NSU 2.0: War Peter Beuth besser informiert als behauptet?
Der hessische Innenminister glaubt, dass das Landeskriminalamt im Fall „NSU 2.0“ Informationen zurückgehalten hat. Doch Polizeidokumente zeigen ein anderes Bild.
- Peter Beuth wirft dem hessischen LKA erfolglose Ermittlungen zum Thema „NSU 2.0“ vor.
- Interne Dokumente der Polizei zeigen, dass Beuths Behauptungen falsch sein könnten.
- Noch immer sind viele Fragen zum „NSU 2.0“ offen.
Selten in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Minister seine eigene Behörde so in den Senkel gestellt, wie der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) es in der vergangenen Woche mit dem hessischen Landeskriminalamt (LKA) getan hat. Es gebe „Missstände, die ich nicht akzeptieren werde“, sagte der CDU-Politiker vor der versammelten Presse. Diese Botschaft sei „offensichtlich noch nicht bei allen hessischen Polizisten angekommen“.
Schrecken beim LKA über Äußerungen von Peter Beuth
In hessischen Polizeidienststellen, wo man gewohnt ist, dass der oberste Vorgesetzte sich hinter seine Bediensteten stellt, nahm man das mit ungläubigem Entsetzen auf. LKA-Präsidentin Sabine Thurau sah sich genötigt, die eigenen Bediensteten zu beruhigen. „Die Kompetenzen und die Arbeitsweise des gesamten hessischen LKA wurden massiv in Zweifel gezogen“, schrieb sie am Freitag in einer Rundmail an die rund 950 Beschäftigten, die der Frankfurter Rundschau vorliegt. „Ich habe vollstes Vertrauen, dass wir der geäußerten Kritik weiterhin unsere überzeugende, professionelle und kompetente Arbeit entgegensetzen.“
Beuths Vorwurf bezog sich nicht nur auf die bisher erfolglosen Ermittlungen im Fall der rechtsextremen Todesdrohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz sowie die Linken-Politikerinnen Janine Wissler, Martina Renner und Anne Helm. Und auch nicht nur auf die Tatsache, dass vor den Drohungen persönliche Daten Betroffener von hessischen Polizeicomputern abgerufen worden waren, die sich dann in den Drohschreiben wiederfanden.
Beuth klagte über mangehalfte Informationen
Beuth beklagte sich vor allem über angeblich mangelhafte Information. Er habe erst am vorigen Mittwoch von dem Abruf der Daten von einem Polizeicomputer in einem Wiesbadener Revier erfahren, also nachdem die Frankfurter Rundschau in seinem Ministerium deswegen nachgefragt hatte. Das sei „völlig inakzeptabel“, klagte der Minister, das ermittelnde LKA habe „nicht die dringend gebotene Sensibilität“ gezeigt. Nun soll Hanspeter Mener, ein Sonderermittler aus dem Frankfurter Polizeipräsidium, der früher selbst eine Abteilung des LKA leitete, die Sache aufklären.
Aber stimmt Beuths Vorwurf überhaupt? Bereits in der vergangenen Woche hatten Insider widersprochen. Nun liegen der Frankfurter Rundschau Dokumente vor, die ein ganz anderes Bild zeichnen als das, das der Innenminister malt. Danach hat das LKA das Landespolizeipräsidium (LPP), das in Beuths Innenministerium seinen Sitz hat und ihn informieren muss, laufend unterrichtet.
Unterlagen zeigen dass das LKA beim „NSU 2.0“ informiert war
Am 15. Februar war das erste Drohschreiben von „NSU 2.0“ an Janine Wissler geschickt worden, eine Woche später ein weiteres. Am 25. Februar, also kurz nach den ersten beiden Drohschreiben, hatte das LKA herausgefunden, welcher Polizist an dem Polizeicomputer eingeloggt war, als von dort Meldedaten der Politikerin abgefragt wurden, die in den Drohbriefen erwähnt wurden. Das geht aus Unterlagen hervor, die der FR vorliegen.
Daraus lässt sich auch entnehmen, in welchem Revier diese Abfrage geschah: Es war das 3. Revier des Polizeipräsidiums Westhessen in Wiesbaden, angesiedelt im Europaviertel und zuständig für einen Teil der Wiesbadener Innenstadt und mehrere Vororte. Am selben Tag sei der Beamte vernommen worden, der eingeloggt gewesen war. Doch habe er behauptet, er könne mit dem Namen Wissler nichts anfangen und wisse von der Abfrage von seinem Computer aus nichts.
