Österreichs Sozialdemokraten müssten eigentlich glänzend dastehen – eigentlich

Österreichs Sozialdemokratie zerfleischt sich selbst, statt politische Alternativen zu bieten. Und das obwohl das ungeliebte schwarz-grüne Bündnis in Wien von einer Krise in die nächste Krise stolpert.
Frankfurt – „Man sieht überall verbrannte Erde“, heißt es bei der stärksten österreichischen Oppositionspartei, der sozialdemokratischen SPÖ. Der interne Machtkampf um den Vorsitz und damit auch die Spitzenkandidatur bei der Nationalratswahl spätestens im Herbst 2024 ist völlig eskaliert. Im Zentrum der Angriffe steht die Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, die nun von ihrem größten Widersacher offen herausgefordert wird: Hans Peter Doskozil, ein konservativ geprägter SPÖ-Mann und Landeshauptmann – also Ministerpräsident – im kleinen Burgenland.
Doskozil hat seine Kandidatur angekündigt, obwohl offiziell gar kein Parteitag ansteht. In einem Brief schreibt er, die SPÖ gebe momentan „ein desaströses Bild“ ab, aber mit ihm bestehe „die Aussicht, wieder Wahlen zu gewinnen“. Nun debattieren und streiten die Gremien, ob es zu einem Mitgliederentscheid an der Basis kommen soll oder ob ein Sonderparteitag einberufen wird.
Österreich: SPÖ-Chefin will erste Kanzlerin werden
Eigentlich müssten die Sozialdemokraten glänzend dastehen, hangelt sich doch das ungeliebte schwarz-grüne Bündnis in Wien von Krise zu Krise. Doch die Partei dümpelt bei 25 Prozent dahin – Tendenz abwärts –, wohingegen die rechtspopulistische bis rechtsradikale FPÖ als stärkste Partei auf 30 Prozent zustrebt. In Wien wird schon länger darüber diskutiert, ob deren Chef Herbert Kickl dann eine Mehrheit hinter sich scharen kann, die ihn zum Kanzler macht.
SPÖ-Chefin Rendi-Wagner, eine Ärztin und Quereinsteigerin in den Politikbetrieb, wollte und will die erste Kanzlerin im Alpenstaat werden. Doch seit ihrer Wahl 2018 an die Parteispitze wird sie mit Kritik nur so zugeschüttet, auch von eigenen Leuten. Sie könne es nicht, wird geurteilt, sie habe kein Gespür für wichtige Themen, sei letztlich unpolitisch und dazu auch noch unkommunikativ.
Österreich: Der Herausforderer aus dem Burgenland
In der Öffentlichkeit wirkt sie tatsächlich immer wieder unsicher und nervös. Bei vielen Interviewanfragen hat sie gekniffen und dafür Leute aus der zweiten oder dritten Parteireihe vorgeschickt. Rendi-Wagner sei eben gründlich und seriös, heißt es bei ihren Unterstützern. Keine Frau für Schnellschüsse, sie arbeite ernsthaft. Allgemein wird anerkannt, mit welcher Beharrlichkeit sie weitermacht.
Hans Peter Doskozil hingegen ist ein rechter Sozialdemokrat alter Schule. Ein Macher und Kämpfertyp, womöglich auch ein Ego-Shooter. Dem Burgenland hat er zahlreiche Wohltaten beschert: Es gibt einen Mindestlohn von 2000 Euro netto, die Kindergärten sind gratis, Mieten in Genossenschaftswohnungen eingefroren. Und wer Angehörige pflegt, erhält das Recht, beim Land angestellt zu werden. Manche wundern sich, wie das alles bezahlt wird.
Österreich: „Ein bisschen rechts geht nicht“
Vor allem steht der gelernte Polizist für einen scharfen Kurs beim Thema innere Sicherheit und gegenüber Flüchtlingen. Die möchte er durch Zäune und abgeschottete Grenzen daran hindern, nach Österreich zu kommen. Das richtet sich an die vielen Wähler:innen, die zur FPÖ abgewandert sind und die Doskozil für sich will. Geräuschlos und fast unbemerkt regiert er in seinem Bundesland selbst mit den Rechtsnationalisten. Manche vermuten, dass er die FPÖ im Bund klein machen möchte, um dann mit ihr zu koalieren. Ein Problem für Doskozil ist seine Stimme – schon mehrfach musste er sich an den Stimmbändern operieren lassen.
Die Parteivorsitzende Rendi-Wagner will hingegen die Brandmauer gegen rechts erhalten. „Ein bisschen rechts geht nicht“, sagte sie jüngst. Die SPÖ müsse sich weiterhin „gegen Hetze, Spaltung, Nationalismus und Chauvinismus stellen“. Das Lager Rendi-Wagners beschreibt Doskozil auch als eine Art kleinen Provinzpolitiker. „Es ist schon ein Unterschied, ob man einen Wiener Bezirk regiert oder die Republik“, heißt es aus dem Umfeld der Chefin. Das ist eine Anspielung auf das Burgenland, das mit seiner Bevölkerung von insgesamt 300 000 tatsächlich nur so groß ist wie mancher Bezirk der Hauptstadt.