist heute nicht von Russland besetzt worden.“ Selenskyj stellte damit eigene missverständliche, nicht eindeutige Aussagen zur militärischen Situation nach einem Treffen mit US-Präsidenten Joe Biden klar.

Update vom 21. Mai, 10.40 Uhr: Ist die Schlacht um Bachmut zu Ende? Russland hatte gestern die Kämpfe für entschieden erklärt und die vollständige Einnahme der Stadt im Osten der Ukraine verkündet. Heute nun äußerte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu. Bei seinem gemeldeten Eingeständnis, Bachmut sei verloren (s. auch Update v. 8.25 Uhr), könnte es sich aber um ein Missverständnis handeln. Seine Aussage war nämlich nicht eindeutig und kann unterschiedlich interpretiert werden. Das hängt davon ab, auf welchen Teil der Frage („Ist Bachmut noch immer in der Hand der Ukraine? Die Russen sagten, sie hätten Bachmut eingenommen“) sich Selenskyjs Antwort bezieht.

Selenskyjs Sprecher bestritt jedenfalls dessen Bestätigung eines etwaigen Verlusts von Bachmut. Der Präsident habe im Gegenteil die Einnahme der Stadt durch russische Truppen dementiert, erklärte Serhiy Nykyforow am Sonntag auf Facebook. Auch der Generalstab in Kiew schrieb in seinem morgendlichen Lagebericht: „Der Kampf um die Stadt Bachmut geht weiter.“

Schlacht um Bachmut: Selenskyjs Aussage sorgt für Verwirrung

Update vom 21. Mai, 9.15 Uhr: Die Aussage von Wolodymyr Selenskyj zur Schlacht um Bachmut sorgt derzeit für Verwirrung. Ein Journalist der Financial Times schrieb auf Twitter, er habe mit Selenskyjs Team gesprochen, das den Verlust von Bachmut nicht bestätigen wolle. Selenskyj habe gemeint, „die Stadt sei in dem Sinne verloren, dass sie vollständig zerstört sei“, so Christopher Miller.

Am Rande des G7-Gipfels in Hiroshima am Sonntag hatte ein Reporter Selenskyj gefragt, ob die Stadt noch in ukrainischer Hand sei. Der Journalist schob nach, die Russen hätten gesagt, dass sie Bachmut eingenommen hätten. Der ukrainische Präsident antwortete mit den Worten: „Ich glaube nicht.“ Selenskyj betonte, die Stadt sei fast vollständig zerstört. Es sei dort „nichts“ mehr übrig, sagte er, ohne zunächst nähere Angaben zur militärischen Lage vor Ort zu machen. Er sagte weiter: „«Es ist eine Tragödie.“ Aber heute sei Bachmut „nur in unseren Herzen“. Selenskyj dankte den ukrainischen Soldaten dort für ihren Einsatz.

Update vom 21. Mai, 8.25 Uhr: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat inzwischen den Verlust der Stadt Bachmut eingeräumt. Auf die Frage, ob Bachmut noch in den Händen der Ukraine sei, antwortet er: „Ich glaube nicht“, meldet der britische Sender Sky News.

Prigoschin verkündet vollständige Einnahme von Bachmut

Erstmeldung vom 20.Mai: Bachmut – Jewgeni Prigoschin hat sich im Ukraine-Krieg längst zum Sprachrohr der Invasoren entwickelt. Es vergeht kaum noch ein Tag, ohne dass sich der Chef der gefürchteten Wagner-Gruppe über einen seiner Kanäle zu Wort meldet. Seit einigen Monaten vor allem aus dem heftig umkämpften Bachmut.

Mal mit Hetze gegen die Führung der Ukraine um Präsident Wolodymr Selenskyj oder den Westen im Allgemeinen, dann wieder mit Schimpftiraden in Richtung Moskau. Denn mehrfach kritisierte der Söldner-Anführer die schlechte Ausrüstung der für Wladimir Putins imperialen Traum kämpfenden Truppen. Forderte mehr Nachschub. Schoss ganz generell gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, unter Putins Gefolgsleuten offensichtlich sein Lieblingsziel.

Alles Auftritte, die verdeutlichen, wie mächtig der 61-Jährige, der als „Putins Koch“ bekannt wurde, innerhalb der Invasoren längst geworden ist. Zweifellos zählt Prigoschin zu den Profiteuren des Feldzugs. Unabhängig von seinem Ausgang.

Schlacht um Bachmut: Prigoschin verkündet Eroberung der Stadt durch Wagner

Seinen Einfluss ließ der Gründer der Wagner-Gruppe auch erkennen, als er völlig überraschend den baldigen Rückzug seiner Untertanen aus Bachmut ankündigte. Die Washington Post schrieb sogar, Prigoschin sei so weit gegangen, den Ukrainern Informationen über die Stellungen der russischen Streitkräfte anzubieten. Was dieser jedoch dementierte. Für ähnliche Schlagzeilen dürfte seine jüngste Wortmeldung sorgen. Denn in einem an diesem Samstag auf Telegram veröffentlichten Video erklärte Prigoschin Bachmut für erobert.

