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Private Städte – exklusiv und antidemokratisch

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Blick von einem Hügel über Bananenstauden und eine kleine Ortschaft. Am Horizont ist das Meer zu sehen.
Im westafrikanischen Staat São Tomé und Príncipe soll angeblich bereits eine Fläche für eine Privatstadt gefunden worden sein. © AFP/Adrien Marotte

Libertäre Unternehmen wollen den Staat aus der Stadt verbannen und einer ausgewählten Kundschaft rechtliche Privilegien bieten. Der Markt soll alles regeln – im Interesse des Profits.

Frankfurt – In der „Goldkammer Frankfurt“ glänzt sogar die Projektionsfläche für Vorträge. Darauf zu sehen sind Skizzen einer privaten Stadt. Sie soll etwa 200 Hektar groß werden, in einem afrikanischen Land liegen und ihre Tore nur für eine besondere Klientel öffnen. Die Zuhörerschaft beim Vortrag besteht hauptsächlich aus weißen Männern. Titus Gebel stellt das Projekt einer Privatstadt vor oder wie er es lieber nennt: einer Sonderentwicklungszone. Das Vorhaben schreite voran, mit einem Politiker der Regierungspartei des Landes, das Gebel nicht nennt, seien Gesetz und Vertrag zum „Staat im Staat“, wie es der ominöse Politiker genannt haben soll, bereits ausgehandelt. Bis zum Ende des Winters sollten formelle Vorarbeiten abgeschlossen sein, sagte Gebel.

Die „Geld-Konferenz“ in der „Goldkammer Frankfurt“ wurde im September 2021 ausgerichtet von der Atlas-Initiative, hinter der Markus Krall steckt. Krall ist auch Geschäftsführer von Degussa Goldhandel. Die Frankfurter Rundschau hat während der Recherchen für diesen Artikel sowohl Titus Gebel als auch Markus Krall Fragen gemailt. Beide ließen über Anwälte mehrseitig antworten, doch öffentlich zitieren lassen wollen sie sich nicht. Weltweit sind derzeit mehrere Privatstadt-Projekte in der Entwicklung oder im Bau, unter anderem in Honduras. Die Firma, für die Titus Gebel die Projekte vorantreibt, heißt Tipolis, die Kontaktadresse befindet sich in Panama.

Privatstädte suchen gezielt politisch schwache „kleine Staaten“

Das Vorgehen bei diesen Projekten ähnelt sich. Die Privatstadt-Firmen gingen gezielt „auf kleine Staaten zu“, wie Titus Gebel freimütig ausführte. In solchen politisch vergleichsweise schwachen Staaten sollen also die exklusiven Orte entstehen. Parallel werden Tochtergesellschaften in wirtschaftlichen Partnerländern dieser kleinen Staaten aufgebaut. Der Grund: Sollte es zwischen der Privatstadt und dem Land, auf dessen Fläche die Privatstadt sich befindet, einen Konflikt geben, kann das Privatstadtunternehmen mit internationalen Schiedsgerichtsverfahren drohen. Einige wenige Bewohner:innen in einer Privatstadt hätten somit viel Macht gegenüber einem ganzen Land.

Einige Kinder in Sao Tome und Principe stehen am Ufer und werfen Angelschnüre aus. Sie versuchen, Fische zu fange, um sie auf dem Markt zu verkaufen.
Die Planer von Privatstädten suchen sich gezielt politisch und ökonomisch schwache Regionen für ihre elitären Projekte. (Archivbild, 2014) © dpa/Andre Kosters

Die Projektstadt, die Gebel in Frankfurt vorstellte, war noch namenlos. Die Umrisse der Landkarte dienten als ein Indiz, um herauszufinden, wo es sich befinden soll. Nach einem Aufruf von mir auf Twitter machten Nutzerinnen und Nutzer binnen einer Stunde anhand der Küstenlinien den Inselstaat aus, in dem die Privatstadt entstehen soll: Demnach handelt es sich um den Nordwesten der Insel São Tomé des afrikanischen Kleinstaates São Tomé und Príncipe.

