Peru: Wo das Öl den Frauen die Macht nimmt

Die Abholzung des Regenwaldes treibt viele indigene Männer in die Städte – und Frauen in die Abhängigkeit. Eva Tempelmann berichtet über den Notstand in Peru
Als die peruanische Fotografin Leslie Searles das erste Mal in den Amazonas-Regenwald fuhr, war ihr nicht klar, wie eng die Menschen dort mit der Natur verbunden sind. Eine junge Frau erzählte ihr bei Recherchen: Wenn sie eine Yuccawurzel aus der Erde ihres Feldes ziehe, fühle sich das an, als ob sie der Erde das Herz aus ihren Eingeweiden reiße.
In den Dörfern bitten die Menschen den Wald und den Fluss um Erlaubnis, bevor sie darin jagen. „In den Städten hingegen haben wir uns den Wald, das Wasser und die Lebewesen darin längst untertan gemacht“, sagt Searles. Die Fotografin arbeitet regelmäßig mit der Nachrichtenagentur „Ojo Público“ zusammen, die sich auf investigative Recherchen zu Menschenrechts- und Umweltthemen spezialisiert hat.
Peru: Abholzung im Regenwald nimmt Frauen die Unabhängigkeit
Die junge Frau, die Searles damals interviewte, gehört zur ethnischen Gruppe der Awajún. Es gibt fast 1700 indigene Gemeinschaften im peruanischen Amazonasgebiet – darunter die Awajún, Shipibo und Ashaninka. Sie alle verbindet die dramatische Veränderung der Rolle der Frauen im Regenwald, verursacht durch Klimawandel und Zerstörung ihres Lebensraumes. Konkret heißt das, dass die veränderten klimatischen Bedingungen der vergangenen Jahre, die Ernten immer geringer ausfallen lassen.
Abholzung, Brandrodung und die Ausbreitung des illegalen Bergbaus verwüsten das empfindliche Ökosystem im Amazonasgebiet. Zwischen 2001 und 2018 wurden in Peru fast 25 000 Quadratkilometer Regenwald zerstört – das entspricht ungefähr der Fläche von Mecklenburg-Vorpommern. Die Erdgas- und Erdölförderprojekte im peruanischen Amazonasgebiet befinden sich zu 80 Prozent in indigenen Territorien. Immer wieder treten Lecks in den Pipelines auf – laut der Nationalen Menschenrechtskoordination in Peru knapp 500 in den vergangenen 20 Jahren – und zerstören wichtige Lebensgrundlagen. Der Staat kümmert sich bisher kaum um die entlegenen Regionen.
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Weil die Männer im Wald nicht mehr jagen können, suchen sie sich Jobs bei den Goldminen der Region oder ziehen in die großen Städte, um dort zu arbeiten. Die Frauen bleiben in den Dörfern zurück und kümmern sich um die Familie. Aber die Arbeit auf dem Feld bringt ihnen heute kein Auskommen mehr. Statt weiterhin Feldfrüchte wie Maniok anzubauen, gehen die Frauen nun im Laden einkaufen. „Der Wechsel von einer fast geldlosen Ökonomie zu einer vollständigen Abhängigkeit vom Lohn des Mannes verändert das gesamte Leben in den indigenen Dorfgemeinschaften“, sagt die Soziologin Cynthia del Castillo.
Umweltzerstörung in Peru trifft Frauen am härtesten
„In fast allen Gebieten, wo sich die Rohstoffindustrie niederlässt, verlieren die Frauen ihre traditionelle Rolle als Entscheidungsträgerin der Familie und der Gemeinschaft“, bestätigt der Anthropologe José Guillermo Guevara. Durch die Migration der Männer haben sich Krankheiten, die durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, in den vergangenen Jahren im Amazonasgebiet versechsfacht.
Dieser Gesundheitsnotstand wird durch die wachsende Zahl von Selbstmorden, vor allem junger Frauen, und den Mangel an Medikamenten noch verschärft. Alkoholismus und familiäre Gewalt haben zugenommen. Peru ist ohnehin eines der Länder mit der höchsten Gewaltrate an Frauen weltweit. Laut der staatlichen Ombudsstelle wird jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. „Indigene Frauen im Regenwald sind im Grunde doppelt marginalisiert“, sagt Fotografin Leslie Searles, „sie sind unsichtbar als Indigene und unsichtbar als Frau.“
Text von Eva Tempelmann