Kılıçdaroğlu spricht schon von Sieg über Erdogan - und kündigt Türkei Komplett-Umbau an

Oppositionsführer Kilicdaroglu will bei einem Sieg über Erdogan das Land in ein parlamentarisches System zurückführen und verspricht eine „völlig andere Türkei“.
Ankara - Zum ersten Mal seit 20 Jahren tritt der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan bei der Türkei-Wahl nicht als klarer Favorit an. Sein größter Herausforderer, der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, könnte bei der „Schicksalswahl“ am 14. Mai das Rennen machen. Der 74-Jährige versprach zuletzt, die Türkei wieder zu einem parlamentarischen Regierungssystem zurückzuführen. Erdogan hatte die Türkei 2018 in ein Präsidialsystem umgewandelt und vereint seitdem bisher unbekannte Macht auf seine Person.
Zurück zum parlamentarischen System: Diese Änderungen plant Kilicdaroglu
Denn seit der Einführung des Präsidialsystems im Jahr 2018 kann der amtierende türkische Präsident weitestgehend am Parlament vorbei regieren. Das will Kilicdaroglu rückgängig machen, wenn er die Wahl gewinnt. Künftig soll wieder das Parlament den Regierungschef wählen, dessen Amtszeit auf einmalig sieben Jahre begrenzt sein soll.
„Die Änderung des politischen Systems wird nicht einfach sein“, sagte allerdings Bertil Oder, Verfassungsrechtlerin an der Koç-Universität in Istanbul dazu der Nachrichtenagentur AFP. Denn nötig ist eine Verfassungsänderung.
Die verfassungsändernde Dreifünftelmehrheit im Parlament entspräche bei insgesamt 600 Abgeordneten im Parlament 360 Sitzen. Diese Mehrheit wird die Opposition bei der Wahl voraussichtlich nicht erreichen. Dennoch gab sich Kilicdaroglu bei einem Fernsehinterview in der vergangenen Woche überzeugt: „Diejenigen, die die Rückkehr zum gestärkten parlamentarischen System unterstützen, werden im Parlament in der Mehrheit sein.“
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei CHP geht offenbar davon aus, auch Stimmen aus Erdogans islamisch-konservativer AKP für den Vorschlag zu erhalten. „Die Abgeordneten der AK-Partei werden dies ebenfalls unterstützen, weil sie gesehen haben, dass ihnen ihr Recht, Politik zu machen, genommen wurde“, erklärte der Präsidentschaftskandidat. Die Abgeordneten könnten dies vielleicht nicht offen sagen, aber aus privaten Gesprächen gehe das hervor, meinte Kilicdaroglu. „Wir werden die wahre Demokratie in die Türkei bringen. Wir sprechen über eine völlig andere Türkei“, fügte Kilicdaroglu hinzu, wie Hurriyet Daily News berichtete.
Türkei-Wahl: Kilicdaroglu sieht Machtwechsel als „Geschenk an die Weltpolitik“
Neben der Rückkehr zum parlamentarischen Regierungssystem will Kilicdaroglu im Falle eines Wahlsiegs auch die Unabhängigkeit der Justiz stärken, der schwächelnden Wirtschaft und hohen Inflation mit einer sofortigen Abkehr von Erdogans „türkischem Wirtschaftsmodell“ begegnen und die Beziehung zum Westen verbessern.
Er zeigte sich am Wochenende betont zuversichtlich. „Ihr werdet eine autoritäre Regierung mit demokratischen Mitteln auswechseln“, sagte der Präsidentschaftskandidat am Samstag (6. Mai) bei einer Wahlkampfveranstaltung in Istanbul und versprach, die Rechtsstaatlichkeit im Land wieder herzustellen. Ein Machtwechsel sei ein Geschenk an die Weltpolitik, erklärte der Oppositionsführer weiter.
Türkei-Wahl: Umfragen noch offen - Kilicdaroglu hätte große Aufgaben vor sich
Sollte Kilicdaroglu die Wahl gewinnen, steht er auch vor der Herausforderung, sein Oppositionsbündnis aus liberalen, nationalistischen, islamischen und säkularen Kräften zusammenhalten. Die Chancen für einen Machtwechsel in der Türkei stehen aktuell so gut wie seit 20 Jahren nicht, es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab.
Das Meinungsforschungsinstitut ORC sah zuletzt den Oppositionsführer Kilicdaroglu mit 48 Prozent vor Erdogan mit 44,6 Prozent. In einer anderen Umfrage lag indes Amtsinhaber Erdogan vorne. Insgesamt sind 61 Millionen Menschen zur Wahl in der Türkei aufgerufen, darunter auch 1,5 Millionen türkische Wahlberechtigte in Deutschland.