Nancy Faeser: Klar und empathisch

Die hessische SPD-Chefin Nancy Faeser macht seit vielen Jahren zupackend Politik. Ein Porträt.
Der schreckliche Anschlag von Hanau im Februar 2020 war erst wenige Tage her, als Nancy Faeser bei der Familie des ermordeten Hamza Kurtovic im Wohnzimmer saß. Die Sozialdemokratin hörte zu. Sie zeigte sich einfühlsam. Und sie hielt den Kontakt. Bis heute.
Armin Kurtovic, der Vater des getöteten jungen Mannes, weiß das zu schätzen. Der Vater, dessen Leben durch das Attentat aus der Bahn geworfen wurde, ist überzeugt, „dass sie unsere Sorgen wirklich ernst nimmt“.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus hat die Juristin Faeser einst motiviert, in die Politik zu gehen. Kein Wunder, dass die 52-Jährige aus Schwalbach am Taunus diese Aufgabe als größte Herausforderung nannte, als Olaf Scholz sie 2021 zur ersten Frau an der Spitze des Bundesinnenministeriums machte.
Nancy Faeser: Erfahrene Innenpolitikerin
Zu diesem Zeitpunkt war Nancy Faeser schon eine erfahrene Innenpolitikerin. In Hessen war sie die Kontrahentin der dortigen Innenminister Volker Bouffier, Boris Rhein und Peter Beuth (CDU), dem die Sozialdemokraten vorwarfen, keine Empathie mit Opfern zu zeigen und sich nicht bei den Hinterbliebenen von Hanau sehen zu lassen. Anders als Nancy Faeser.
Ihre Familie stammt aus Duisburg. Ihr Vater und alle vier Onkel und Tanten waren Mitglieder der nordrhein-westfälischen SPD. „So bin ich sozialisiert worden“, sagt sie. Die zupackende und direkte Art der nordrhein-westfälischen SPD hat sie geprägt. Regelmäßig hat Faeser als Landespolitikerin die Polizeistationen abgeklappert und sich die Sorgen der Beamtinnen und Beamten angehört. Auch bei Nachtschichten hat sie die Einsatzkräfte begleitet. Nicht zufällig erinnerte sie daran in dem „Spiegel“-Interview am Donnerstag, in dem sie ihre Kandidatur öffentlich machte. „Einmal wurden wir zu einem Leichenfund gerufen, das vergisst man nicht“, berichtete sie darin. Die „Verbindung von Empathie und Härte“ sei ihr Stil.
In Hessen war die Schwalbacherin jahrelang innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und stets als Innenministerin vorgesehen, falls die Sozialdemokraten an die Regierung kommen sollten. Doch das gelang nie. Im Jahr 2019 folgte sie dem drei Mal bei Wahlen erfolglosen Thorsten Schäfer-Gümbel an die Spitze von Landespartei und Landtagsfraktion.
Am Morgen nach der historischen Wahlschlappe von 2018, als die SPD ausgerechnet im einst „roten Hessen“ erstmals unter die 20-Prozent-Marke gerutscht war, stellte sie sich den Fragen der Frankfurter Rundschau. Faeser sah übermüdet aus und geschafft, aber sie wich der Analyse nicht aus. „Sehr schlecht“ sei die Stimmung, berichtete die damalige hessische SPD-Generalsekretärin. Doch auch an diesem Tag verlor sie ihr Projekt nicht aus den Augen. „Ein Bündnis von Grünen, SPD und FDP wäre etwas Neues und progressiver, es würde einen Wechsel nach 19 Jahren CDU bedeuten“, sagte sie. Rechnerisch wäre es sogar gegangen. „Doch ich halte das nicht für wahrscheinlich“, stellte Faeser fest. Sie ahnte schon, dass die FDP eine Regierung unter Führung der Grünen, die knapp an der SPD vorbeigezogen waren, nicht mitmachen würde.
Nach dem folgenden Rückzug von Schäfer-Gümbel war Nancy Faeser die unumstrittene Nummer eins in der hessischen SPD. Das ist sie bis heute geblieben. Faeser hat es mit einer Mischung aus Empathie, Fleiß und Geschick geschafft, die Landespartei hinter sich zu bringen.
Das ist angesichts der Geschichte der Hessen-SPD keine Selbstverständlichkeit. Im Jahr 2008 war die linke SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti an Teilen ihrer eigenen Fraktion gescheitert, als sie Ministerpräsidentin werden wollte. Es folgten bittere Flügelkämpfe. Faeser, die Ypsilantis innerparteilichen Konkurrenten Jürgen Walter unterstützt hatte, gehörte zu denjenigen, die vermittelten und die Partei wieder zusammenführten.
Herausfordernde Zeiten
Ihr Vater Horst Faeser hatte nach dem Umzug der Familie nach Hessen von 1988 bis 2002 als Bürgermeister von Schwalbach amtiert. Anschließend wurde Horst Faeser zum ersten Direktor des Planungsverbands Rhein-Main gewählt. Ein Jahr später, 2003, starb er überraschend an einem Herzinfarkt. Seine Tochter war gerade ein halbes Jahr vorher in den Landtag eingezogen.
Vielleicht hängt auch ihre Sportbegeisterung mit ihrer Sozialisation zusammen – im hessischen Landtag hat sie einst den Eintracht-Frankfurt-Fanclub mitbegründet und auch den Kickern der Landtagself zugejubelt. Da passt es, dass sie ihren bekanntesten Auftritt im neuen Amt als Sportpolitikerin hatte. Bei der umstrittenen Fußball-Weltmeisterschaft in Katar trug Faeser Ende November die „One Love“-Armbinde zur Schau. Es sollte ein Zeichen sein für die Solidarität mit der queeren Community. Ob es genützt hat, ist umstritten – aber seit diesem Moment wussten auch Menschen mit geringem politischen Interesse, wer Faeser ist.
Eine schwierige Phase ihres Lebens durchlitt Faeser 2015. Als 44-jährige Politikerin erlebte sie eine sehr schwierige Schwangerschaft. Mehrere Monate lang bangten sie, ihre Familie und ihre Genossinnen und Genossen. Die SPD in Hessen spürte in dieser Zeit schmerzlich, wie sehr ihr die Tatkraft und der politische Instinkt Faesers fehlten. Dann kam der kleine Tim gesund zur Welt – und tollte später auf SPD-Veranstaltungen herum. Auch in den kommenden Monaten wird seine Mama oft weit weg sein. Aber es gibt eine Hoffnung: Von der Wiesbadener Staatskanzlei hätte Nancy Faeser es nicht mehr so weit nach Schwalbach wie derzeit von Berlin.