Organspende: „Mein neues Leben hat begonnen“

Maria Merk und Elisabeth Woitzik sind die ersten, die mithilfe einer privaten Initiative durch eine Überkreuz-Lebendspende neue Nieren bekommen haben. Doch sie mussten hohe Hürden nehmen.
An der Berliner Universitätsklinik Charité ist im vergangenen Oktober etwas gelungen, was in Deutschland ausgesprochenen Seltenheitswert hat: eine sogenannte Crossover- oder Überkreuz-Lebendspende, also eine Art Nierentausch zwischen zwei Paaren aus Biberach an der Riß und Köln.
Elisabeth Woitzik aus Köln erhielt nach sechs Jahren an der Dialyse eine Spenderniere von Lothar Merk aus Biberach. Merks Ehefrau Maria bekam eine Niere von Woitziks Jugendfreund Franz Bergen. Beide Frauen leiden an Zystennieren, einer erblichen Erkrankung. Allen vier Beteiligten geht es nach den Eingriffen gut. Es sei erst die zweite Crossover-Transplantation an der Charité überhaupt gewesen, sagt Professor Klemens Budde, Schwerpunktleiter Transplantation an der Klinik. Die erste liegt 14 Jahre zurück. Grund: Die derzeit strenge Rechtslage sorge für große Unsicherheit. Budde ist jedoch entschlossen: „Wir wollen das jetzt ausbauen.“
Organspende in Deutschland: Der Organmangel hält an
Bei einer Lebendspende stellen Spender:innen die eigenen Organe zur Verfügung - vor allem Nieren. Die spendende Person kann mit der verbleibenden Niere weiterhin ein normales Leben führen. Die Überkreuz-Lebendspende ist nicht das Allheilmittel gegen den anhaltenden Organmangel in Deutschland, der etwa für Nierenkranke immer längere Wartezeiten bedeutet. Budde sieht darin aber ein wichtiges Verfahren. Sie kommt für Nierenkranke in Frage, die einen potenziellen Organspender oder eine -spenderin in ihrem Umfeld haben, bei denen aber eine direkte Lebendspende nicht möglich ist, weil es etwa Gewebeunverträglichkeiten gibt.

So war es bei Merk und Woitzik, bei der neben dem Jugendfreund auch der Ehemann aus medizinischen Gründen nicht direkt spenden konnte. Und so ist es laut Budde bei etwa fünf bis zehn Prozent aller Spender-Empfänger-Paare: „Wenn wir hier Crossover-Programme breiter einsetzen könnten, würde das die Wartelisten tatsächlich relevant entlasten.“ Auch der Ärztetag hat im vergangenen November gefordert, die Crossover-Spende zu erleichtern.
Wie steinig der Weg derzeit ist, zeigt der Berliner Fall. Er wurde überhaupt erst möglich durch eine Privatinitiative: Die Wolfsburgerin Susanne Reitmaier hat aufgrund der Erfahrungen mit ihrer nierenkranken Tochter vor Jahren die Initiative „Crossover-Nierenspenderliste“ aufgebaut. Auf einer geschützten Website können sich Spender-Empfänger-Paare eintragen und ihre Daten verschlüsselt hinterlegen. Computergesteuert werden aus dem Pool zwei immunologisch passende Paare ermittelt. Reitmaier macht diese dann miteinander bekannt und begleitet den vom deutschen Transplantationsgesetz (TPG) vorgeschriebenen Kennenlernprozess. Das TPG schreibt in Paragraf 8 nämlich vor, dass Lebendspenden nur zwischen engen Verwandten oder Menschen möglich sind, die sich „in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“.
