Putin droht mit Wettrüsten

In seiner Rede an die Nation kündigt der russische Präsident an, den letzten großen Abrüstungsvertrag auf Eis zu legen
Zum großen Schlag holte Wladimir Putin am Ende der Ansprache aus: Die Nato verlange, dass Moskau im Rahmen des New-Start-Vertrages über die Begrenzung strategischer Atomwaffen wieder westliche Inspektionen russischer Kernwaffenanlagen zulasse. „Das ist absurdes Theater. Wir wissen doch, dass westliche Fachleute und Technik an den Versuchen des Kiewer Regimes beteiligt waren, die Basen unserer strategischen Luftwaffe anzugreifen.“ Umgekehrt aber ließen die USA keine vollwertigen Inspektionen der russischen Seite bei sich zu. Deshalb, erklärte Putin, setze er die Teilnahme am New Start-Vertrag aus.
Dass Putin am Dienstag den letzten großen Abrüstungsvertrag zwischen Russland und den USA auf Eis gelegt hat, war mehr als nur die Schlusspointe seiner jährlichen Rede an Staatsduma und Föderationsrat. Das erst 2021 auf fünf Jahre verlängerte Vertragswerk beschränkt die Zahl atomarer Sprengköpfe der USA und Russland auf 1550 sowie auf 800 Trägersysteme.
Jetzt stellt Putin ein neues Wettrüsten in Aussicht, allerdings mit Vorbehalt: Er habe das Verteidigungsministerium angewiesen, alles für Atomtests vorzubereiten, diese werde man aber erst durchführen, wenn die Amerikaner ihrerseits nukleare Sprengsätze erprobten. Russland sei bereit, den Vertrag neu zu verhandeln. „Doch vorher müssen wir uns Klarheit verschaffen, was Länder wie Frankreich oder Großbritannien vorhaben und wie wir ihre strategischen Arsenale, also das gesamte Angriffspotential der Nato zu bewerten haben.“
Politologe: „Man hat sich daran gewöhnt, dass Putin mit Atomwaffen winkt“
Schon vor Putins 105-Minuten-Ansprache im Moskauer Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor wurde darüber spekuliert, mit welchen Worten er versuchen werde, Joe Bidens Auftritte am Montag in Kiew und am Dienstag in Warschau verbal zu toppen. „Einige Experten haben vorhergesagt, dass er den Ausstieg aus dem New-Start-Vertrag verkünden will, um dem Gegner Angst einzujagen“, sagt der Politologe Juri Korgonjuk. „Solche Drohungen mögen beim heimischen TV-Publikum Eindruck machen, aber in der Welt hat man sich daran gewöhnt, dass Putin mit Atomwaffen winkt.“ Es sei kaum zu erwarten, dass Russland jetzt beginne, ballistische Nuklearraketen am Fließband zu produzieren. „Die Industrie hat genug damit zu tun, ausreichend Artilleriegeschosse für die Front zu liefern.“

Verteidigungsminister Sergei Schoigu war übrigens in Zivil erschienen, er hörte von seinem Präsidenten kriegerische Worte. „Es ist unmöglich, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen.“ Allerdings vermied Putin Einzelheiten über die äußerst zähen Kämpfe in der Ukraine. Dafür wiederholte er noch einmal seine üblichen Vorwürfe gegen den Westen: Der hätte bei allen Friedensverhandlungen zum Donbass mit gezinkten Karten gespielt und den russischen Feldzug gegen die Ukraine unvermeidlich gemacht. „Sie haben den Krieg entfacht, wir setzen unsere Kräfte ein, um ihn zu beenden.“ Je mehr weitreichende Geschütze der Westen der Ukraine liefere, umso mehr sei man gezwungen, diese Drohung von Russlands Grenzen zu entfernen.
Putin: Atomstreitkräfte haben die neuesten Waffen
Putin verkündete, die eigenen Atomstreitkräfte seien zu 91,3% mit neuesten Waffensystemen versehen, nun gelte es, dieses Niveau bei allen anderen Waffengattungen zu erreichen. Gleichzeitig verkündete er, man werde den Mindestlohn um 18,5% auf 19 242 Rubel (242 Euro) erhöhen, versprach jedem Ukraine-Veteranen einen eigenen Sozialbetreuer, außerdem staatlich subventionierte Mietwohnungen für Rüstungsarbeiter:innen sowie 400 neu gebaute Schulen in diesem Jahr. Außerdem kündigte er weitere finanzielle Unterstützung für Veteranen an, sowie für die Familien von getöteten Soldaten. Putin wies die Regierung an, sich in Kooperation mit den einzelnen Regionen um die Einrichtung eines speziellen Staatsfonds zu kümmern.
Putins Rede dürfte das staatliche Haushaltsdefizit, das diesen Januar 1,776 Billiarden Rubel (22,3 Milliarden Euro) betrug, kaum verringern. „Wir haben alles, um unsere Sicherheit zu gewährleisten und die Voraussetzungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu schaffen“, versicherte er. Laut der stattlichen Agentur „RIA Nowosti“ wurde Putin 53-mal durch Applaus unterbrochen, viermal erhob sich das Publikum dazu. Besonders heftig klatschte der Saal, als Putin den zarischen Premierminister Pjotr Stolypin zitierte. „Wir alle müssen unsere Bemühungen, Pflichten und Rechte vereinigen, um das höchste historische Recht Russlands zu unterstützen: stark sein!“ Das hatte Stolypin im Jahr 1910 gesagt, sieben Jahre, bevor die Monarchie zusammenbrach. (mit dpa)