Mit diesen Informationen ließen sich weitere Puzzleteile finden. Das auf Wirtschafts- und Politiknachrichten spezialisierte Fachportal „Africa Intelligence“ berichtete im Mai 2021 von der Firma „STP Prosperity“ auf Mauritius, mit der Titus Gebel eine Privatstadt gründen wolle. Mauritius ist einer von drei Staaten, mit denen São Tomé und Príncipe (STP) ein Investitionsschutz-Abkommen hat.

Verfassungänderung für private Städte – Entwickler wenden zweifelhafte Methoden an

Noch gibt es keine behördliche Bestätigung für das Vorhaben. Und in den Medien von São Tomé finden sich keine Hinweise auf die geplante 30.000-Einwohner-Stadt. Die Entwickler solcher Privatstädte wenden bei der Verfolgung ihrer Ziele zweifelhafte Methoden an. Was das heißt, das hat der honduranische Anwalt Oscar Hendrix auf der Insel Roatán miterlebt. Dort soll die Privatstadt Próspera entstehen. Auch in dieses Projekt investiert Titus Gebel.

Zunächst ging Oscar Hendrix, wie andere auch, davon aus, dass es sich um eines von vielen Tourismusprojekten handele. Ähnliches berichtete der Bürgermeister einer Gemeinde im Südwesten von Honduras, wo die Privatstadt Orqidea entsteht. Landesweit habe die Opposition es damals nicht geschafft, gegen die Gesetzes- und Verfassungsänderungen zu mobilisieren, mit denen der Staat einen Teil seiner Souveränität an Privatstadtunternehmen abgeben könne, sagt Oscar Hendrix.

Hinter den Verfassungsänderungen von 2013 steckt ein rechtslibertäres Milieu, welches bereits in den 1970/80er Jahren den Putsch von Pinochet als „Schocktherapie“ (Milton Friedman) zur Zerstörung sozialstaatlicher Errungenschaften nutzte. Patri Friedman, Enkel von Milton Friedman, und Mark Klugmann, Gründer des „Internationalen Zentrums zur Rentenreform“ in den 1980er-Jahren in Chile, haben allerdings den Privatisierungswahn von Chile weiterentwickelt und letztlich radikalisiert.

Ideologie: Profit statt Gemeinwohl

Zur Privatstadt-Idee:
„Besser, billiger und freier“ als bestehende Typen von Städten – und „Profit-orientiert“, so beschreibt Titus Gebel das Ideal einer privaten Stadt. Gebel gehört zu den Vordenkern dieser Art von Städten, die letztlich Unternehmen sind und die vor allem demokratische Prinzipien des Zusammenlebens infrage stellen. Die Ideologie hinter den Privatstadtprojekten kritisiert, dass das allgemeine Wahlrecht demokratisch verfasster Staaten diese zu Wohlfahrtsstaaten mache und damit die Elite und den Fortschritt bremse. Wirtschaftliche Investitionen seien daher in Zonen zu tätigen, die von demokratischer Kontrolle befreit seien.

Diese elitäre Verachtung der „Massendemokratie“, die vor allem in den „Mises Instituten“ vorangetrieben wird, teilen Protagonisten der Privatstadtprojekte. Hinzu kommt ein kapitalistischer Technizismus in Bereichen wie beispielsweise Fracking, Atomenergie, Medizin, BigData und Kryptowährung, der sich staatlich-demokratischer Kontrolle entziehen will. Die bisherigen Privatstadtprojekte sehen sie als Labore, in denen wiederholbare Standards der Umzonung von Staats- in Privatterritorien mit eigenen Gerichtsbarkeiten entwickelt werden.

