Kim Jong-un rüstet auf: So gefährlich ist Nordkorea wirklich
Seine Raketen können wohl jedes Ziel in den USA erreichen: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un rüstet immer weiter auf – und lässt sich durch Sanktionen nicht stoppen.
München/Pjöngjang – Ein paar Schritte nur, und sie hätte rübergemacht, so wie einst Donald Trump. Eine gemauerte, nur wenige Zentimeter hohe Linie trennt hier, in der demilitarisierten Zone, Südkorea vom kommunistischen Norden. Anders als der US-Präsident vor vier Jahren, überquerte Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Südkorea die Grenze zum Norden freilich nicht. Wie es da drüben aussieht, das erzählten der deutschen Außenministerin Ende vergangener Woche in Seoul hingegen Flüchtlinge aus dem Norden. Und was das Kim-Regime will, das kann man auch ohne einen Besuch in Pjöngjang in Erfahrung bringen. Denn Nordkoreas Diktator Kim Jong-un schickt verlässlich Botschaften in Richtung Westen, die man kaum missverstehen kann.
„Mit einem donnernden Brüllen“: Nordkorea testet neue Rakete
Zuletzt etwa am vergangenen Donnerstag, nur wenige Tage vor Baerbocks Grenzvisite. Da testete Nordkorea erstmals eine Feststoff-Interkontinentalrakete. Die Rakete vom Typ „Hwasongpho-18“ „stieg in den Himmel auf, mit heftigen Flammen an ihrem Schwanz und einem donnernden Brüllen“, vermeldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA in gewohnt pathetischem Ton. Der Test sei ein wichtiger Schritt, um „Aggressionen abzuwehren und die Sicherheit des Staates zu gewährleisten“, hieß es weiter.
Interkontinentalraketen (ICBM) haben eine Reichweite von mehr als 5500 Kilometern. Besonders fortschrittliche Modelle wie „Hwasong-15“ (13.000 Kilometer Reichweite) und „Hwasong-17“ (wohl mehr als 15.000 Kilometer) dürften in der Lage sein, jedes Ziel auf dem Festland der USA zu erreichen.
Bislang besaß Nordkorea nur Langstreckenmodelle, die mit Flüssigtreibstoff betrieben werden können. Feststoffraketen seien „viel einfacher zu handhaben als Raketen, die mit großen Mengen an giftigem und explosivem flüssigem Raketentreibstoff und Oxidationsmittel betankt werden müssen“, schreibt der Militärexperte Jeffrey Lewis. Der Nuklearexperte Ankit Panda weist allerdings auch darauf hin, dass diese Raketen „gewisse Nachteile in Bezug auf ihre Wartung/Lagerung/Handhabung“ hätten: Feststoffraketen „reagieren empfindlich auf Feuchtigkeit/Temperatur/physikalische Belastung (zum Beispiel beim Transport)“, schreibt Panda. Wie weit die „Hwasongpho-18“ fliegen kann, ist derzeit noch unklar. Bei dem Test vor wenigen Tagen stürzte sie laut südkoreanischem Militär nach rund 1000 Kilometern Flug ins Meer.

Nordkorea: Machtdemonstration durch Raketentests
Der Test war die neueste Machtdemonstration eines Regimes, das zunehmend bereit ist, Grenzen zu überschreiten. Die Erprobung von ballistischen Raketen, zu denen auch Interkontinentalraketen zählen, ist Nordkorea durch UN-Beschlüsse verboten. ICBM können auch mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden. Der Test vom Donnerstag zeige, „dass die strategischen Nuklearstreitkräfte“ Nordkoreas „jederzeit in der Lage sind, ihre wichtige Aufgabe zu erfüllen“, schrieb denn auch KCNA. Zu lesen ist das wie stets als Drohung in Richtung USA und Südkorea. Unklar ist, wie präzise die nordkoreanischen ICBM ihre Ziele treffen können.
Nordkorea hat seit 2006 sechs Atomtests durchgeführt, zuletzt im September 2017. Damals schätze der US-Geheimdienst, dass Nordkorea genug spaltbares Material für den Bau von 60 Atomwaffen besitze – und dass jedes Jahr Material für zwölf weitere Bomben produziert werden könne. Auf Basis dieser Schätzung könnte Kim Jong-un heute also über mehr als 100 Atomwaffen verfügen, darunter eigenen Angaben zufolge auch Wasserstoffbomben. Entwickelt werden aber auch kleinere Atomsprengköpfe, die etwa mit Kurzstreckenraketen transportiert werden können.
