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Grüne in Frankreich: Öko-Partei mausert sich zur ernsthaften Alternative

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Von: Stefan Brändle

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„Objectif Mars“, „Ziel Mars“, heißt der 2020 bei Poitiers eröffnete Zukunftsfreizeitpark. Der Name könnte Programm sein.
„Objectif Mars“, „Ziel Mars“, heißt der 2020 bei Poitiers eröffnete Zukunftsfreizeitpark. Der Name könnte Programm sein. © GUILLAUME SOUVANT/AFP

Frankreichs Grüne waren lange eine belächelte Minderheit – jetzt erobern sie die Rathäuser etlicher Städte im Land.

Poitiers - Madame la maire – Frau Bürgermeisterin – kommt natürlich mit dem Fahrrad zum Termin im Rathaus. Und natürlich stehen Holzmöbel in ihrem schönen Eckbüro. Léonore Moncond’huy, seit nun gut einem Jahr Vorsteherin von Poitiers, ersetzte nach ihrer Wahl umgehend die Glastische und -stühle des sozialdemokratischen Vorgängers. Seine Partei hatte die zentralfranzösische Stadt, die mit angeschlossenem Umland eine Bevölkerung von 240 000 zählt, 43 Jahre lang regiert – politisch eine Ewigkeit.

Neben Poitiers eroberten Frankreichs Grüne noch 38 Städte – wie Lyon, Bordeaux und Straßburg; in Paris und Marseille teilen sie sich die Rathäuser mit der Linken. „Europe Ecologie-les Verts“ (EELV) überholte landesweit sogar die einstmals große Sozialistische Partei.

Das ist umso bemerkenswerter, als die „Verts“ weniger auf Konsens geben als die rechtsrheinischen Grünen und betont linke Standpunkte vertreten. Auch die 31 Jahre alte Léonore Moncond’huy: „Wenn wir die Gesellschaft nicht radikal umbauen, wird es die Klimaerwärmung an unserer Stelle tun.“ Die politische Linie der früheren Jugendaktivistin und Pfadfinderin ist klar rot-grün. Ihr erster Amtsentscheid war deutlich mehr sozial denn ökologisch motiviert: Die Stadt organisierte Gratis-Sommerferien für 1500 Kinder vor allem aus den vernachlässigten Vorstädten. Danach erst bediente die Bürgermeisterin das grüne Gewissen: Das Stadtzentrum wird massiv bepflanzt, und jeder verkehrspolitische Entscheid wird nun auf seine Fahrradtauglichkeit geprüft.

Frankreichs Grüne: Der städtische Flughafen soll für den kommerzielen Betrieb geschlossen werden

Für richtige Aufregung in Frankreich aber sorgte Moncond’huy vor allem mit dem Satz: „Fliegen darf nicht länger ein Kindertraum sein.“ Das war gegen ihren Stadtrat gemünzt, der die kommunale Subvention für örtliche Aeroklubs kürzte. Die Opposition schimpfte, die Aussage zeuge von der menschenfeindlichen Ideologie „grüner Khmer“ (Verweis auf die massenmörderischen Roten Khmer Kambodschas, ein obszöner Fehlgriff aus dem extremistischen Polit-Vokabular Frankreichs, d. Red.).

Léonore Moncond’huy.
Léonore Moncond’huy. © JOEL SAGET/AFP

Moncond’huy räumt ein, ihr Spruch über das Fliegen sei „ungeschickt“ gewesen. In der Sache aber wolle sie hart bleiben und den kleinen städtischen Flughafen – der Linien nach Lyon und London anbietet – für den kommerziellen Betrieb schließen und nur noch für Notfälle wie Organtransporte offen halten. Linienflüge sollen dann der Kinderfreude weichen.

Andere „écologistes“ in kommunalen Spitzenpositionen haben sich aber auch schon in die Nesseln gesetzt: In Bordeaux wollte Pierre Hurmic an Weihnachten keinen „toten Baum“ vor sein Rathaus stellen. Ein Aufschrei ging durchs katholische Land. In Lyon deklarierte Grégory Doucet, seine Stadt werde nicht mehr Etappenort sein für die „machistische“ Tour de France mit ihrer „verschmutzenden“ Autokarawane im Schlepptau. In Straßburg wollte Jeanne Barseghin den Bau einer Erdogan-nahen Moschee subventionieren. In Grenoble kam Eric Piolle diese Woche in Polizeigewahrsam, wo er sich wegen „Begünstigung“ bei einer lokalen Auftragsvergabe rechtfertigen musste.

