„Würde nicht sagen, dass Opposition Mist ist“: SPD denkt offen über alle Optionen nach
Nach der Niederlage bei der Berlin-Wahl 2023 diskutiert die SPD über ihre zukünftige Rolle im Abgeordnetenhaus der Hauptstadt. Ist sogar Opposition denkbar?
Berlin – Ein Gang in die Opposition war für die Berliner SPD nach ihrer Wahlschlappe am 12. Februar zunächst kaum ein Thema. Fast eine Woche lang mieden Genossinen und Genossen das Wort. Ab Dienstag (21. Februar) stehen weitere Sondierungsgespräche mit der CDU und den Grünen an. Nun hat zuletzt der stellvertretende Vorsitzende der Berliner SPD, Raed Saleh, am vergangenen Wochenende offen über Opposition gesprochen. „Die Situation ist für alle Beteiligten kompliziert“, sagte er der Berliner Morgenpost. Bisher könne keine Konstellation bei der Regierungsbildung ausgeschlossen werden.
Saleh so wörtlich: „Ich würde auch nicht wie ein großer Sozialdemokrat sagen, dass Opposition Mist ist.“ Damit spielte er auf Franz Müntefering und seinen Satz aus dem Jahr 2004 an. Der damals frisch gewählte SPD-Chef hatte auf einem Parteitag in Berlin gesagt: „Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen, wir wollen regieren.“ Vor fast zwanzig Jahren feierten die Delegierten Müntefering für seine Aussage. Heute sieht die Situation in Berlin für einen Einzug ins Rote Rathaus etwas anders aus.
Das sehen auch Parteigenossinnen und Parteigenossen von Saleh ähnlich. Der direkt gewählte Berliner Abgeordnete Orkan Özdemir forderte, dass seine Partei keine Angst vor der Opposition haben solle. Regieren sei kein Selbstzweck, sagte er der Berliner Zeitung. Die ehemalige Staatssekretärin Sawsan Chebli äußerte sich ähnlich. Eine „ernsthafte“ Diskussion über eine Rolle der SPD in der Opposition des Berliner Abgeordnetenhauses forderte der frühere Bausenator Wolfgang Nagel.
Nach der Berlin-Wahl: Geht die SPD erstmals seit 30 Jahren in die Opposition?
Erst die ab Dienstag (21. Februar) fortgeführten Sondierungsgespräche mit der CDU und den Grünen werden für die SPD Klarheit bringen, ob sie mitregieren darf oder sich in der Opposition einrichten muss. Obwohl die CDU die Wahl deutlich gewonnen hat, dürfte sie zu Kompromissen bereit sein. Denn die Christdemokratinnen und Christdemokraten drängen nach langer Abstinenz wieder auf Regierungsverantwortung im Berliner Abgeordnetenhaus.

Die Grünen, die auch nach der Nachzählung im Berliner Stadtteil Lichtenberg fast gleichauf mit der SPD liegen, werden wohl selbstbewusst in die Koalitionsverhandlungen gehen. Sie könnten Senatsposten einfordern, aber auch die inhaltliche Ausrichtung eines gemeinsamen Bündnisses zwischen Grünen und SPD mit der Linken maßgeblich beeinflussen.
Für die SPD stellt sich die Frage, ob sie ein Rot-Grün-Rotes Bündnis fortsetzen kann, eine Regierung mit der CDU anstreben sollte oder eben die Regierungsbank verlassen wird. Erstmals nach 30 Jahren Regierungsverantwortung würde die Berliner SPD dann in die Opposition wechseln.
Berliner SPD muss sich nach der Niederlage mit Giffey nach der Berlin-Wahl neu finden
Die Rolle in der Opposition sehnten viele herbei, heißt es aus Kreisen der Berliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Dadurch könne die Partei sich auf ihre Stärken besinnen und ihr Profil neu schärfen. So gesehen wäre die Opposition auch eine Chance und weniger „Mist“, wie sie Müntefering einst bezeichnet hat.
Eine Schärfung Profils zeigt sich auch dahingehend erforderlich, weil sich die Partei-Basis eher links verortet, während die bisher Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey einen Kurs der Mitte verfolgte. Mögliche Koalitionspartner fordern in Sondierungsgesprächen jedoch einen klaren Kurs, was für den Wechsel in die Opposition sprechen würde. In einem solchen Fall gebe es für Giffey und auch Co-Chef Saleh vermutlich kaum eine Zukunft als Doppelspitze.
Es gibt aber auch Stimmen innerhalb der Partei, die der CDU und den Grünen die Fähigkeit für Kompromisse absprechen und deshalb eine Regierungsbeteiligung der SPD fordern. Die Meinungen gingen teilweise weit auseinander und alle Optionen würden diskutiert, heißt es von der SPD-Basis. (Clemens Dörrenberg)