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Präsidentschaftswahl: Nigerias Fels

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Von: Johannes Dieterich

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Peter Obi, der Mann, der Nigerias Wahlen auf den Kopf stellen könnte.
Peter Obi, der Mann, der Nigerias Wahlen auf den Kopf stellen könnte. © Pius Utomi Ekpei/afp

Diesen Samstag wählt Nigeria einen neuen Präsidenten. Peter Obi verkörpert die Hoffnungen der Jugend – ein Porträt

Er besitze lediglich zwei Paar Schuhe von der britischen Mittelstands-Ladenkette „Marks and Spencer“, trage lieber einen Stein-Mart-Anzug für 200 Euro als einen für 4000 Euro von Tom Ford, heißt es über Peter Obi. Bei Reisen pflege er seinen Koffer selbst zu schleppen.

Als Gouverneur des südnigerianischen Bundesstaats Anambra ließ er seinen Konvoi um 13 Fahrzeuge verkleinern, nachdem diese stets nur leer mitfuhren. Seine Gegner nennen ihn einen „Geizkragen“ oder einen, „der die Armut verherrlicht“. Aber seine Fans sehen in ihm einen David, der gegen gleich zwei Goliaths antreten muss: Peter Obi ist vom Klischee eines nigerianischen Big-Man-Präsidenten soweit entfernt wie Robin Hood vom Sonnenkönig Louis XIV. Vor allem für junge Menschen ist er ein Hoffnungsträger, der einzige, noch zuzutrauen ist, den bevölkerungsreichsten Staat Afrikas vor dem Ruin zu retten.

Tödliche Gewalt

Mehr als 93 Millionen Nigerianer:innen können an diesem Samstag ihre Stimme für einen neuen Staatschef abgeben: der am heißesten umkämpfte Urnengang in der Landesgeschichte, meint Abiodun Adeniyi, Professor an der Baze University in der Hauptstadt Abuja: So wurde am Mittwochabend ein Kandidat der oppositionellen Labour Party in seinem Auto erschossen und in Brand gesetzt, als er auf dem Weg von einer Wahlkampfveranstaltung im südöstlichen Bundesstaat Enugu war. Ebenfalls in Enugu verbrannte ein Mitglied der oppositionellen People’s Democratic Party (PDP) bei einem Angriff mit einem Molotow-Cocktail. Ein Angriff auf einen Kandidaten des regierenden All Progressives Congress sei verhindert worden, teilte die Polizei am Donnerstag mit.

Seit dem Ende der Epoche der Militärdiktaturen vor fast 25 Jahren ist diese Abstimmung die erste, in der es nicht nur um zwei austauschbare Parteien und zwei von der Senilität nicht weit entfernte Kandidaten geht: Erstmals ist eine dritte Kraft im Rennen, die das müde Ritual des Wahlgangs in einen aufregenden Akt politischer Mitbestimmung verwandelt. Bei den vergangenen Malen quälte sich nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten unter 35 Jahren aus dem Bett. Dieses Mal sind über 70 Prozent der Erwachsenen, die die zeitaufwendige Prozedur der Wahlregistrierung über sich ergehen ließen, in dieser Alterssparte.

Alte Kaufmannsschule

Ihre Hoffnung? Dass sich Peter Obi als Präsident genauso erfolgreich wie als Gouverneur erweisen wird. Dort hatte der Geschäftsmann den Haushalt innerhalb von acht Jahren vom nahen Kollaps in ein Überflussbudget verwandelt – und auch noch zahlreiche Straßen und Schulen bauen lassen. Als der einstige Philosophiestudent, der das Wirtschaften bei seinem Kaufmanns-Vater gelernt hatte, 2007 zu regieren begann, wurde er geringschätzig „Obi-Boy“ genannt. Doch als er seinen Stuhl nach der zweiten Amtszeit vorschriftsmäßig räumte, wurde er Chief ehrenhalber mit dem Beinamen „Okwute“ (der Fels).

Wahlen in nigeria

Im westafrikanischen Nigeria leben geschätzt 225 Millionen Menschen, fast 95 Millionen davon sind heute aufgerufen, ihren Präsidenten (es treten nur Männer an), die Nationalversammlung und regionale politische Vertretungen zu wählen. Am 11. März werden dann die Landesparlamente der 36 Bundesstaaten gewählt sowie zahlreiche Gouverneur:innen.

Frauen werden bei den diesjährigen Wahlen wohl eine noch geringere Rolle spielen als in der Vergangenheit ohnehin schon. Nach Einschätzung der Nigeria-Expertin Marija Peran von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Abuja sei davon auszugehen, dass nur rund sechs Prozent der in diesem Jahr Gewählten in Nigeria Frauen sein werden. fab

Obis heutiges Mandra lautet: Nigeria verwandeln von einem Land, das lediglich konsumiert, in ein Land, das produziert. Mit 61 ist auch Obi nicht mehr gerade jung. Doch sein Tatendrang unterscheidet ihn von seinen Konkurrenten Bola Tinubu (70) und Atiku Abubakar (76): Beide stehen für die Vergangenheit, die Nigeria nur Rezession, Gewalt und Armut brachten. Abubakar kandidiert zum sechsten Mal als Präsident, der tatterige Tinubu gilt als Königsmacher mehrerer früherer Staatschefs, der mit dem Motto „Jetzt bin ich an der Reihe“ antritt. Ein entlarvender Slogan: In Nigeria geht es traditionell nicht um die Wählenden, sondern um den Gewählten.

Unter dem „Geizkragen“ Obi werde das nicht passieren, hoffen seine Fans. Zwar gehört auch er zu den Wohlhabenden: Er habe das jedoch alles selbst erarbeitet und nichts aus dem Staatssäckel geklaut, attestiert man ihm.

Ein Drittel unentschlossen

Auch Obi gehörte bis vor einem Jahr einer der beiden „Volksparteien“, der PDP, an: Erst als er merkte, dass er gegen die alte Garde keine Chance hatte, wandte er sich der dahinsiechenden Labour Party zu, die bislang höchstens mit fünf Prozent der Stimmen rechnen konnte. Umfragen platzieren Obi jetzt auf Platz 1: Ihm werden rund 15 Prozent mehr als Tinubu (rund 15 Prozent) und Abubakar (12 Prozent) vorausgesagt. Das Problem mit diesen Erhebungen: Sie wiesen fast ein Drittel Unentschlossene auf und wurden nur unter Leuten mit Smartphone durchgeführt.

Und genau die sind Obis Klientel: der junge urbane Mittelstand, der sich vom korrupten Status quo bislang entweder zum inneren oder zum geographischen Exil gezwungen sahen. Vor zwei Jahren hatten diese Yuppies ein Aha-Erlebnis, as sie wegen der ständigen Übergriffe einer skrupellosen Sondereinheit der Polizei auf die Straße gingen und tatsächlich auch deren Auflösung erreichten. Allerdings erst, nachdem ein Dutzend ihrer Aktivist:innen niederkartätscht worden waren. Diesmal soll die Veränderung friedlich und per Wahlzettel geschehen.

Ob es gelingt, ist fraglich. Skeptische meinen, Obi fehle die Maschinerie einer Volkspartei. Der christliche Igbo aus dem Südosten sei auch im muslimischen Norden so gut wie gar nicht bekannt. Der Traum, dass die vor allem in drei ethnische Blöcke (Hausa, Yoruba und Igbo) sowie zwei Religionen gespaltete nigerianische Gesellschaft eine gemeinsame Stimme finden könne, sei unrealistisch, warnt ein Pastor in Abuja. Womöglich gelinge das erst, wenn auch Obi ein Greis ist.

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