Frankreichs Grüne: Poitiers soll kein Etappenort der Tour de France mehr sein

Auch ihre städtischen Schulkantinen will die Bürgermeisterin in Zukunft zumindest an zwei Wochentagen fleischlos verköstigen – in Lyon hat es wegen vegetarischer Menüvorschläge schon Protest gegeben. Zudem solle Poitiers nicht mehr wie 2020 die Tour de France empfangen, sondern deren weibliche Version, die 2022 starten soll. Moncond’huy twittert den Slogan: „Poitiers, feministische Stadt“.

In der Stadt hört man kaum Negatives darüber. „Bis jetzt geht mit ihr alles gut“, sagt ein Bäcker hinter seinem Covid-19-Schutzglas. Vielleicht hat Moncond’huy recht mit ihrer Behauptung, die ganze Aufregung um ein paar verunglückte Aussagen werde von den Pariser Medien geschürt; hier in Poitiers interessiere sich die Bevölkerung nicht dafür.

Frankreich: Grüne besetzen moderate Positionen

Ein Kenner der Lokalpolitik aus der Zeitung „La Nouvelle République“ bestätigt, die Grünen gingen kommunal mit Bedacht vor. Moncond’huy sieht er indes eher aufseiten der fundamentalistischen Verts, habe sie doch gemeinsam mit der Kommunistischen gegen die Sozialistische Partei gekämpft. Ein Hinweis auf die Richtigkeit dieser Einschätzung liefert Moncond’huy selbst mit ihrer Ansicht der deutschen Grünen: „Realos“ mit „grundlegenden Unterschieden“ zur EELV. Wobei das teils systembedingt sei: Die Deutschen neigten zu Koalitionen und Kompromissen, während in Frankreich die stärkste Partei allein regiere. Vor allem aber, so meint Moncond’huy, hielten die Verts an einer „linken Software“ fest, während die Grünen vielleicht dank der eigenen Erfahrung zu eher ausgleichenden Positionen gekommen seien.

Das Rathaus.
Das Rathaus. © Brändle

Mit Parteien wie den „Républicains“ – in Deutschland wären das die rechten Teile der CDU – würden die französischen Verts aber nie handelseinig, glaubt die Stadtchefin. Sie ist vehement gegen „ultraliberale Positionen“ der Konservativen, etwa in Sachen Freihandel: „In Frankreich gilt der Vorrang des Staates, und daran halten wir fest.“

Frankreichs Grüne: Die deutschen Grünen sind Vorbild

Dessen ungeachtet hält die Bürgerrechtlerin Moncond’huy den Vormarsch der deutschen Grünen für „sehr ermutigend“. Bei den französischen Präsidentschaftswahlen in knapp einem Jahr rechnet sich die Schwesterpartei EELV auch erstmals reale Wahlchancen aus. Präsident Emmanuel Macron ist unbeliebt und die Rechtspopulistin Marine Le Pen kaum mehrheitsfähig; die Konservativen und die Sozialist:innen sind nur noch Schatten ihrer selbst.

Mit Yannick Jadot haben die Grünen einen pragmatischen, medienversierten Kandidaten, der über seine Partei hinausdenkt. Schon zweimal suchte er Linksparteien an einen Tisch zu bringen. Auch wenn das Resultat enttäuschend war, wird Jadot zu einer – wenn nicht der – zentralen Figur seines Lagers. Kann er Frankreich bei Regional- und dann den Präsidentschaftswahlen die nächste „grüne Welle“ bescheren? „Ich weiß nicht“, meint Léonore Moncond’huy plötzlich eher wortkarg. Auch wenn sie es nicht offen sagt, scheint der „Realo“ Jadot nicht ihr Fall.

Aber so sind die französischen Verts: Orthodoxe und Pragmatische finden kaum je zusammen. Fast scheint es, dass die Klima- und auch die Covid-19-Krise den Graben durch die Partei noch verschärften. Sollten die deutschen Grünen im Herbst ins Kanzleramt einziehen, wäre das sicher ein starker Impuls für die Wahlen in Frankreich. Aber nur, wenn die französischen Grünen über ihre eigenen Schatten springen. (Stefan Brändle)

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