„Peking spioniert überall“

Asien-Expertin Saskia Hieber über die innerchinesischen und die inneramerikanischen Hintergründe der Ballon-Affäre, überflüssige Reaktionen des Weißen Hauses und was Donald Trump mit alledem zu tun hat
Frau Hieber, dass sich Staaten gegenseitig ausspionieren, ist nichts Ungewöhnliches. Warum sorgt nun ausgerechnet ein Ballon für derart viel Wirbel?
Die Beziehungen zwischen den USA und China sind schon länger angespannt, da hat es nicht viel gebraucht, um die Lage zu eskalieren. Ich glaube aber, dass die Amerikaner diesen Vorfall auch aus innenpolitischen Gründen derart instrumentalisieren. US-Präsident Joe Biden steht unter Druck, nachdem vertrauliche Dokumente in seinem Privathaus gefunden wurden, und die Republikaner nutzen diesen Skandal gnadenlos aus, um Biden als schwach darzustellen. Für Biden ist dieser Vorfall jetzt eine prima Gelegenheit, um Stärke zu zeigen. Man wollte nicht nur ein Fähnchen einstecken, sondern einen richtig großen Pfahl einschlagen.
Eines der wenigen Dinge, auf die sich US-Republikaner und -Demokraten einigen können, ist eine unversöhnliche Haltung gegenüber China. Wird da jetzt eine Art Überbietungswettkampf beginnen, wer am härtesten auftritt?
Hoffentlich nicht. Begonnen hat der aktuelle Konflikt mit dem Handelskrieg, den Donald Trump losgetreten hat. Und der schadet beiden Seiten gleichermaßen, den USA und China. Biden hat trotzdem vor Kurzem weiter eskaliert, indem er ein Verbot erlassen hat, hoch entwickelte Chips nach China zu exportieren. Das mag amerikanische Wähler beeindrucken, ist aber ein riesiges Problem für chinesische Firmen und letztendlich auch für die amerikanische Wirtschaft. Und dann ist da noch die chinesische Nähe zu Russland. Es wäre wichtig gewesen, wenn Blinken nach Peking gefahren wäre, um die Gesprächskanäle offenzuhalten. Dass China jetzt diesen Spionageballon losgeschickt hat, war ungeschickt.
China behauptet, bei dem abgeschossenen Objekt habe es sich gar nicht um einen Spionageballon gehandelt, sondern um ein ziviles „Luftschiff“, das meteorologischen Zwecken diente.
Saskia Hieber
ist Dozentin für Internationale Politik mit Schwerpunkt Asien-Pazifik an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und zudem Lehrbeauftragte für Internationale Politik – Ostasien an der Uni Regensburg.
Das ist unglaubwürdig. China investiert seit Jahren viele Milliarden in Rüstung und in Spionage. Wenn es sich wirklich um einen vom Kurs abgekommenen Wetterballon gehandelt hätte – warum hat Peking dann keine internationalen Institutionen zur Sicherung des Luftraums informiert? Die Erklärungen Pekings ergeben keinen Sinn.
Die deutsche Regierung prüft, ob es auch hierzulande ähnliche Vorkommnisse gegeben hat. Halten Sie es für möglich, dass China auch über Deutschland Spionageballons schickt?
Ja. China lässt wohl auch über Europa fliegen. Peking spioniert überall und probiert dabei aus, was technisch möglich ist und wie weit man gehen kann, bis man gestoppt wird. Das sieht man an den chinesischen Polizeistationen in den Hinterzimmern irgendwelcher chinesischer Einrichtungen in Deutschland und anderswo. Da werden die souveränen Rechte Deutschlands eindeutig verletzt. Die Bundesregierung muss ganz klar sagen, dass das nicht geht, dass rote Linien überschritten werden.
Manche fühlen sich an einen Zwischenfall von 2001 erinnert: Damals stieß ein US-Spionageflugzeug nahe der chinesischen Insel Hainan mit einem Kampfjet Pekings zusammen; dessen Pilot kam dabei ums Leben …
Das ist lange her. China war damals weder wirtschaftliche Supermacht noch große Militärmacht. Heute ist China der zweitgrößte Player weltweit, egal ob in der Wirtschaft, bei Technologie oder Militär. Die chinesische Marine ist zahlenmäßig die größte der Welt. Wir haben mit ganz anderen Machtstrukturen zu tun als damals. Es quält die Chinesen aber noch immer, dass US-Schiffe und Aufklärungsflugzeuge damals so dicht vor der chinesischen Küste operiert haben und es noch heute tun. Umgekehrt wäre es schlicht unvorstellbar, dass China Spionageflugzeuge oder -schiffe etwa nach Hawaii schickt oder vor die Küste Kaliforniens.
Es gibt Stimmen in der EU, die sagen, dass diese Krise zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kommt. Weil die USA jetzt über Wochen abgelenkt sein könnten, gleichzeitig aber damit gerechnet wird, dass Russland in der Ukraine schon bald eine Großoffensive starten könnte.
Es steht schon länger die Frage im Raum, ob die USA „two theater warfare“ noch beherrschen, ob sie also an zwei Fronten kämpfen können. Diese Fähigkeit wurde vonseiten der USA als zu teuer angesehen und reduziert. Aber nein – diese Ballon-Affäre wird die USA nicht zu lange ablenken. Das ist bald vorbei, dann steht der Krieg in der Ukraine wieder im Mittelpunkt der US-Politik.