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Wackelt Putin? Elite in Russland denkt bereits über Zukunft ohne ihn nach

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Von: Felix Durach

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Russlands Präsident Wladimir Putin sitzt an einem Tisch im Kreml und nimmt an ein er Video-Konferenz teil.
Auf sich gestellt: Verliert Wladimir Putin den Rückhalt der russischen Eliten? © Kremlin Pool/imago-images

Die Zweifel an einem erfolgreichen Ausgang des Ukraine-Kriegs in Russland werden größer. Der Druck auf den Kreml-Chef nimmt zu. Ein Rückblick.

Moskau – Wladimir Putin führt seit 1999 die politischen Geschicke Russlands. Doch die Invasion in die Ukraine im vergangenen Februar könnte den Anfang vom Ende des starken Manns im Kreml eingeleitet haben. Die Machtelite um den Präsidenten befürchtet offenbar eine Abnahme ihres Einflusses. Sind Putins Tage an der Spitze Russlands gezählt?

Verliert der Kreml-Chef den Rückhalt? „Jeder hat erkannt, dass Putin verliert“

„Jeder hat erkannt, dass Putin einen Fehler gemacht hat und verliert“, zitierte das britische Magazin The Economist bereits im Oktober eine anonyme Person aus dem Machtzirkel des Kremls. „In Moskauer Restaurants und Küchen wird viel geflucht und wütend geredet.“ An den Gründen dafür hat sich seitdem wenig geändert. Der Ukraine-Krieg – der in Russland weiterhin als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet wird – dauert mittlerweile über 400 Tage an. Veröffentlichte Pläne hatten bereits im letzten Jahr gezeigt, dass Putin mit einer Einnahme Kiews innerhalb weniger Tage geplant hatte.

Der russischen Bevölkerung wird weiter verkauft, dass der Einsatz in der Ukraine nach Plan verläuft. Die ausbleibenden Erfolge auf dem Schlachtfeld und die andauernde Rekrutierung von neuen Soldaten sprechen jedoch eine andere Sprache. Um Russlands Zukunft steht es schlecht. Erst vor wenigen Tagen hatte Putin die wirtschaftlichen Folgen der westlichen Sanktionen auf sein Land erstmals öffentlich eingestanden. Seit zwei Wochen wird der russische Autokrat darüber hinaus vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl (IStGH) gesucht.

Nach Haftbefehl gegen Putin – Russlands Präsident „extrem verwundbar“

Auch wenn Russland das Gericht in Den Haag nicht anerkennt, zeigt der Schritt das ganze Ausmaß von Putins Verfall. Der frühere Präsident Dimitri Medwedew reagierte erneut mit Drohungen auf den seiner Ansicht nach unsäglichen Schritt. Eine Verhaftung des Präsidenten einer Atommacht sei „eine Kriegserklärung an die Russische Föderation.“ Medwedew steht als politischer Hardliner noch hinter Putin – doch der Kreml-Chef könnte den Rückhalt der russischen Eliten schon bald verlieren.

Der Haftbefehl mache Putin „extrem verwundbar“, erklärte Wlad Mychnenko, Osteuropa-Experte an der Universität Oxford, dem US-Portal Newsweek. Mychnenko hält es für möglich, dass der Machtzirkel im Kreml Putin opfern könnten, um die Beziehungen zum Westen wieder zu verbessern. Nach Einschätzung des Experten könnte auch Medwedew dabei auf Putins Posten schielen.

Russischer Ex-Diplomat: Russlands Eliten erkennen, „dass etwas nicht stimmt“

Auch Boris Bondarev, ein russischer Ex-Diplomat bei den Vereinten Nationen, berichtete in der vergangene Woche gegenüber Newsweek von einer zunehmenden Anti-Haltung der russischen Eliten. „Die einflussreichsten und informiertesten Leute, ich glaube, sie erkennen, dass etwas nicht stimmt“, sagte Bondarev. „Ich glaube, diese Leute sind sehr frustriert über das, was vor sich geht, aber ich glaube nicht, dass sie entschlossen sind, dieser Politik etwas entgegenzusetzen“, ordente der Ex-Diplomat die Situation weiter ein.

„Nie zuvor war Wladimir Putin in den 23 Jahren seiner Herrschaft in einer solchen Situation“, sagte der russische Politikwissenschaftler Kirill Rogov The Economist über die Stellung des Präsidenten im Ukraine-Krieg. Über Jahre hinweg hatte Putin sich als starker Führer der Russischen Föderation etabliert. Die unsichere Zeit nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ unter seinem Vorgänger Boris Jelzin machte Putin schon bald vergessen und demonstrierte öffentlich die Stärke des post-sowjetischen Russlands. Doch dieses Bild des Präsidenten scheint nun zu bröckeln. „Jetzt plant und führt er Operationen durch, die sichtlich scheitern“, erklärte Rogov weiter.

Russlands Eliten müssen sich zwischen „verschiedenen Verlustszenarien“ entscheiden

Ein weiteres einschneidendes Ereignis war die Annexion der ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson im vergangenen. Putin hatte diese verkündet, obwohl sich weit Teile der Gebiete nicht unter russischer Kontrolle befunden hatten. „Bis September hatten die russischen Eliten die pragmatische Entscheidung getroffen, Putin zu unterstützen, aber die Dinge sind so weit fortgeschritten, dass sie sich jetzt möglicherweise zwischen verschiedenen Verlustszenarien entscheiden müssen“, ordnet Politikwissenschaftlerin Tatyana Stanovaya den Schritt im vergangene Herbst gegenüber The Economist ein.

Seitdem verschlechterte sich die Ausgangslage auf dem Schlachtfeld weiter. Die ukrainische Armee konnte in der Region Cherson die gleichnamige Bezirkshauptstadt zurückerobern. Gleichzeitig blieben russischen Erfolge auf dem Schlachtfeld fast vollständig aus. Seit Monaten scheitert Russland an der Einnahme der Stadt Bachmut. Bei dem verzweifelten Versuch, die Stadt Wuhledar einzunehmen, verlor Putins Armee eine Vielzahl an Panzern.

Putin unter Druck – Machtkampf in Russland tobt bereits

Gerade zu Beginn des Jahres wurde die Kritik am russischen Präsidenten immer lauter. Allen voran Jewgeni Prigoschin, der Chef der Söldnerarmee „Gruppe Wagner“, ging öffentlich auf Konfrontationskurs mit dem Präsidenten. Wie der russische Dissident und Menschrechtsaktivist Wladimir Oseshkin berichtete, verhinderte der Geheimdienst FSB im Januar einen angeblichen Putschversuch von „Putins Koch“. An diesem seien auch Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow und Oberbefehlshaber Sergei Surowikin beteiligt gewesen. Letzterer musste danach seinen Posten räumen. Oseshkin betreibt das regierungskritische Portal gulagu.net.

Im Frühling 2023 steht nun eine weitere ukrainische Gegenoffensive bevor – unterstützt von westlichen Waffenlieferungen. Sollte Russland dort weitere schmerzhafte Niederlage erleiden, könnte der Druck auf Putin weiter zunehmen. Noch scheint der Autokrat den nötigen Rückhalt der Eliten zu genießen, um sich um Amt zu halten. Doch die Frage bleibt: wie lange noch? (fd)

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