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Robert Habeck und Olaf Scholz und bei Anne Will: Koalitionsgespräche ganz ohne FDP

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Von: Mirko Schmid

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Habeck redet, Scholz lauscht. Bei Anne Will geben sich die Alphamänner von SPD und Grünen bereits als Team.
Habeck redet, Scholz lauscht. Bei Anne Will geben sich die Alphamänner von SPD und Grünen bereits als Team. © Screenshot ARD Mediathek

Olaf Scholz und Robert Habeck spielen sich bei Anne Will die Bälle zu. Während sie sich als künftiges Regierungsduo präsentieren, steht ein Elefant im Raum. Die TV-Kritik.

Olaf Scholz ist Olaf Scholz. Daran hat sich über all die Jahre seiner politischen Karriere nichts geändert und es darf niemanden ernsthaft überraschen, wenn das auch so bleiben wird, wenn er erst einmal im Kanzleramt wohnt. Weithin ist die Erkenntnis gereift, dass Scholz dort nicht einziehen wird, weil er auf einmal zum Menschenfänger mutiert wäre. Oder gar tief in seiner Scholzomat-DNA Spurenelemente der politischen Rockstar-Attitüde eines Gerhard Schröder oder Joschka Fischer entdeckt.

Nein, auch an diesem Abend bei Anne Will beweist der SPD-Politiker, dass er den langweiligen, aber verlässlichen Politikertypus vertritt, auf den sich die Menschen im Land nach 16 Jahren Angela Merkel konditioniert sind. Olaf Scholz ist mit der Raute verschmolzen. Beispiel gefällig? Scholz sagt: „Wir müssen wegkommen vom Malen bunter Bilder, wir müssen reale, handfeste Politik machen, damit Deutschland in 10, 20, 30 Jahren noch eines der Länder ist, die technologisch in der Welt vorne dabei sind und wo der Wohlstand hierzulande für die Bürgerinnen und Bürger, unser ganzes Land, nicht geringer ist im Vergleich zu anderen Ländern, in Asien zu Beispiel.“

55 Wörter. Drei Zahlen. Ein Satz. Und ein Sound, der dermaßen nach Angela Merkel klingt, dass Olaf Scholz die Redenschreibenden der bald in Rente gehenden „Mutti“ im Grunde einfach übernehmen könnte – sie müssten sich nicht neu erfinden. Und so bietet Scholz, genau wie Robert Habeck, der sich sichtlich in der Rolle des Staatsmannes gefällt, kaum Angriffsfläche. Dabei geben sich die übrigen Gäste alle Mühe, die beiden aus der Reserve zu locken.

Scholz und Habeck bei Anne Will: Eine Sendung über die FDP und ohne die FDP

Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert, Professorin Ursula Münch und FAZ-Journalist Rainer Hank versuchen von verschiedenen Seiten Nadelstiche zu setzen. Kemfert und Münch aus einer progressiven Perspektive, Hank soll wohl den Liberal-Konservativen geben. Doch genau hier wird der unverzeihliche Fauxpas der Regie schmerzlich bewusst. Die gesamte Sendung über steht ein Elefant im Raum. Er ist stumm, aber nicht zu übersehen. Er gewinnt seine Präsenz durch Abwesenheit. Der Elefant ist gelb, heißt FDP und wurde beim Versenden der Einladungen offensichtlich vergessen.

Denn welchen Sinn genau, Hand aufs Herz, hat eine Talkrunde, in der es gefühlt zu 80 Prozent um den dritten potenziellen Regierungspartner geht, der aber nicht mitreden darf? Die blitzgescheite Liberale Marie-Agnes Strack-Zimmermann braucht genau fünf Minuten, um den gesamten Versuchsaufbau im Anschluss an das heitere Geplauder auf Twitter bloßzustellen.

Die Bundestagsabgeordnete schreibt: „Freue mich immer, wenn bei Anne Will so viel über die FDP gesprochen wird. Dass Olaf Scholz und Robert Habeck unsere Standpunkte erklären, zeigt den konstruktiven und fairen Geist der Ampel. Beim nächsten Mal aber gerne einfach mit der FDP debattieren, das macht es einfacher.“ Pointiert, Augenzwinkernd, entlarvend. Rezo würde das wohl eine „Zerstörung“ nennen.

Habeck wähnt sich bei Anne Will bereits in einer Regierung mit SPD und FDP

Zielsicher definiert Strack-Zimmermann so das Problem des Abends, nennt das Rüsseltier beim Namen. Wie konnte es sein, dass sich Scholz und Habeck als künftiger Kanzler und dessen Vize in Szene setzen, ohne den ungeliebten Dritten im Boot zur Sprache kommen zu lassen? Schließlich dreht sich, so sieht es das ARD-Script heute vor, doch alles darum, dass die FDP als „Elfprozentpartei 100 Prozent durchgesetzt hat“ (Will)? Hatte Christian Lindner keine Zeit? Hat Volker Wissing keinen Parkplatz gefunden? War Nicola Beer wieder mit Klimawandel-revisionistischen Tweets beschäftigt? Und was macht eigentlich Wolfgang Kubicki neuerdings an einem Sonntagabend?

GastPosition
Olaf ScholzSPD-Kanzlerkandidat
Robert HabeckCo-Vorsitzender Grüne
Claudia KemfertLeiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
Rainer HankEhem. Leiter der Wirtschafts- und Finanzredaktion der FAS
Ursula MünchProfessorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München

So kommt es, dass Habeck in die Rolle des Erklärbären gedrängt wird. Ob die FDP der eigentliche Sieger der Sondierungen sei, schließlich habe die Partei ja geplante Wohltaten wie eine höhere Besteuerung Reicher bei gleichzeitiger Entlastung Geringverdienender verhindert und dafür gesorgt, dass Linder seinen Porsche auch weiterhin weit jenseits der 130 über deutsche Autobahnen jagen kann?

