Philippinen: Rodrigo Dutertes Kopfgeldjäger

Vor drei Jahren wurde Rodrigo Duterte zum Präsidenten der Philippinen gewählt. Eines seiner Versprechen: Er werde alle Drogenabhängigen töten lassen. Dieser Stellvertreterkrieg hat bis heute 20.000 Opfer gefordert – und stürzt das Land in eine zivilisatorische Krise.
Katherine Bacani ist sicher: Ihr Mann wäre noch am Leben, hieße ihr Präsident nicht Rodrigo Duterte.
Eines Nachts im August 2017 klingelte ihr Handy. So schnell wie möglich solle sie ins Haus eines Freundes kommen, nicht weit von ihrem Viertel Balic Balic in Manila. Als sie dort ankam, konnte sie den Körper in der Blutlache, der da im zweiten Stock lag, erst nicht erkennen. „Dass er es war, wusste ich nur wegen seiner bunten Hose. Die hatte ich morgens noch gewaschen.“ Ansonsten war ihr Ehemann Adelfo völlig entstellt. „Sie hatten ihm eine Pistole in die rechte Hand gelegt, damit es nach einem Gefecht aussah. Aber Adelfo war Linkshänder! Und er besaß gar keine Pistole! Und süchtig nach Shabu war er auch nicht. Dafür war er viel zu dick, er wog 80 Kilo!“
Shabu, wie man in den Philippinen Methamphetamine nennt, unterdrückt den Appetit. Süchtige sind daher meist umso dünner, je abhängiger sie sind. So ist für Katherine Bacani klar, was auch andere vermuten: Die Erschießung ihres Mannes, die von der Polizei als Notwehr protokolliert wurde, war wohl der Ersatz für einen anderen aus ihrem Viertel, den die Polizisten nicht hatten finden können. Denn seit in den Philippinen Rodrigo Duterte regiert, wird man für das Töten von Drogenabhängigen mit Kopfgeld belohnt.
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Für die heute 35-jährige Katherine Bacani, eine zierliche Frau mit markanten Gesichtszügen, ist nichts mehr wie vorher, seit ihr Mann tot ist. Sie muss jetzt allein für ihre drei Kinder sorgen, neben ihrem Job als Kindergärtnerin zusätzlich Geld auftreiben, weil sie Schulden beim Bestattungsunternehmen hat. „Adelfo arbeitete als Taxifahrer und Basketballtrainer. Er verdiente nicht viel, aber zusammen hatten wir gerade genug für die Familie.“ Nun sitzt Katherine Bacani an einem Vormittag im kahlen Besprechungsraum einer Menschenrechtsorganisation namens iDefend, die zu einem Anlaufpunkt für Hinterbliebene geworden ist, die Rat suchen. Sollte sie klagen? Gegen die Polizei? Ist das nicht aussichtslos?

Wenn Katherine Bacani in knappen Sätzen davon erzählt, wie sich ihr Leben, nein, das ganze Land in den letzten drei Jahren verändert hat, muss sie manchmal beinahe ungläubig auflachen. „Das ist verrückt!“ Ihr Mund öffnet sich weit, die Augen werden groß, als wollte sie schreien. „Der Präsident sagt, er will alle Drogenabhängigen töten lassen. Das ist ja schlimm genug. Aber es werden noch viel mehr Menschen getötet. Wohin soll das führen?“
Die Philippinen erleben eine zivilisatorische Katastrophe
Das südostasiatische 106-Millionenland erlebt gerade eine zivilisatorische Katastrophe. Am 9. Mai 2016 wählten die Filipinos mit dem nun 74-jährigen Rodrigo Duterte einen Mann zu ihrem Präsidenten, der Rauschmittel zum Dämon der Gesellschaft erklärte, obwohl das eigentliche Problem schon lange soziale Ungleichheit ist. Duterte wurde populär, indem er über insgesamt 22 Jahre als Bürgermeister der südphilippinischen Stadt Davao aus einem Brennpunkt einen vermeintlich sicheren Ort machte.
Seine Politik dort erklärte er einmal so: „Was glaubt ihr, wie ich das gemacht habe? Alle [Kriminellen] töten.“ Diesen „Drogenkrieg“ führt er jetzt auf nationaler Ebene. Dazu nahm sich Duterte auch schon die Nazis zum Vorbild. Wörtlich: „Hitler massakrierte drei Millionen Juden. Hier gibt es drei Millionen Drogensüchtige. Die würde ich gern schlachten.“
Dass die Nazis nicht drei, sondern sechs Millionen Juden umbrachten, nimmt Duterte weniger genau als seine eigenen Ankündigungen: Bis jetzt wurden laut Bürgerrechtsorganisationen um die 20 000 vermeintlich drogenabhängige Menschen getötet. Meist abends, wenn es dunkel ist, oft in abgeschlossenen Räumen, wo weniger Zeugen herumlaufen. Vor Empörung hat der Präsident keine Angst, vor Verfolgung wohl schon. Nachdem der Internationale Strafgerichtshof eine Untersuchung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einleitete, erklärte Duterte flugs den Austritt seines Landes aus der staatenübergreifenden Institution.
Die Philippinen sind auf dem Weg in eine Diktatur. Das erfahren die Menschen auf unterschiedliche Weise. Katherine Bacani, die nicht Duterte wählte, regt sich bitter grinsend auf, hinter ihr an der Wand im Wartezimmer prangen eingerahmte Fotos philippinischer Menschenrechtskämpfer: „Duterte interessiert sich gar nicht für Drogen. Sonst würde er doch Gesundheitspolitik machen. Er will nur Angst verbreiten.“