Beuth war laut internem Polizeivermerk informiert
Ausweislich eines internen Polizeivermerks wurden Beamte des Landespolizeipräsidiums eine gute Woche später, am 5. März, in einer Videokonferenz im Landespolizeipräsidium von dem Vorfall unterrichtet, für die LKA-Beamte in dessen Sitz im Hochhaus des Innenministeriums gekommen waren. Dort sei „das Thema unberechtigte Datenabfrage behandelt“ und „von der unberechtigten Abfrage im Polizeipräsidium Westhessen berichtet“ worden, notiert ein Ermittler.
Ein anderer hoher Beamter hält für dasselbe Datum fest: „Im Nachgang zur Videoschaltkonferenz wurden in der Runde die unberechtigten Datenabfragen durch Polizeibeamte erörtert.“ Das Thema sei auch schon während der Videoschalte aufgeworfen worden. Ein ermittelnder Beamter habe „dargestellt, dass von einem Wiesbadener Polizeirevier Frau Janine Wissler von der Partei Die Linke abgefragt wurde. In der sofort anberaumten Vernehmung des zugeordneten Kollegen hatte dieser angegeben, dass er Frau Wissler nicht kenne und sich auch nicht an die Abfrage im Einwohnermeldesystem erinnern kann“.
Der schwelende Konflikt hat eine lange Vorgeschichte
Wenn diese Darstellung stimmt, dann müsste Beuth informiert gewesen sein. Oder die wichtige Neuigkeit wäre auf dem Weg vom Landespolizeipräsidium zum Ministerbüro verloren gegangen. Das LKA trüge dann jedenfalls keine Schuld am Informationsdefizit des Ministers.
Der Innenausschuss des Landtags dürfte sich in den nächsten Tagen ein Bild davon machen. Gut möglich, dass dort drei Akteure auftreten, die eigentlich für die Sicherheit des Landes an einem Strang ziehen müssten, aber im aktuellen Konflikt ein Schwarze-Peter-Spiel miteinander spielen: Innenminister Beuth, Landespolizeipräsident Udo Münch und LKA-Chefin Thurau.
Der schwelende Konflikt hat eine lange Vorgeschichte. Die Landesregierung hatte versucht, die 2010 noch vom heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) ins Amt eingeführte Thurau aus dem Amt zu werfen. Sein Nachfolger als Innenminister, Boris Rhein (CDU), wollte ihre Probezeit nicht verlängern. Es folgte ein mehrjähriger Rechtsstreit, in dem die LKA-Präsidentin 2013 ihre Rückkehr ins Amt durchsetzte. Jetzt, wenige Monate vor Thuraus Pensionierung, eskaliert der Streit unter Rheins Nachfolger Peter Beuth.
In einer Frage allerdings sind sie sich anscheinend einig. Thurau hat Strafanzeige wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses gestellt, gegen unbekannt – wie es heißt, im Einvernehmen mit dem Landespolizeipräsidenten. Es geht darum, wer detaillierte Informationen zu den Ermittlungen im Fall Wissler an die Presse gegeben hat.
Weiterhin offene Fragen an Peter Beuth
Weiterhin ungelöst ist derweil die zentrale Frage: Wer hat die Abfragen in Wiesbaden und im Fall Basay-Yildiz im 1. Revier in Frankfurt im Jahr 2018 vorgenommen? In Frankfurt wurden sechs Polizisten vom Dienst suspendiert, doch der Täter wurde nicht identifiziert. In Wiesbaden ist unklar, ob es überhaupt Suspendierungen gegeben hat.
Die Ermittlungen dauern an, wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt bei jeder Anfrage versichert. Sie allein ist dafür zuständig, Informationen zum Fortgang herauszugeben, und gibt sich schmallippig – auch nach knapp zwei Jahren noch „aus ermittlungstaktischen Gründen“. Denn diese Ermittlungen laufen auch nach 23 Monaten im Fall Basay-Yildiz und nach vier Monaten im Fall Wissler noch, ohne dass Täter ermittelt wurden.
Der ständige Gegenwind könnte zum echten Problem werden. Die Chancen für Peter Beuth, Ministerpräsident zu werden, schrumpfen. Wie stark sich Drohungen wie die des „NSU 2.0“ auf Betroffene auswirken, zeigt ein Interview mit Olivia Sarma von „Response“ Hessen. Inzwischen hat Hessen Polizeichef Udo Münch seinen Hut genommen. NSU 2.0 in Hessen: Der Polizeiskandal weitet sich weiter aus, immer mehr Polizeireviere sind involviert. Die Parallelen anderer Fälle zum „NSU 2.0“ dürfen nicht übersehen werden. Die Ermittler müssen über ihre Ländergrenzen hinaus schauen und mit den Kollegen eng kooperieren.