Maria Merk und Elisabeth Woitzik sind die ersten, die durch dieses ehrenamtliche Projekt neue Nieren bekommen haben. „Mein neues Leben hat begonnen“, sagt Merk heute, deren Mutter und Bruder nach vielen Jahren an der Dialyse verstorben sind. Auch Woitzik ist dankbar über die neue Chance: „Mir ging es in den letzten Jahren der Dialyse immer schlechter. Jetzt habe ich wieder jede Menge Kraft und Energie.“
Organspende: Überkreuz-Lebendspende nur bei „persönlicher Verbundenheit“
Bis es soweit war, mussten sie aber hohe Hürden nehmen – vor allem die des vom Gesetz verlangten Kennenlernens. Beim ersten Treffen in Wolfsburg im Sommer 2020, erinnert sich Woitzik, „war gleich Sympathie da. Es gab viel Verbindendes, wir sind zum Beispiel alle um die 60, wir beiden Frauen Grundschullehrerinnen.“ Es folgten mehrere gemeinsame Aufenthalte in der Charité für Untersuchungen. Wegen der Pandemie habe man aber zunächst darauf verzichtet, sich privat in Biberach und Köln zu besuchen. Im Februar 2021 dann der Termin vor der Berliner Lebendspendekommission, die laut Gesetz begutachten muss, ob die Lebendspende freiwillig und ohne finanzielle Interessen erfolge.
Doch die Kommission lehnte ab, sie sah die erforderliche „persönliche Verbundenheit“ noch nicht ausreichend gegeben. Die Enttäuschung war riesig, so Maria Merk: „Eigentlich hat man ja gar keine Kraft, noch weiter zu kämpfen.“ Immerhin bekamen die Paare eine zweite Chance: Im Juli durften sie erneut antreten und hatten in der Zwischenzeit gemeinsame Wochenenden verbracht, mehrfach wöchentlich telefoniert, Videocalls gemacht. Längst waren die Paare zu Freunden geworden. Das reichte der Kommission. Im Oktober wurde endlich transplantiert – beide Paare gleichzeitig in den Kliniken Berlin-Mitte und Virchow. Vorher hatten alle sich geeinigt: Wenn bei der einen Transplantation etwas schief gehen sollte, solle die andere trotzdem stattfinden.
Für Transplantationsmediziner Budde zeigt der Fall exemplarisch die Schwachstelle des Gesetzes. Das Verbundenheits-Kriterium sollte wegfallen, fordert er: „Aus ihm spricht Misstrauen gegenüber dem Bürger, und es geht an der Realität vorbei.“ Denn auch beim Überkreuz-Programm gebe ein Spender eine Niere doch letztlich zum Wohl seines Partners oder seiner Partnerin, auch wenn jemand anderes das Organ bekomme. Dass die deutsche Regelung nicht zwingend ist, zeigt der Blick nach Frankreich: Dort ist genau das Gegenteil vorgeschrieben, nämlich, dass die beiden Spender-Empfänger-Paare sich nicht kennen.
Organspende: Mediziner fordert, altruistische Spenden zu erlauben
Die Charité hofft denn auch auf eine Änderung des Transplantationsgesetzes, die Crossover leichter macht. Aber auch unabhängig davon will die Klinik ihr Überkreuzspenden-Programm wachsen lassen. Sie verfügt neuerdings über ein Computerprogramm, das aus dem Patient:innenpool immunologisch passende Paare für Crossover-Transplantationen herausfiltern kann. Rund 120 nierenkranke Menschen werden da eingespeist, um passende Kombinationen zu ermitteln. „Dann gehen wir nach und nach voran“, sagt Budde.
Mittelfristig plädiert er dafür, in Deutschland die Lebendspende noch weiter zu öffnen und auch anonyme altruistische Lebendspenden zu erlauben, wie etwa in Spanien, den Niederlanden und Großbritannien. Dort existieren große Nierenaustauschprogramme mit klaren gesetzlichen Regelungen. So würden etwa sogenannte Transplantations-Ketten möglich, bei denen am Anfang eine altruistische Spende steht und in der Folge mehrere Spender-Empfänger-Paare beteiligt sind. Aber, so der Mediziner: „In Deutschland brauchen wir erst mal den ersten Schritt.“ Wann der kommt, ist allerdings offen: Aktuelle Planungen, das Transplantationsgesetz zu ändern, gibt es laut Bundesgesundheitsministerium derzeit nicht.