Anhänger:

Patri Friedman: In einem Interview mit dem Schweizer „Monat“ betonte Friedman seine Familientradition: Sein Großvater Milton Friedman habe (unter anderem in Chile unter Pinochet) die Idee des Neoliberalismus verbreitet; sein Vater David Friedman habe sie zum Anarchokapitalismus radikalisiert; er, Patri Friedman, verwirkliche nun die Idee mit Privatstädten. 2012 organisierte Friedman auf der honduranischen Insel Roatán eine Privatstadt-Konferenz.

Peter Thiel: PayPal- und Palantir-Mitgründer; ehemaliger Unterstützer von Donald Trump. Kritisierte Sozialhilfe und Frauenwahlrecht, als er mit einer Spende das Privatstadtprojekt Seasteading Institute von Friedman 2008 zum Laufen brachte. 2020 steckte er weitere Millionen in Friedmans Privatstadt-Fund Pronomos Capital.

Shanker Singham: ehemaliger Handelsberater von Boris Johnson; „Brexit-Brain“ (The Guardian). Entwickelt mit Erick Brimen seit 2013 Privatstadt-Projekte. Gemeinsame Publikationen mit Daniel A. Gottschald (TU München) zu einer Post-Corona-Weltwirtschaft, die sich auf Unternehmerstädte konzentriere.

Erick Brimen: entwickelte mit Shanker Singham am Babson College die Privatstadt-Idee; gründete dort NeWay Capital und später Honduras Próspera Inc. als Betreiber der Privatstadt Próspera auf der Insel Roatán in Honduras.

Titus Gebel: bis 2014 Geschäftsführer der Deutsche Rohstoff AG. Finanziell an zwei Sonderentwicklungszonen in Honduras beteiligt. Eine weitere Privatstadt ist in São Tomé und Príncipe geplant. Organisierte 2019 mit Daniel A. Gottschald (Technische Universität München international) eine Investorenkonferenz für Próspera und 2021 im staatsfeindlichen Modelhof (Schweiz) eine internationale Privatstadtkonferenz.

Erst nachdem ein Video über eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Anwohner:innen und einem Gründer des Privatstadtunternehmers von Próspera viral gegangen war, entwickelte sich zunehmend Widerstand gegen die Privatstadtprojekte. Inzwischen haben sich mehr als 180 Gemeinden in Honduras als „frei von Privatstädten“ erklärt.

Oscar Hendrix bleibt aber skeptisch. Selbst wenn das neue honduranische Parlament mit einer gestärkten Linken die Verfassungsänderung zurücknehmen sollte, könnten sich die Privatstadtunternehmen auf die Verträge berufen und mit Investitionsschutzklagen vor ein internationales Schiedsgericht ziehen. Das Privatstadtunternehmen „Honduras Próspera Inc.“ ist in Delaware/USA registriert. Im Aufsichtsgremium CAMP sitzen überwiegend Nicht-Honduraner:innen, zumindest in der Anfangsphase war auch die Österreicherin und ehemalige Politikerin der rechtspopulistischen FPÖ, Barbara Kolm, die Vorsitzende von CAMP.

Entwickler von Privatstädten: Die Demokratie ist „von Natur aus kaputt“

Den Privatstadtunternehmen liegt die Ideologie zugrunde, die die Anhänger:innen selbst als „Libertarismus“ oder „Anarcho-Kapitalismus“ bezeichnen. Korrekter ist aber die Bezeichnung „Proprietarismus“, da es nicht um Freiheit oder gar Herrschaftsfreiheit geht, sondern um die Interessen von Eigentümern (proprius, lateinisch: Eigentum). So gründete Titus Gebel die Firma „Free Private City Inc.“ mit dem Niederländer Frank Karsten, der sein Buch „Beyond Democracy“ mit Sätzen wie diesem einleitet: „Die Demokratie ist ein kollektivistisches System und ist von Natur aus kaputt, genau wie der Sozialismus.“

Demokratische Elemente westlicher Staaten, soziale Fürsorge oder Teilhabe widersprechen offenbar den Zielen von Gebel & Co. So gab Gebel im vergangenen Jahr bei einer Diskussion Markus Krall recht, der sagte, das Grundproblem liege im Wahlrecht für Menschen, die nur Leistungen empfingen. Krall, Geschäftsführer von Degussa Goldhandel, sprach sich in einem Interview mit der österreichischen Weltwoche im November 2020 dafür aus, eine andere Gesellschaft zu erkämpfen. In seinen beiden jüngsten Büchern forderte er die Abschaffung des Wahlrechts für Menschen, die Geld vom Staat erhalten.