Kim Jong-un treibt Nordkoreas Atomprogramm voran
Unter Kim nahm das Nuklearprogramm des Landes an Fahrt auf. Vier der sechs Atomtests führte Nordkorea seit Kims Machtübernahme 2011 durch. Experten erwarten, dass ein weiterer Test jederzeit erfolgen könnte. Denn seit 2021 produziert Nordkorea laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) wieder spaltbares Material. Bereits 2003 war Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgetreten, seit 2009 hat die IAEA keinen Zugang mehr zu den Nukleareinrichtungen des abgeschotteten Landes.
Zuletzt beschleunigte Kim die Erprobung von Raketen in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit. Neben ICBM testet das Regime auch Kurz- und Mittelstreckenraketen sowie Marschflugkörper und Hyperschallwaffen. Seit 2011 ließ Kim mehr als 220 Raketen testen, alleine im vergangenen Jahr mehr als 90 Mal. Sein Vater Kim Jong-il gab hingegen nur 16 Tests in Auftrag, dessen Vater, Staatsgründer Kim Il-sung, nur 15 Tests. Eingerechnet sind dabei auch fehlgeschlagene Versuche, wie aus einer Aufstellung des Council of Foreign Relations hervorgeht.
Für Schlagzeilen sorgte zuletzt der Start einer „strategischen Unterwasser-Nuklearwaffe“, die der staatlichen Propaganda zufolge die Fähigkeit besitzt, „heimlich in operative Gewässer einzudringen und durch eine Unterwasserexplosion einen radioaktiven Tsunami von ungeheurem Ausmaß auszulösen, um Marinestreitkräfte und wichtige operative Häfen des Feindes zu zerstören“. Neben solchem Hightech-Schrecken kann Kim auch auf die viertgrößte Armee der Welt (nach China, Indien und den USA) zugreifen. Von den rund 26 Millionen Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern dienen derzeit mehr als 1,2 Millionen im Militär, hinzu kommen 600.000 Reservisten.
Wirken die Sanktionen gegen Nordkorea? China und Russland melden Zweifel an
Fast ein Viertel der Wirtschaftsleistung des bettelarmen Landes fließt US-Schätzungen zufolge in Militär und Rüstung. Finanziert werden damit wohl auch chemische und biologische Waffen. Außerdem investiert Pjöngjang zunehmend in seine Cyber-Fähigkeiten.
Um Nordkoreas Nuklearprogramm auszubremsen, wurde Pjöngjang mit einer Vielzahl an Sanktionen belegt, die beispielsweise den Außenhandel des Landes empfindlich einschränken sollen. Im Mai vergangenen Jahres sollte der Druck auf Pjöngjang noch weiter erhöht werden, ein entsprechender Vorstoß im UN-Sicherheitsrat scheiterte allerdings am Veto von China und Russland. Zum ersten Mal seit 2006 beteiligten sich die beiden Staaten nicht an UN-Strafmaßnahmen gegen ihr Nachbarland, weil diese nicht zielführend seien, wie es von den Vertretern Chinas und Russlands hieß. Wichtiger sei vielmehr der Dialog mit Nordkorea. Erst in der vergangenen Woche hatte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in einer Botschaft an Kim seine „Bereitschaft ausgedrückt, die bilaterale Freundschaft und Zusammenarbeit auf eine höhere Stufe zu heben“, wie KCNA berichtet.
Im März dieses Jahres klagte die Vertreterin der USA bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, die Haltung der Chinesen und der Russen ermutige Nordkorea, „ungestraft ballistische Raketen abzuschießen“ und die Entwicklung hoch entwickelter und gefährlicher Waffen voranzutreiben. Die USA wiederum starteten am Montag zusammen mit Südkorea ein zweimal im Jahr stattfindendes Militärmanöver, bei dem zehn Tage lang die Zusammenarbeit der Luftwaffe der beiden Staaten geübt werden soll. Für Kim Jong-un eine Provokation vor der eigenen Haustür.
G7-Staaten kündigen „schnelle Reaktion“ auf Nordkoreas Waffentests an
Nachdem Außenministerin Baerbock am Wochenende die Grenze zu Nordkorea besucht hatte, flog sie weiter nach Japan, zum Treffen der Außenministerinnen und -minister der G7. In einer gemeinsamen Erklärung forderten Baerbock und ihre Kollegen Nordkorea auf, von weiteren Atomwaffentests sowie der Erprobung ballistischer Raketen abzusehen. Andernfalls werde eine „schnelle, geeinte und robuste internationale Reaktion“ folgen. Abschrecken lassen dürfte sich Kim Jong-un von solchen Worten freilich nicht. Für ihn sind seine Waffen eine Überlebensgarantie in einem internationalen Umfeld, das er als feindlich ansieht. Seine nuklearen Trümpfe dürfte er also kaum aus der Hand geben.