Jedenfalls zielen seine Todesschwadronen vor allem auf die Schwächsten ab, die Konsumenten, während Dealer und Produzenten meist verschont bleiben. „In unserer Nachbarschaft heult jetzt jeden Abend um neun eine Sirene. Dann gehen die Kinder und die Erwachsenen ins Haus und kommen erst morgens wieder raus.“ Die Angst geht um. Einige politische Gegner wurden in den letzten drei Jahren ermordet. Andere sitzen hinter Gittern.
Leila de Lima zum Beispiel. Wer diese Frau heute etwas fragen will, muss ihr Senatorinnenbüro in Manilas Regierungsbezirk Pasay City ansteuern, um dort einen Zettel einzureichen. Die Räume mit schwarzweißen Bildern von de Lima an der Wand ähneln einem Museum. De Limas Arbeitszimmer, wo ein als ihr Markenzeichen bekannter hellblauer Schal über den Schreibtischstuhl drapiert ist und davor Menschenrechtspreise auf dem Tisch thronen, gleicht einem Altar. „Wir richten das Büro so ein, dass möglichst viel an unsere Senatorin erinnert“, sagt Ferdie Maglalang, de Limas Kommunikationschef. Er sieht bedrückt aus.
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Leila de Lima ist eine bekannte Persönlichkeit in den Philippinen. Über Jahrzehnte war sie Aktivistin für Menschenrechte, von 2010 bis 2015 setzte sie sich als Justizministerin auch gegen Drogenhandel in Gefängnissen ein, um die Situation der Insassen nicht hoffnungsloser zu machen. Als sie 2016 in den Senat gewählt wurde, eine der zwei Kammern des philippinischen Parlaments, kritisierte sie immer wieder lautstark den Präsidenten, versuchte rechtliche Schritte gegen dessen radikale Maßnahmen einzuleiten. Duterte erklärte daraufhin de Lima zu seinem persönlichen Feind. Im Februar 2017 wurde die 59-Jährige verhaftet. Vorwurf: Drogenhandel.
Gesetzesvorschläge aus der Gefängniszelle
„Das ist eine Unverschämtheit“, sagt Ferdie Maglalang, ein ansonsten friedlich dreinschauender Herr im hellblauen Hemd, der das alles noch immer nicht begreifen kann. „Sie ist öffentlich gedemütigt. Vor Duterte gab es Tabus im Umgang mit politischen Gegnern. Solche Lügen hat man früher nicht einfach so verbreitet.“ Zumal: Als Zeugen im Prozess gegen de Lima dienen den Anklägern Gefängnisinsassen, die mit der ehemaligen Justizministerin, die in den Gefängnissen Drogenhandel unterbinden wollte, noch eine Rechnung offen haben könnten.
„Dass die Gerichte das zulassen, ist unglaublich“, sagt Ferdie Maglalang. Überhaupt sei vieles heute unglaublich. So muss jeden Tag einer der Mitarbeiter ins Gefängnis fahren, um der Chefin, die laut Magla-lang Monat für Monat Gewicht verliert, einen Protokollordner aus dem Parlament in die Zelle zu bringen. Nur so kann Leila de Lima weiter Gesetzesvorschläge einbringen, zum Beispiel zur Sicherung einer unabhängigen Justiz oder dem Klimaschutz.
An einem frühen Nachmittag kommt Ferdie Maglalang vom Gefängnisbesuch zurück ins Büro. Er hat handgeschriebene Antworten dabei. In dem zwölfseitigen Brief schreibt Leila de Lima, sie bete täglich, erfreue sich an sporadischen Besuchen sowie streunenden Katzen in der Zelle. Im Zusammenhang mit der Regierung fallen Wörter wie „Massenmanipulation“, „Lügen“ und „Schlachter.“
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Auf einem der Zettel steht: „Frau de Lima, warum, glauben Sie, hat Duterte die Wahl gewonnen und ist weiterhin beliebt?“ De Limas Antwort lautet: „Die Filipinos wollten einen Wandel. Und er hat eine Seite der philippinischen Psyche berührt, die erst vor Kurzem überhaupt sichtbar wurde. Soziale Medien haben anonyme Hasspredigten ermöglicht. Die aktuelle Regierung hat sie mit ihrer Rhetorik salonfähig gemacht.“
Auf einem anderen Zettel wird nach der Zukunft der Meinungsfreiheit im Land gefragt. „Im Grunde gibt es hier keinen Diskurs mehr“, schreibt De Lima. „Im Internet haben Trolle übernommen. Kritiker werden verunglimpft oder verfolgt. Moral, Werte und Prinzipien zählen nicht mehr als Standard. Sobald es um Unterstützer von Duterte geht – egal, wie sehr Frauen, Gläubige oder Filipinos generell beleidigt werden – werden diese verteidigt.“
Das Morden auf den Philippinen geht weiter
Bleibt die Frage: Worauf können die Hinterbliebenen der Erschossenen jetzt hoffen? „Früher oder später wird Gerechtigkeit siegen. Wir müssen ihnen beweisen, dass unsere Leben, die der Verstorbenen und die der Überlebenden, etwas wert sind. Wir sind keine Tiere. Wir sind Menschen. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir bessere Filipinos sind als diese Schlächter jemals sein werden.“ – Die Worte von Leila de Lima, die in abgeschwächter Form auch eine Reaktion auf politische Entwicklungen in Europa und den USA sein könnten, lesen sich kämpferisch. Doch draußen geht das Morden einfach weiter.

