Norwegen: Polizei stuft Mord an fünf Menschen als Terror ein

Morde mit Pfeil und Bogen in einer Kleinstadt in Norwegen überschatten den Regierungswechsel in Oslo – die Polizei fasst einen zum Islam konvertierten Mann und geht von Terror aus.
Weniger als eine Stunde nach seinem Amtsantritt kommentierte Norwegens neuer Regierungschef Jonas Gahr Støre fast beiläufig die Ermordung von fünf Menschen mit Pfeil und Bogen mit einem bemerkenswerten Satz: „Nicht zuletzt die Ereignisse der letzten Stunden zeigen, wie viel wir bei der Verbesserung der psychiatrischen Vorsorge tun müssen.“ Auch zu diesem Zeitpunkt – 16 Stunden nach dem Verbrechen eines 37-Jährigen in der Kleinstadt Kongsberg westlich von Oslo – war noch offen, ob die Morde als Terroranschlag eingestuft würden oder nicht.
Doch der neue Premier wird mit Sicherheit schon gewusst haben, dass der gefasste und geständige Täter Konvertit zum Islam ist und vor der Tat als „möglicherweise radikalisiert“ in den Polizeiakten geführt wurde. Der ortsansässige Mann, wegen der Herkunft seiner Mutter dänischer Staatsbürger, war mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Diebstahls, Drogendelikten und nach Morddrohungen gegen den Vater. Nach langem Zögern gab der Polizeigeheimdienst PST eine vorläufige Einstufung bekannt: „Die Vorgänge in Kongsberg werden derzeit als Terrorhandlung eingestuft, aber die polizeilichen Ermittlungen werden die Motive genauer klären.“ Die Polizei beantragte eine Untersuchung des 37-Jährigen auf seine Zurechnungsfähigkeit. Als sicher gilt, dass er allein gehandelt hat. Polizeisprecher Ole Bredrup Sæverud musste eingestehen, dass „vermutlich alle“ Opfer, vier Frauen und ein Mann im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, ihr Leben verloren, nachdem die erste Polizeipatrouille den in einem Supermarkt auf die Kundschaft zielenden Mann schon im Visier hatte.
„Ein unübersichtliche Innenstadt und immer mehr beteiligte Patrouillen“
Er verfügte demnach über mehrere Waffen, beschoss auch die Einsatzkräfte, konnte entkommen und hatte zwischen 18.18 Uhr und der Festnahme um 18.47 Uhr trotz eines immer größeren Polizeiaufgebots genug Gelegenheit zur Tötung der fünf Personen. Zwei weitere Opfer, darunter ein im Supermarkt einkaufender Polizist, kamen mit nicht lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus. So schilderte Sæverud die Gründe für die verspätete Festnahme mit so schrecklichen Folgen: „Ein unübersichtliche Innenstadt und immer mehr beteiligte Patrouillen.“ Kongsberg liegt 85 km westlich von Oslo und hat 30 000 Einwohner.
Das Verbrechen traf Norwegen wenige Monate nach dem zehnten Jahrestag des Bombenanschlags auf das Osloer Regierungsviertel mit acht Toten sowie der darauffolgenden verheerenden Tat: Unmittelbar danach hatte der rechtsradikale Attentäter 69 Mitglieder der Jugendorganisation der Arbeiterpartei bei ihrem Ferienlager auf der Insel Utøya ermordet, ehe er festgenommen werden konnte.
„Beide sind Überlebende von Utøya“
Wie stark dieser Terroranschlag das Land weiter prägt, zeigte gerade auch der Tag nach dem fünffachen Mord in Kongsberg, der nun den Regierungswechsel überschattet. Die abgewählte konservative Ministerpräsidentin Erna Solberg übergab ihr Büro im Amt an den Sozialdemokraten Støre nicht im traditionellen Amtssitz, dem Regierungshochhaus im Herzen von Oslo, weil es nach den schweren Schäden durch den Bombenanschlag am 22. Juli 2011 für immer unbrauchbar leersteht.
Støre wird wie Solberg als Gast vom neu gebauten Verteidigungsministerium aus die Geschäfte führen. Støre zeigte das anhaltende Nachwirken des Massenmordes auf Utøya am Donnerstag auch, als er bei der Kabinettsvorstellung den Wirtschaftsminister Jan Christian Vestre und die Ausbildungsministerin Tonje Brenna heraushob: „Beide sind Überlebende von Utøya. Das zeigt, dass wir weitergekommen sind. Darauf bin ich sehr stolz.“