„Wir haben komplett die ganze Stadt eingenommen“, tönt der Wagner-Chef, während er eine russische Flagge in der Hand hält. „Die Operation zur Einnahme von Bachmut hat 224 Tage gedauert“, ließ Prigoschin wissen und betonte, dass dieser militärische Erfolg – es wäre der erste nennenswerte der Invasoren in der Ukraine seit rund einem Jahr – allein seinen Leuten zu verdanken sei. Seine Grüße nach Moskau klangen so: „Wir haben nicht nur mit der ukrainischen Armee gekämpft, sondern auch mit der russischen Bürokratie, die uns Steine in den Weg gelegt hat.“

Hat Russland Bachmut erobert? Kiew widerspricht und erklärt Lage für „kritisch“

Unabhängig überprüfen lässt sich der Wahrheitsgehalt von Prigoschins Aussagen nicht. Allerdings waren die Angreifer laut den jüngsten Meldungen Straße um Straße vorgerückt, obwohl die ukrainische Militärführung die strategisch wichtige Stadt in der Oblast Donezk offenbar mit aller Macht halten wollte und trotz immenser Verluste keinen Rückzug befahl.

Kiew widersprach nun auch der Darstellung von Putins Vertrautem. Der für die Ostukraine zuständige Führungsstab der Streitkräfte betonte, die ukrainischen Soldaten würden weiter kämpfen. Hanna Maliar, stellvertretende Verteidigungsministerin, sprach von schweren Kämpfen und nannte die Lage „kritisch“. Ihr zufolge würden die Truppen der Verteidiger jedoch einige Industrie- und Infrastruktureinrichtungen im umkämpften Gebiet kontrollieren.

Briten ordnen Kampf um Bachmut ein: „Russland würde gewissen Erfolg im Konflikt verbuchen“

Zuvor hatten britische Geheimdienste gemeldet, dass Russland seine Kräfte in der Gegend verstärkt hätte. Das Verteidigungsministerium, das regelmäßig seine Einschätzung zum Kriegsgeschehen veröffentlicht, erklärte: „In den vergangenen vier Tagen hat Russland sehr wahrscheinlich mehrere Bataillone zur Verstärkung der Bachmut-Front eingesetzt.“

Dahinter wird eine Reaktion auf die taktischen Geländegewinne der Ukrainer an den Flanken der umkämpften Stadt vermutet. Ebenso könnte auch Prigoschins schon angesprochene Drohung, seine Söldner würden den Kampf um Bachmut einstellen, Russland zum Handeln getrieben haben.

Die Briten vermuten, dass Russland bereit war, sich für die Eroberung der quasi komplett zerstörten Stadt enorm zu strecken: „Die russische Führung betrachtet wahrscheinlich weiterhin die Eroberung Bachmuts als wichtigstes unmittelbares Kriegsziel, das es ihr ermöglichen würde, einen gewissen Erfolg im Konflikt zu verbuchen.“

Trümmer in Bachmut
Es war einmal eine Stadt: Bachmut wurde in den vergangenen Monaten dem Erdboden gleichgemacht. © IMAGO / SNA

Russland und die Schlacht um Bachmut: Nur noch symbolischer Wert für Putin?

Die herausgehobene Bedeutung der einst 80.000 Einwohner zählenden Stadt für Russland scheint sich damit zu erklären, dass sie nahe einer Fernstraße liegt, die in die von der Ukraine gehaltenen Großstädte Kramatorsk und Slowjansk führt. Allerdings gewannen die Verteidiger während der monatelangen Kämpfe die Kontrolle über die nahen Städte Lyman und Isjum zurück, womit die Einnahme von Bachmut für Putin wohl vor allem symbolischen Wert hätte. Immerhin könnte der Kreml-Chef seinem Volk mal wieder einen Sieg auf dem Schlachtfeld verkaufen.

Auf beiden Seiten sollen bei den Auseinandersetzungen mehrere Zehntausend Kämpfer gefallen sein. Die Zahl der Todesopfer unter den Zivilisten ist laut der Ukraine vierstellig. Wie bereits Mariupol ist auch Bachmut nach den Bombardements nicht mehr als Stadt wiederzuerkennen.

Ukraine und die Gegenoffensive: Verlust von Bachmut hätte wohl keine Auswirkungen

Fraglich ist auch, ob ein russischer Erfolg an diesem Teil der Front Auswirkungen auf die seit Wochen erwartete Gegenoffensive der durch den Westen hochgerüsteten ukrainischen Streitkräfte hätte. So gab es immer wieder Spekulationen, Kiew würde die Russen in Bachmut vor allem deshalb so intensiv beschäftigen, um deren Verteidigungsfähigkeit zu testen und in anderen Landesteilen auf weniger Widerstand zu treffen, wenn verlorene Gebiete zurückerobert werden sollen.

So mutmaßen Experten, die Ukraine könnte es nun auch auf die Halbinsel Krim abgesehen haben, die strategisch und symbolisch einen immensen Wert für beide Seiten besitzt. Mit deren Annexion im Jahr 2014 begann Putins Attacke auf das Nachbarland, die große Teile der Welt viel zu spät wahrhaben wollte. Es war der Anfang des sichtbaren Ukraine-Konflikts. (mg)

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