"Oury Jalloh, das war Mord!"

Viele Indizien sprechen dafür, dass Oury Jalloh sich nicht selbst getötet hat. Zweifel an der offiziellen Version gibt es viele, der Fall ist voller Rätsel. Ein Überblick.
Der Tag, an dem Oury Jalloh starb, begann für ihn in der Dessauer Innenstadt. Dort nahm ihn eine Polizeistreife fest, nachdem zwei Frauen ihn beschuldigt hatten, sie belästigt zu haben. Ein Drogen- und ein Alkoholtest ergaben: Jalloh hatte Kokain genommen und war angetrunken. Die Beamten im Revier fesselten ihn an Händen und Füßen in der Gewahrsamzelle. So weit polizeiliche Routine.
Was dann geschah, hält noch zwölf Jahre später die Öffentlichkeit in Atem. Denn dann brach ein Feuer aus, in dem Oury Jalloh, vielleicht qualvoll, verbrannte. Hatte er seine Matratze in Brand gesteckt und starb letztlich durch die eigene Hand? Oder wurde das Feuer gelegt? Ob diese Frage jemals geklärt werden wird, ist offen. Die Debatte nimmt aber wieder Fahrt auf.
„Oury Jalloh, das war Mord!“ Dieser Satz ist immer wieder zu hören und auf Transparenten zu lesen, wenn sich wütende und trauernde Demonstranten alljährlich im Januar in Dessau versammeln, um an den brutalen Tod von Oury Jalloh zu erinnern, an den Asylbewerber aus Sierra Leone, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle starb. Als Polizeibeamte und Feuerwehrleute nach langen Minuten seine Zelle betraten, fanden sie nur noch einen verkohlten Leichnam vor.
Feueralarm wurde ignoriert
Die lange vertretene These, Jalloh habe sich selbst angezündet, wackelt seit einiger Zeit, deshalb gab es Mordermittlungen. Die Demonstranten in Dessau haben nie geglaubt, dass Oury Jalloh selbst das Feuer gelegt habe. Und über die Jahre bekamen ihre Zweifel immer neue Nahrung.
Jetzt scheinen die Zweifel amtlich bestätigt worden zu sein. Nach dem ARD-Bericht, wonach mehrere Sachverständige es für wahrscheinlicher halten, dass Oury Jalloh durch Fremdeinwirkung ums Leben kam. Die Sachverständigen hatten den letzten, im vergangenen Jahr unternommenen Versuch einer Nachstellung des Geschehens akribisch ausgewertet. Die Behauptung der wütenden Demonstranten, „Oury Jalloh, das war Mord“, trifft sie also doch zu?
Zwei Gerichte hatten das bisher verneint. Im Dezember 2008 sprach das Dessauer Landgericht zwei Polizisten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge frei. Der Bundesgerichtshof kassierte später einen der Freisprüche. In einem weiteren Verfahren verurteilte das Landgericht Magdeburg vier Jahre später den damaligen Dienstgruppenleiter des Dessauer Polizeireviers zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung.
Telefonat deutet auf Rassismus in den Reihen der Polizei hin
Er hatte geduldet, dass Jallohs Zelle nicht ständig überwacht wurde. Ihm war vorgeworfen worden, zweimal den Feueralarm weggedrückt zu haben, ehe er nach dem Mann sah. In beiden Verfahren waren die Behörden noch davon ausgegangen, dass Oury Jalloh durch die eigene Hand gestorben sei, weil es ihm trotz Fesselung gelungen sei, seine Matratze in Brand zu stecken.
Für öffentliche Empörung und Zweifel an der Dessauer Polizei sorgte auch die kurz nach Jallohs Tod bekannt gewordene Aufnahme eines Telefonats zwischen dem Dienstgruppenleiter des Reviers und einem Arzt, der eine Blutprobe bei Jalloh nehmen sollte: „Ja, piekste mal ’nen Schwarzafrikaner“, so der Beamte. Antwort: „Ach du Scheiße.“ Der Polizist lacht. Der Arzt sagt: „Da finde ich immer keine Vene, bei den Dunkelhäutigen.“ Der Beamte erwidert: „Na, bring doch ’ne Spezialkanüle mit.“
Kritiker sehen in dem Dialog klare Beweise für den Rassismus in den Reihen der Polizei. Mehrere Brandversuche, in denen Jallohs Feuertod rekonstruiert wurde, zuletzt eben 2016, brachten aber keine Klarheit. Die genauen Todesumstände blieben stets ungeklärt.
„Anhaltspunkte fehlen“
Dabei ist der Fall Oury Jalloh ein Fall voller Rätsel: Woher stammt das Feuerzeug, mit dem er sich angezündet haben soll, obwohl er gefesselt war? Woher sein gebrochenes Nasenbein, das erst bei einer zweiten, auf private Initiative hin veranlassten Obduktion entdeckt worden war? Was hatte es auf sich mit der Flüssigkeit, die Beamte an jenem Tag in der Zelle entdeckten? Warum wurden nicht alle Handfesseln sichergestellt? Und wie kam es, dass eine der Fesseln später vom Hausmeister entsorgt wurde?
Solche Ungereimtheiten ließen die Kritik an der Polizei und die Zweifel an der Selbstmordthese wachsen. Doch die Staatsanwaltschaft Halle, die das Verfahren im Juni übernommen hatte, stellte die Ermittlungen im Oktober ein. Sie hätten „keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung“ erbracht, erklärte die Behörde.
Wie kommt es aber dann, dass die Sachverständigen eine solche Beteiligung zumindest für wahrscheinlicher halten als einen Selbstmord? Noch so ein Rätsel. An dem Punkt könnte eine unabhängige Überprüfung der Ermittlungen Klarheit schaffen. Doch ein entsprechender Antrag der Linken im Rechtsausschuss des Landtages von Sachsen-Anhalt fand in der vergangenen Woche keine Mehrheit.