An einem anderen Morgen im Wartezimmer der NGO iDefend nimmt Dolores Burgos auf einem Plastikstuhl Platz. Die 40-jährige Hausfrau ist vornehm angezogen, wirkt gut sortiert, aber ihr fehlen die Worte. Schon vor Monaten wurde ihr 17-jähriger Neffe erschossen, als er mit einem Freund auf einem Taximoped saß, dessen Fahrer offenbar auf der polizeilichen Liste Shabu-Süchtiger stand. Nachdem die Streife dem Taxifahrer eine Kugel verpasst hatte, mussten wohl auch die zwei Augenzeugen schnell verschwinden.
Ellecer Carlos, ein Mitarbeiter der NGO, nimmt die Eckdaten des Falls auf. Zum Schluss seufzt Dolores Burgos: „Jetzt hab‘ ich nicht nur meinen Neffen verloren, sondern auch noch Schulden.“ Die Bestattungsunternehmen verlangten alle mehr Geld, als sie für ein letztes Geleit ihres Neffen bezahlen könnte.

„Wir wollen eine Sammelklage vorbereiten“, sagt Ellecer Carlos, dessen T-Shirt die Aufschrift „Resist Dictatorship“ trägt, zu Dolores Burgos. „Dokumentieren Sie Ihre Situation und die Ihres Neffen bitte so genau wie möglich.“ Die Hinterbliebene nickt, schweigt für einige lange Momente, fragt dann: „Kann das den Präsidenten aufhalten?“
Daraufhin schweigt der Mitarbeiter, der immerhin studierter Soziologe ist. „Streng genommen, Frau Dolores, ist Dutertes Politik ja nicht erfolgreich. Das Drogenproblem wird durch wilde Erschießungen nicht gelöst werden. Seine Popularität müsste früher oder später fallen.“ Dabei kann Rodrigo Duterte von sich durchaus behaupten, Erfolg zu haben. Seit seinem Amtsantritt am 30. Juni 2016 sind alle Straftaten zurückgegangen. Bis auf eine, die jetzt alltäglich geworden zu sein scheint: das Töten.
Aber das war ja Teil des Versprechens.
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