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Nordirland: Brandanschläge auf Busse – Streit über Brexit-Zusatzprotokoll

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Von: Sebastian Borger

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Ein ausgebrannter Bus in Nordirland.
Ein ausgebrannter Bus in Nordirland. © David Young/dpa

Der zweite Überfall und Brandanschlag auf einen Bus in Nordirland verdeutlicht die gefährlich gespannte Lage. Der Streit über das Brexit-Zusatzprotokoll hält an.

Newtownabbey – Maskierte Männer haben am Sonntag (07.11.2021) im nordirischen Newtownabbey einen Doppeldecker überfallen. Die vier Täter befahlen den Passagieren und dem Fahrer auszusteigen, anschließend steckten sie das Fahrzeug in Brand und verschwanden.

Der zweite derartige Überfall binnen einer Woche verdeutlicht die gefährlich gespannte Lage im britischen Teil der grünen Insel. Seit Monaten schürt Großbritannien den Konflikt über das sogenannte Nordirland-Protokoll. In London wird erwartet, dass die konservative Brexit-Regierung von Premier Boris Johnson noch diesen Monat die Verabredung mit der EU suspendiert. Brüssel droht mit umgehenden Sanktionen.

Nordirland: Streit über das Brexit-Zusatzprotokoll hält an

Wie beim Brandanschlag auf einen Linienbus in Newtownards am Montag vor einer Woche tappt die Polizei einstweilen im Dunkeln. Man ermittle in alle Richtungen, hieß es bei der Kripo. Allerdings deuten alle Anzeichen darauf hin, dass es sich bei den Tätern um protestantische Loyalisten („loyal gegenüber der Krone“) handelt.

Während des blutigen Bürgerkriegs mit mehr als 3000 Toten hatten sich Loyalisten in der Terrortruppe UVF zusammengetan. Ein früherer UVF-Kommandeur, Billy Hutchinson, führt jetzt die kleine Partei PUP. Gegenüber der in Dublin erscheinenden Irish Times pochte der 66-Jährige auf die „absolute Gewaltfreiheit“ seiner Partei, sprach aber davon, das „unerträgliche und schädliche“ Protokoll müsse verschwinden.

Brexit-Vertrag: Einfuhrkontrollen zwischen Nordirland und der Hauptinsel

Die entsprechende Vereinbarung ist Teil des britischen EU-Austrittsvertrags. Sie sollte der besonderen Geschichte und Geographie Nordirlands gerecht werden, nämlich einerseits die kaum noch vorhandene Landgrenze zur Republik im Süden offenhalten und andererseits die territoriale Integrität des Königreiches wahren. Weil die konservative Regierung von Premierminister Boris Johnson einen harten Bruch mit Binnenmarkt und Zollunion herbeiführte, Brüssel aber auf die Integrität des Binnenmarktes pocht, wurden zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel Zoll- und Einfuhrkontrollen fällig.

Die EU-Behörden hatten die neuen Vorschriften zu Beginn des Jahres überaus kleinlich ausgelegt und sich damit den Unmut auch vieler Europa-freundlicher Iren zugezogen. Unter anderem geriet zeitweise die Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten in Gefahr; auch fehlten in vielen Supermarkt-Regalen die gewohnten Waren.

Brexit-Vertrag: London forderte Neuverhandlung über Nordirland

London reagierte darauf zunächst mit der Verlängerung von Übergangsfristen und legte im Sommer einen Forderungskatalog vor, der eine Neuverhandlung über Nordirland zur Folge hätte. Kommt nicht infrage, antwortete Brüssel und machte im Oktober weitreichende Zugeständnisse an die Praxis vor Ort, ohne aber am Vertragstext zu rütteln.

Man dürfe „nicht naiv“ sein, argumentiert Dublins Außenminister Simon Coveney: Die Brexit-Regierung sei dazu entschlossen, das Protokoll aufzukündigen. Für diesen Fall hat Brüssel „ernste Konsequenzen“ in Aussicht gestellt. Von britischer Seite habe es „keinerlei Bewegung“ der festgefahrenen Verhandlungsposition gegeben, klagte EU-Vizekommissionschef Maros Sefcovic nach der jüngsten Gesprächsrunde vergangenen Freitag. Der britische Brexit-Unterhändler David Frost gab sich ungerührt: Wenn die Kommission dem Forderungspapier vom Juli Aufmerksamkeit schenke und „die Situation in Nordirland betrachtet“, könne man „vielleicht“ vorankommen.

Freilich klafft die Einschätzung der Lage vor Ort so stark auseinander wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die protestantisch-unionistischen Parteien, angeführt von der schwer angeschlagenen DUP, haben sich vereint unter dem Slogan „Das Protokoll muss weg!“ Dass dies automatisch Kontrollen an der irischen Landgrenze zur Folge hätte, nehmen sie in Kauf – ein Unding für die nationalistisch-katholischen Parteien, denen der Zusammenhalt mit dem Rest der eigenen Insel über die Staatsgrenze hinweg wichtiger ist als die Verbindung mit Großbritannien. Die konfessionsübergreifende Allianz-Partei setzt unverdrossen auf eine pragmatische Weiterentwicklung der Bestimmungen im Protokoll. (Sebastian Borger)

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