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Platz für die Natur, wie sie war

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Von: Sandra Kirchner

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Einst begradigt, wird der Neckar seit 2021 abschnittsweise renaturiert. Auch bei Mannheim soll er dann wieder stärker mäandern.
Einst begradigt, wird der Neckar seit 2021 abschnittsweise renaturiert. Auch bei Mannheim soll er dann wieder stärker mäandern. © dpa

Mit dem Renaturierungsgesetz will die Europäische Union Vorreiter sein. Bisher gibt es aber noch Uneinigkeit über Flächenvorgaben

Um das Artensterben aufzuhalten, will die EU mehr Flächen renaturieren – also einen möglichst natürlichen Zustand wiederherstellen. Einfach ist das nicht – die Renaturierung von geschädigten Ökosystemen ist aufwendig und kostet viel Geld. Tausende Hektar Moor müssen wiedervernässt werden, begradigte Flüsse wieder mehr Raum bekommen und Wälder mit verschiedenen Arten durchmischt werden.

Jetzt hat sich der Umweltausschuss des EU-Parlaments mit dem Bericht des sozialdemokratischen Abgeordneten César Luena zum geplanten Renaturierungsgesetz befasst. Der spanische Parlamentarier will den Vorschlag der EU-Kommission nachschärfen. Das angestrebte Ziel, 20 Prozent der Ökosysteme zu renaturieren, soll nach dem Willen von Luena auf 30 Prozent angehoben werden.

Beim Weltnaturgipfel in Montreal habe die Europäische Union dem neuen UN-Abkommen zugestimmt, mit dem 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz gestellt werden sollen, begründete Luena seine Initiative. Was auf internationaler Ebene vereinbart wurde, müsse sich auch in den Vorgaben der EU wiederfinden.

Besonders wertvolle Ökosysteme sollen durch Wiederherstellungsmaßnahmen vollständig in einen „guten Zustand“ versetzt werden, fordert der Abgeordnete, also zu 100 statt nur zu 90 Prozent, wie es die EU-Kommission vorschlägt. Auch der Verlust städtischer Grünflächen müsse gebremst werden. Während die Kommission vorschlägt, dass alle Städte bis zum Jahr 2050 auf mindestens zehn Prozent Baumbestand kommen sollen, will Luena 15 Prozent ansetzen.

Im vergangenen Sommer hatte die EU-Kommission ihren Vorschlag für das Renaturierungsgesetz vorgelegt. Es wäre weltweit das erste Gesetz zur Wiederherstellung zerstörter Lebensräume. „Es gibt die Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, aber dies ist das erste Mal, dass die EU die Natur als Ganzes in den Blick nimmt“, betonte Luena.

Umweltorganisationen wie WWF und Birdlife begrüßen Luenas Vorstoß. Der Vorschlag sei eine große Chance, die Natur nach Europa zurückzubringen. Es müsse aber gewährleistet werden, dass jeder EU-Mitgliedsstaat einen fairen Beitrag zum geplanten 30-Prozent-Ziel erbringe. Für den Fall, dass Staaten unzureichende Wiederherstellungspläne vorlegen, brauche die EU-Kommission eine Befugnis, diese zurückzuweisen. Auch an den Vorgaben zur Renaturierung von Mooren üben Naturschutzorganisationen Kritik. Die Vorgaben würden dazu führen, dass nur ein Teil der Moore wiedervernässt wird – und zwar ausschließlich entwässerte Moore auf Landwirtschaftsflächen. Stattdessen sollten aber alle entwässerten Torfgebiete wiedervernässt werden.

Weltnaturgipfel setzt höhere Ziele

Am Weltnaturgipfel in Montreal in Kanada nahmen im Dezember mehr als 200 Staaten teil. Nach zwei Wochen langen Beratungen einigten sie sich in einer Abschlusserklärung darauf, bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Für den Schutz der Artenvielfalt soll außerdem mehr Geld fließen. Dafür sollen unter anderem reichere Länder ärmeren Ländern bis zum Jahr 2025 rund 20 Milliarden Dollar jährlich zukommen lassen.

Die Initiative der Europäischen Union für ein Renaturierungsgesetz ist eine Reaktion darauf, dass in Europa die Artenvielfalt in besorgniserregendem Tempo schrumpft. Die Ursache: Viele Biotope sind schwer beeinträchtigt oder ganz zerstört. 81 Prozent der Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand, bilanziert die Europäische Umweltagentur EEA in einem Bericht.

Intensive Landwirtschaft , nicht nachhaltige Forstwirtschaft, Zersiedlung, invasive Arten und der Klimawandel tragen laut dem Bericht dazu bei, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind. FR/kir

Die Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus sieht das ähnlich. „Ein Großteil der Moorflächen in Europa liegt in bewaldeten Gebieten. Deswegen müssen wir diese Flächen auch mit in den Blick nehmen“, forderte die Abgeordnete. Die Vorgaben zur Renaturierung von Mooren und Feuchtgebieten müssten gestärkt werden, damit diese Ökosysteme wieder als CO2-Speicher und Schutz gegen Klimawandelfolgen dienen können, so Paulus weiter.

Die Abstimmung über den Gesetzesvorschlag ist für Juni geplant. Ob sich César Luena mit seinem Bericht im EU-Parlament durchsetzen kann, ist offen. Aus der christdemokratischen EVP-Fraktion, der größten im EU-Parlament, kommt Kritik. „Ich muss ganz klar sagen, dass der Vorschlag der Kommission von der EVP im Plenum nicht unterstützt werden wird“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese.

Das Verbot von Pflanzenschutzmitteln in geschützten Gebieten sei ein No-Go – als Grund führte Liese unter anderem Ernährungssicherheit an. Auch der Deutsche Bauernverband stört sich daran. Das Stilllegen von Flächen oder Verbote von Pflanzenschutzmitteln seien keine verantwortbaren Lösungen.

Beim Ratstreffen der EU-Umweltminister:innen im vergangenen Dezember hatten Polen und Ungarn den Kommissionsvorschlag kritisiert. Dagegen sprachen sich Belgien, Deutschland, Dänemark, Estland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Slowenien für eine zügige Verabschiedung des Gesetzes aus. Die deutsche Umweltministerin Steffie Lemke (Grüne) forderte, die Ziele im Gesetzentwurf der Kommission anzuheben.

Derzeit hat die EU 18 Prozent ihrer Landfläche und knapp zehn Prozent der Meeresfläche unter Schutz gestellt. Die Wiederherstellung von Ökosystemen wie Wäldern oder Mooren bindet Kohlenstoff aus atmosphärischem CO2 und hilft so, die Klimaziele zu erreichen. Außerdem soll durch die Ausweitung der geschützten Flächen das Artensterben verlangsamt werden.

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