Putin: Bedingt kompromissfähig

Parallel zur russischen „Militäroperation“ gegen die Ukraine verhandelt der Kreml eifrig mit der Gegenseite. Wie ernst nimmt Moskau die Verhandlungen mit der Ukraine?
Kremlsprecher Dmitri Peskow hält das Treffen für verfrüht. „Zuerst müssen die Hausaufgaben gemacht werden“. Man müsse verhandeln und die Ergebnisse abstimmen. „Bisher gibt es einfach nichts zu fixieren.“ So oder ähnlich reagiert Peskow seit Wochen auf immer neue Forderungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach einem persönlichen Treffen mit seinem Chef Wladimir Putin. „Man muss jedes Format, jede Chance nutzen“, so der Ukrainer, „damit sich die Möglichkeit von Verhandlungen, die Möglichkeit eines Treffens mit Wladimir Putin ergibt.“
Der ukrainische Präsident möchte den blutigen Konflikt offenbar Aug in Aug mit Putin lösen. Der Kreml aber sähe es wohl am liebsten, wenn Selenskyj bei solch einem Gipfel nur noch die eigene Kapitulation unterzeichnet. Was die russische Seite nicht daran hindert, parallel zu erbitterten Kämpfen um Kiew, Charkow oder Mariupol mit dem Gegner zu verhandeln. Es sind sehr schräge Verhandlungen, mal meldet die ukrainische Seite eine in wenigen Tagen bevorstehende Einigung, mal wirft die russische Gegenseite der Ukraine vor, Zeit zu schinden.
Wie ernst meint es Moskau?
Aber wie ernst nimmt Moskau diese Verhandlungen selbst? Und wie kompromissfähig ist Wladimir Putin noch?
Am 24. Februar schlugen die ersten russischen Raketen ein, am 28. Februar setzten sich Unterhändler beider Seiten das erste Mal an einen Tisch im belarussischen Grenzgebiet Gomel. Russland demonstrierte von Beginn an wenig Wertschätzung für die Gegenseite. Ihr Verhandlungsführer war Wladimir Medinski, Putin-Berater, Ex-Kulturminister und Vorsitzender der russischen militärhistorischen Gesellschaft. Bis dahin mehr als Propagandist denn als Diplomat bekannt. Aber die ukrainische Verhandlungsgruppe, zu der immerhin Verteidigungsminister Alexei Resnikow gehörte, konterte mit einer über achtstündigen Verspätung.
Man trennte sich ohne Ergebnisse, traf sich aber am 3. März wieder. Und handelte immerhin „humanitäre Korridore“ für die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus mehreren umkämpften Städten aus. Eine dritte Verhandlungsrunde sowie ein Treffen der Außenminister in der Türkei blieben ohne öffentliche Resultate.
Selenskyj: „Miteinander reden, statt mit Ultimaten um sich werfen“
Aber inzwischen laufen fast täglich Videokonferenzen. Am 11. März sprach Putin von „bestimmten positiven Bewegungen“, Selenskyj erklärte einen Tag später, man habe angefangen „miteinander zu reden, statt mit Ultimaten um sich zu werfen“.
Anfang März hatte Peskow erklärt, man verlange eine neutrale Ukraine, die die ostukrainischen Rebellenrepubliken „LNR“ und „DNR“ sowie die Krim als Teil Russlands. Und Außenamtssprecherin Maria Sacharowa versicherte, man wolle die ukrainische Regierung nicht stürzen.
Es bleibt unklar, auf welcher Kompromisslinie sich beide Parteien treffen könnten. Laut Medinski verhandelt man inzwischen über eine blockfreie Neutralität ohne ausländische Militärbasen aber mit eigener Armee.
Ukraine: Nur die Gebietsfragen blieben ungeklärt
Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versicherte am Freitag, in vier von sechs Punkten herrschten schon Einigkeit: kein Nato-Beitritt der Ukraine, offizieller Status der russischen Sprache, keine Angriffswaffen in der Ukraine, kollektive Sicherheit. Nur die Gebietsfragen blieben ungeklärt.
Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak aber fordert eine vertraglich verbindliche Sicherheitsgarantie, in deren Rahmen sich auch westliche Staaten zum militärischen Beistand im Fall eines künftigen Angriffs verpflichten müssten. Auch ihre Zustimmung müsste zuerst verhandelt werden.
Der Moskauer Politologe Boris Meschujew erwartet am Ende kein schriftliches Vertragswerk, sondern eine provisorische Vereinbarung. „Der Status von Donbass und Krim wird auf die Zukunft verschoben, eingefroren wie etwa der Nordzypern-Konflikt.“
„Die Verhandlungen sind kein Fake“
Außerdem wird in Moskau gerätselt, welche Eingeständnisse Putin angesichts seiner eigenen Ziele noch machen kann. Die von ihm geforderte „Demilitarisierung“ der Ukraine scheint vom Verhandlungstisch zu sein. Die Parole von der „Denazifizierung“ dagegen tönt weiter durch die Talkshows des russischen Staatsfernsehens. Unklar bleibt auch, ob die Russen die von ihnen besetzte Landbrücke zwischen Donbass und Krim freiwillig räumen werden. „Aber wenn Putin morgen mit einer zumindest neutralen Ukraine Frieden machen will, werden die Staatsmedien das als großen Sieg bejubeln“, vermutet der russische Politologe Juri Korgonjuk. „Und die Öffentlichkeit wird es schlucken.“ Putin hat die Möglichkeit, sich zumindest bedingt kompromissfähig zu zeigen.
„Die Verhandlungen sind kein Fake“, sagt Meschujew. „Und Russland ist nicht daran interessiert, sie hinauszuzögern“. Dagegen wollten die USA die Kämpfe in der Ukraine soweit wie möglich verlängern. „Joe Biden tut alles, damit Russland möglichst hohe moralische, finanzielle und menschliche Verluste erleidet.“