Abtreibungsverbot in Polen: Schwangere stirbt - „Dieser Tod ist eine Anklage“

In Polen heizt der Fall einer Schwangeren den Streit über die strengen Abtreibungsregeln an. Liberale machen die PiS-Regierung verantwortlich.
Warschau – Der November ist in Polen die Zeit der Lichtermeere. Die Menschen pilgern zu Allerheiligen auf die Friedhöfe, entzünden Kerzen und erinnern an die Toten. Diesmal jedoch leuchten die Lichter auch vor dem Verfassungstribunal in Warschau. Zum Gedenken an „das erste Todesopfer des richterlichen Abtreibungsverbots“, wie liberale Aktivistinnen erklären.
Sie verweisen damit auf den Tod einer 30-Jährigen in Pszczyna. Die Frau war kürzlich nach einer Fehlgeburt gestorben – mutmaßlich, weil sich die Ärzt:innen weigerten, den geschädigten Fötus abzutreiben. Das Klinikpersonal wartete, bis das Herz des Kindes aufhörte zu schlagen. Zu spät für die Mutter: Sie erlag einem septischen Schock.
Abtreibungsverbot in Polen: Mehrjährige Haft für Verstöße
Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Ergebnisse dürften aber wenig an der Eskalation des Kulturkampfes ändern, der in Polen derzeit wieder mit enormer Wucht tobt. Für die meisten liberal denkenden Menschen im Land steht auch ohne Staatsanwaltschaft fest, wer die Schuld an der Tragödie in Pszczyna trägt. Es ist die rechtskonservative PiS-Regierung, die dem Druck selbsternannter Lebensschützer:innen nachgegeben hat. Und es ist das regierungstreue Verfassungstribunal, das vor gut einem Jahr ein fast vollständiges Abtreibungsverbot in Polen durchgesetzt hat. Das Gericht erklärte Schwangerschaftsabbrüche damals für grundsätzlich verfassungswidrig. Die PiS goss das Urteil in Gesetzesform.
Seit Anfang des Jahres sind Abtreibungen demnach selbst dann verboten, wenn ein ungeborenes Kind so schwere Fehlbildungen aufweist, dass es außerhalb des Mutterleibes nicht lebensfähig ist. Wer gegen die Regel verstößt, muss mit mehrjähriger Haft rechnen.
Polen verbietet Abtreibungen: Zögerte Klinikpersonal aus Angst vor der Justiz?
Vermutlich zögerte das Klinikpersonal in Pszczyna genau deshalb: aus Angst vor Strafverfolgung. Bei akuter Gefahr für das Leben der Mutter wäre ein Eingriff zwar rechtlich möglich gewesen. Doch war die Lage medizinisch eindeutig? Noch gibt es keine abschließenden Antworten. „Dieser Tod ist eine Anklage“, sagen dennoch die Kritiker:innen des geltenden Rechts. Zu Zwangslagen wie in Pszczyna dürfe es gar nicht erst kommen. Fachleute verweisen zudem auf bis zu 200.000 illegale Abtreibungen pro Jahr in Polen. Und auf die Risiken.
Das Recht auf Leben, sagen die Liberalen, sei nicht vom Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu trennen. Die Medizinrechtlerin Jolanta Budzowska, die den Fall in Pszczyna öffentlich machte, schrieb bei Twitter schlicht: „Es ist Zeit für einen Neustart.“ Den jedoch dürfte es mit der regierenden PiS kaum geben, zu deren Stammwählerschaft viele Erzkonservative zählen. Parteichef Jaroslaw Kaczynski stellte angesichts früherer Frauenproteste klar: „Das katholische Wertesystem ist die einzige ethische Ordnung, die wir in Polen kennen. Alles andere ist Nihilismus.“
Abtreibungsverbot in Polen ist „die Hölle plus für Frauen“
Solche Vorgaben machen die PiS anfällig für den Druck fundamentalistischer Lebensschützer:innen. Am selben Tag, an dem die Tragödie in Pszczyna bekannt wurde, ließ Parlamentspräsidentin Elzbieta Witek (PiS) ein weiteres Gesetzesprojekt der Bewegung zu Beratungen im Sejm zu. Wie die „Gazeta Wyborcza“ berichtet, sollen künftig ausnahmslos alle Abtreibungen als Kindstötung gewertet werden. Das gelte selbst dann, wenn das Leben der Mutter bedroht oder die Schwangerschaft das Resultat einer Vergewaltigung sei. Und das, so urteilte die Zeitung, wäre dann „die Hölle plus für Frauen“. (Ulrich Krökel)
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