Erklärtes Ziel der Privatstädte: „Radikalisierung des Neoliberalismus“

Man wolle die „Radikalisierung des Neoliberalismus“, Rechte von Mieter:innen und Arbeiter:innen müssten abgeschafft werden, forderte auch der deutsche Architekt Patrick Schumacher am 5. Dezember 2018 in der Wochenzeitung Die Zeit. Sein Londoner Architekturbüro Zaha Hadid entwirft Wohnungen für die Privatstadt Próspera, er selber ist offizieller Berater des Projekts. Gebel äußert sich nicht zu solchen umstürzlerisch klingenden Ideen. Er propagiert aber in der Neuen Züricher Zeitung seine Kritik an westlichen sozialen Staatssystemen und wirbt für seine Privatstädte-Idee, also Sonderentwicklungszonen, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich, administrativ und politisch möglichst autonom sind.

In Próspera beispielsweise können die Einwohner:innen nur zwei der acht Stadträt:innen bestimmen, vier sind dem Unternehmen und zwei den Landbesitzer:innen vorbehalten. Wer dort wohnen will, muss vorher unterschreiben, dass er mit der Ideologie einverstanden ist. Gebel will dort beispielsweise keine Menschen haben, die er für „Kommunisten“ hält. Er gilt als Architekt des Vertrags „Agreement of Coexistence“, den man als Einwohner:in mit der Honduras Próspera LLC abzuschließen hat. Dort erkennt man den „Master Plan“ des Unternehmens an, zudem hat man eine jährliche Gebühr zu bezahlen.

Privatstadt-Planung bis 2020 von Technischer Universität München unterstützt

Darüber hinaus hat man zur Kenntnis zu nehmen, dass das Unternehmen den Beitritt zu einer Haftpflichtversicherung empfiehlt, denn der Staat wird durch ein System aus Versicherungsgesellschaften und Schiedsgerichten ersetzt. Innerhalb des ersten Jahres kann das Unternehmen ohne Nennung von Gründen die Mitgliedschaft kündigen. Irritierend ist, dass Gebel trotz solcher Ideen 2019 auf der 5. Jahrestagung Öffentliches Bauen, einer Gemeinschaftsveranstaltung des Landes Hessen und des Zeit-Verlags, die Keynote zu Privatstädten halten durfte. Noch irritierender ist, dass die TUMint, hundertprozentige Tochter der Technischen Universität München, 2019 zusammen mit Titus Gebel eine Investorenkonferenz für Próspera veranstaltete und in der Folge bis Ende 2020 die Privatstadt mitentwickelte – bis sie laut der Neuen Züricher Zeitung sich „aufgrund von Menschenrechtsbedenken zurückgezogen“ habe.

Auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau wollte sich das Münchner Unternehmen zu der wohl geplatzten Kooperation nicht äußern. Selbst der deutsche Botschafter in Honduras, Jens Janik, war im entstehenden Próspera Ende Juli 2021 zu Besuch. Ohne ersichtliche Kritik sprach er anschließend von einer „wertvollen Erfahrung“. Ende November 2021 wählten die Menschen in Honduras eine neue Regierung, die versprochen hatte, die Privatstadtprojekte abzuschaffen. Dafür braucht sie allerdings eine qualifizierte Mehrheit im Parlament – und sie muss sich auf internationale Schiedsgerichtsverfahren einstellen. (Andreas Kemper)

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