NRW-Wahl: „Die FDP wird überlegen, ob die Ampel der Partei guttut“

Politologe Thomas Poguntke über die Stimmenverluste der Liberalen bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen, Rückenwind für die Grünen und die AfD auf der Suche nach einem Thema.
Herr Poguntke, was hat Sie am Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am meisten überrascht?
Das sehr schlechte Abschneiden der FDP. Hier gab es offensichtlich einen Last-minute-Swing von FDP-Wählern hin zur CDU.
Wie erklären Sie sich diesen Umschwung?
CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst konnte am Ende doch seinen Amtsbonus in die Waagschale werfen und hat im Schlussspurt einen überzeugenden Wahlkampf gemacht. Die CDU hat sicher auch etwas von der FDP profitiert, weil es liberale Wähler gibt, die gegenüber Ampelkoalitionen eher skeptisch sind. Die sind dann versucht, gleich die CDU zu wählen.
Dann lag das Absacken der FDP nicht an der FDP selbst?
Also, die FDP hatte das Unglück, in der Corona-Pandemie das Bildungsministerium zu haben und für die Schulpolitik verantwortlich zu sein – da konnte man es fast nur falsch machen. Die Schulpolitik hat in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode für Verdruss bei sehr vielen Wählern und Wählerinnen gesorgt.
Warum hat die SPD so schlecht abgeschnitten, wo sie doch Ende April noch Kopf an Kopf mit der CDU lag?
Es gab für den SPD-Spitzenkandidaten Thomas Kutschaty Gegenwind aus Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz ist im Zuge der Ukraine-Krise etwas in die Defensive geraten, und Kutschaty hat sehr stark auf die Unterstützung von Scholz gesetzt.
Die Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur ist im Vergleich zu Wüst und Kutschaty ein unbeschriebenes Blatt. Was hat sie anders gemacht als ihre Kontrahenten, dass die Grünen so große Zustimmung bekommen haben?
Für die Grünen gab es einen sehr deutlichen Rückenwind aus Berlin. Die zwei am besten bewerteten Regierungsmitglieder, die in dieser Krise eine gute Figur machen, sind beide Grüne. Das hat sicher genützt. Die Grünen haben im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen auch sehr stark auf die Person Neubaur gesetzt – sie haben massiv plakatiert. Die Partei hat insgesamt aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft viel Zuspruch bekommen. Und dann haben die Grünen ihre Wähler auch gut mobilisiert. Die Wahlbeteiligung ist erheblich nach unten gegangen, und man kann davon ausgehen, dass die Wählerschaft der Grünen besser mobilisiert war und ist als die Wählerschaft der anderen Parteien.
Woran liegt das? Die Grünen haben ja auch die meisten Nichtwähler mobilisiert. Warum gehen die SPD-Leute nicht zur Wahl, die Grünen aber schon?
Die SPD hat dieses Problem seit Längerem. Teile von NRW haben ein Strukturproblem, es gibt Arbeitsplatzabbau. Man kann als traditionelle Arbeiterpartei schwer mit dem Thema Klimawandel die eigene Kernklientel mobilisieren. Die Grünen mobilisieren eine andere Klientel. Das sind nicht die, die sich in erster Linie vom Kohleausstieg bedroht fühlen. Da ist die SPD strukturell etwas in der Defensive.

Zur Person
Thomas Poguntke ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Er ist Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Parteienrecht und -forschung. Poguntke wurde 1959 in Stuttgart geboren und hat in seiner Heimatstadt, London und Florenz studiert. coe
Welche bundespolitischen Folgen wird die NRW-Wahl für die CDU haben?
Für die CDU bedeutet das, dass die Führungsfrage mittelfristig geklärt ist. Wenn Schleswig-Holstein und NRW verloren gegangen wären, wäre die CDU wieder sehr nervös geworden.
Und die FDP?
Für die FDP wird es schwierig. Sie wird überlegen, ob die Ampel der Partei guttut.
Die AfD hat in NRW früher teilweise zweistellige Ergebnisse geholt, jetzt ist sie knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Was ist da passiert?
Zum Ersten hat sich die AfD weiter nach rechts bewegt und die etwas moderaten Kräfte verloren – das spiegelt sich in der Wählerschaft wider. Dann haben sich alle anderen Parteien darauf verständigt, einen Bereich, welcher der AfD sehr stark nützt, nämlich Migration und Integration, nicht zu thematisieren. Damit fehlt der AfD ein wichtiges Thema. Das dritte ist, dass die Partei in der Corona-Pandemie und in der Ukraine-Frage Positionen vertreten hat, die in großen Teilen der Bevölkerung keinen Anklang finden.
Noch schlimmer als die AfD hat es die Linke erwischt.
Der Linken ist das passiert, was kleineren Parteien geschieht, wenn sie nicht fest verankert sind: Wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde sind und dann innerparteiliche Querelen hinzukommen, wird es sehr schwierig. Die Linken sind jetzt so weit von der Relevanz entfernt, dass sie in NRW mittelfristig keine Rolle mehr spielen dürften. Sie sind in einer existenzbedrohenden Krise.
Ein Blick auf mögliche Regierungskoalitionen in Düsseldorf: Schwarz-Grün oder Ampel – was tippen Sie?
Es sieht sehr stark nach Schwarz-Grün aus. Die SPD hat so deutlich verloren, dass ihr ein wenig die Legitimation fehlt, obwohl sie formal natürlich recht hat: Es muss nicht die stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellen. Hinzu kommt aber, dass die FDP nicht für eine Ampel zur Verfügung stehen dürfte.
Warum nicht?
Sie hat zu stark verloren, und sie hat eher eine Wählerschaft, die Ampel-Koalitionen skeptisch gegenüber steht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie als sehr schwacher Partner in ein Dreier-Bündnis hineingeht, in dem zwei Partner stark an Wählern verloren haben.
Interview: Tatjana Coerschulte