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Prozess gegen IS-Rückkehrerin: Jennifer W. ließ Mädchen verdursten

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Jesidische Flüchtlinge im Nordirak im Jahr 2014. Angehörige der Minderheit wurden vom „Islamischen Staat“ verfolgt.
Jesidische Flüchtlinge im Nordirak im Jahr 2014. Angehörige der Minderheit wurden vom „Islamischen Staat“ verfolgt. © Ahmad Al-Rubaye/afp

In dem Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Jennifer W. stehen schwere Vorwürfe im Raum. Trotz Widersprüche gibt es jetzt ein klares Urteil.

München – Es war ein schwieriger Fall, in dem das Oberlandesgericht München unter dem Vorsitzenden Richter Reinhold Baier am Montag zu urteilen hatte. Umso erstaunlicher, dass sich nach Urteilsverkündung alle Beteiligten recht zufrieden gaben. Zehn Jahre Haft, so lautet das Urteil gegen die IS-Rückkehrerin Jennifer W. Die Liste der Taten, die das Gericht als erwiesen betrachtet, ist lang und im negativen Sinne beeindruckend: Beihilfe zum versuchten Mord, Beihilfe zu versuchten Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Vor allem lastete das Gericht der Angeklagten an, 2015 in Falludscha dem Tod eines fünfjährigen Mädchens tatenlos zugesehen zu haben, das ihr Mann und sie gemeinsam mit dessen Mutter als Sklavinnen gehalten hatten. Ihr Mann, der Iraker Taha al-J., habe das Kind in der sengenden Sonne an ein Fenster gefesselt, bis es bewusstlos wurde und starb. Die Aktion sollte eine Strafe dafür sein, dass das Mädchen eingenässt hatte. Taha al-J. steht deswegen derzeit in Frankfurt am Main vor Gericht.

Urteil gegen IS-Rückkehrerin Jennifer W. löst viel Zustimmung aus

Wie W. selbst das Urteil aufnahm, ist nicht bekannt. Nachdem die Kameraleute den Saal verlassen hatten, legte sie den Aktenordner ab, hinter dem sie ihr Gesicht verborgen hatte, hörte das Urteil, setzte sich und verfolgte die Urteilsbegründung mit vor sich auf dem Tisch gefalteten Händen weitgehend regungslos.

Ihr Anwalt Ali Aydin jedoch ist gut gelaunt. „Ich bin glücklich“, sagt er. Er sieht in dem Urteil eine Klatsche für die Bundesanwaltschaft, die „mit allen Tricks gearbeitet“ habe. Oberstaatsanwältin Claudia Gorf wiederum, Vertreterin ebenjener Behörde, tritt wenig später nicht weniger freudestrahlend aus dem Gerichtsgebäude und sagt, das Gericht sei der Anklage in allen wesentlichen Punkten gefolgt. Der Prozessbeobachter Saeed Qasim Sulaiman von der Nichtregierungsorganisation Farida, die höhere Aufmerksamkeit auf den Völkermord an Jesid:innen lenken will, spricht von einem „historischen Tag“. Und auch der Religions- und Politikwissenschaftler Michael Blume, der in dem Prozess als Gutachter ausgesagt hatte, zeigte sich auf Twitter froh über das „sehr klare Urteil“. Selten löst ein Gerichtsurteil so viel Zustimmung aus.

Eine klare Sache war der Fall dagegen nie. Wer will sich schon anmaßen, wirklich sagen zu können, was im Detail vor sechs Jahren in 4000 Kilometern Entfernung im Hause von Taha al-J. und Jennifer W. passierte?

Urteil in München: Jennifer W. schloss sich 2014 dem IS an

Jennifer W., so viel ist unstrittig, stammt aus dem niedersächsischen Lohne und ist mit 21 Jahren zum Islam konvertiert. 2014 entschloss sie sich, nach Syrien zu reisen und sich dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Dort heiratete sie den Iraker Taha al-J. und ging mit ihm nach Falludscha. Die Jesidinnen Nora T. und ihre Tochter waren zu der Zeit schon als Sklavinnen bei ihrem Mann. Ihr Schicksal steht stellvertretend für das von mindestens 5000 Frauen und Mädchen, die versklavt, verkauft und vergewaltigt wurden, wie Richter Baier erinnerte. Und mit ihrer IS-Mitgliedschaft habe Jennifer W. die „Vernichtung der jesidischen Religion“ und die „Versklavung des jesidischen Volkes“ unterstützt.

Worauf sich die Bundesanwaltschaft bei ihren Vorwürfen stützt, sind vor allem Aussagen von Jennifer W. selbst. Nicht gegenüber Polizei oder Gericht, sondern in einem Chat und auch gegenüber einem FBI-Mann, dem sich Jennifer W. 2018 anvertraut hatte – im Glauben, es handele sich um einen Gleichgesinnten. Dazu kommt die Zeugenaussage von Nora T., der Mutter des getöteten Mädchens.

Urteil über IS-Rückkehrerin: Widersprüchliche Aussagen erschweren Urteilsfindung

Als schwierig erwies sich, dass Nora T.s Aussagen nicht immer belastbar waren. T., die in dem Prozess als Nebenklägerin auftrat, wirkte im Zeugenstand immer wieder verwirrt. Regelmäßig verstrickte sie sich in Widersprüche. Dass das Gericht dennoch keine Zweifel an der Richtigkeit der Anklagepunkte hatte, begründete Richter Baier damit, dass die Aussage von Nora T. in zwei wesentlichen Punkten mit dem übereinstimmte, was Jennifer W. vor ihrer Festnahme in einem Chat und dann dem FBI-Mann erzählt hatte: dass das Mädchen gestorben und Taha al-J. deshalb vor ein IS-Gericht gestellt worden sei.

Die Angeklagte, so begründete Baier das Urteil weiter, habe damit rechnen müssen, dass das Kind sich in Lebensgefahr befand. Trotzdem habe sie nichts unternommen. Dies wäre aber „möglich und zumutbar“ gewesen. Jennifer W. hatte ausgesagt, sie habe sich nicht getraut, dass Kind aus seiner Lage zu befreien. Sie habe Angst vor ihrem Ehemann gehabt, befürchtet, von ihm „geschubst oder eingesperrt“ zu werden. Eine Begründung, die das Gericht wenig beeindruckte. (Dominik Baur)

Auch nach Hessen sind IS-Mitglieder zurückgekehrt: Dabei ging es vor allem um die Kinder.

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