Habeck: „Wir sind jetzt mit einer Partei in der Regierung, die andere Vorstellungen hat und das muss man ganz ehrlich einräumen.“ Ganze Welten gar sei man finanzpolitisch entfernt voneinander. Und doch wohl schon so nah beieinander, dass der Grüne gar nicht merkt, dass er der Zeit ein wenig voraus ist. Schließlich steht vor dieser Regierung noch eine lange und kleinteilige Verhandlung eines Koalitionsvertrages. Die in diesem Moment aber dank Habecks Freudschem Versprecher nur noch wie eine Formalie wirkt.

Anne Will: Habeck redet, Scholz nickt – und umgekehrt

Also: wird schon. Denn: „Ist das Tempolimit ein zu hoher Preis im Vergleich zu allem anderen?“ Nein, findet er nicht, beantwortet Habeck die eigene Frage. Und sowieso dürfe man das Sondierungspapier auch nicht zu ernst nehmen. Das nämlich, sagt Habeck, sei ja schließlich erstmal nur ein Dokument, das besagt, dass man sich zutraut, einen Koalitionsvertrag zu schreiben. Und zwar: „Mit Partnern, die erst einmal üben müssen, miteinander klarzukommen."

Scholz übrigens grinst häufig, wenn Habeck redet (die an dieser Stelle übliche Anspielung bleibt in Schlumpfhausen). Manchmal schaut er seinen wohl künftigen Vize prüfend an, wenn der redet. Und da ihm das, was sein Sidekick so erzählt, offensichtlich mundet, nickt er im Anschluss. Wieder und wieder. Umgekehrt nickt auch Habeck viel, wenn Scholz redet. Hinter den Kulissen mag das vielleicht anders sein, aber es wirkt, als ob die Chemie zwischen beiden Alphamännern stimmt.

Und so bleibt es dabei, dass Scholzbeck (oder Habolz) schwammige „idealerweise“-Formulierungen in ihrem Sondierungspapier wegmoderieren. „Menschen im niedrigen Einkommensbereich werden von der nächsten Regierung profitieren“, verspricht Scholz und verweist auf Mindestlohnerhöhung, eine sichere Rente, mehr bezahlbaren Wohnraum und so. Um niedrige Einkommen zu entlasten, müsse angesichts des FDP-Vetos gegenüber Steuererhöhungen aber erst einmal anderweitig Geld rein, sekundiert Habeck. Woher? Na aus der Wirtschaft, die sich ja hoffensichtlich bald erholt. Klingt nach einer soliden Finanzplanung eines Mannes, der Scholz gerne an der Spitze des entsprechenden Ministeriums ablösen möchte.

Olaf Scholz wirft CDU und CSU bei Anne Will vor, gegen mehr Klimaschutz zu kämpfen

Und dann scholzt es noch einmal unnachahmlich. Bezogen auf den Atomausstieg und den geplanten Ausstieg aus der Kohle sagt der Mann, der sich augenscheinlich bereits auf den letzten Metern zum Kanzleramt wähnt, dass „all die politischen Widerständler bei CDU/CSU“ hätten „aufhören müssen, erneuerbare Energien in Deutschland zu bekämpfen, was sie bis zur letzten Sekunde der letzten Legislaturperiode getan haben. Nein, eine weitere Regierungsbeteiligung der CDU/CSU hätte dazu geführt, dass wir die Ziele alle nicht erreicht hätten.“ Und deshalb sei er „in dieser Frage sehr froh, dass ich jetzt eine Chance habe, eine Regierung zu bilden, mit anderen zusammen, die sich genau das Ziel vorgenommen haben, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Strom- und Leitungsnetze in dem Tempo stattfindet, was sein muss.“ Knackig formuliert, Genosse.

Markus Lanz in der ARD

„Die Ampel im Aufbruch - ist Rot-Grün-Gelb finanzierbar?“, ARD, von Sonntag, 24. Oktober 2021, ab 21.45 Uhr. Im Netz: ARD Mediathek.

Münch merkt an, dass die SPD doch auch regiert habe in den letzten Jahren. Scholz antwortet, dass die eigenen Klimaschutz-Bemühungen immer an der Union gescheitert seien, an der sich die SPD die Zähne ausgebissen habe. Habeck sagt sogar, dass Scholz, so der denn Kanzler wird, ein Klimakanzler werde. Weil die Grünen ja schließlich mitregierten. Das hätte fast plausibel klingen können, hätte sich Habeck nicht kurz darauf bitter darüber beklagt, dass es immer die Grünen seien, die für mehr Klimaschutz in einer Regierung in Haft genommen würden. Den Klimaschutz bei den Grünen abzuladen geht ja gar nicht, sagt Habeck.

Robert Habeck beklagt bei Anne Will, dass Grüne für Klimaschutz in Haftung genommen werden

Moment. Stopp. Was? Kurzer Blick auf Wahlplakate und Wahlprogramm der Grünen. Okay, doch. Da steht tatsächlich jeweils, dass wer das Klima retten möge, die Grünen wählen solle. Man könnte fast versucht sein, das Klima-Thema als so etwas wie den Unique Selling Point dieser Partei misszuverstehen. Wie gut, dass Habeck diesen Irrtum aufklärt. Soll nur niemand sagen, dass die Grünen da eine gewisse Restverantwortung gegenüber ihrer Wählerschaft mit in eine Koalitionsbildung nehmen müssten. Oder sie gar dafür rügen, wenn der Klimaschutz auf dem Weg in die Ministerien ein wenig aus den Augen gerät.

Was wohl die FDP dazu zu sagen gehabt hätte? Törööö. (Mirko Schmid)

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