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Nicaragua: Ortegas Rundumschlag gegen die Demokratie – Oppositionsführerin Chamorro verurteilt

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Von: Klaus Ehringfeld

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Kurz vor ihrer Festnahme: Ende Mai 2021 spricht Cristiana Chamorro zur Presse. Foto: INTI OCON/AFP.
Kurz vor ihrer Festnahme: Ende Mai 2021 spricht Cristiana Chamorro zur Presse. © AFP

Der einstige Revolutionär Daniel Ortega verwandelt Nicaragua in einen Unterdrückungsstaat – das zeigt auch die Verurteilung seiner Widersacherin Cristiana Chamorro. Sein Vorgehen bleibt nicht folgenlos.

Anfang dieser Woche traf es dann auch Cristiana Chamorro. Acht Jahre muss die Politikerin und Grande Dame der nicaraguanischen Opposition ins Gefängnis. Warum? Weil sie es gewagt hatte, Machthaber Daniel Ortega bei der Präsidentenwahl Ende vergangenen Jahres herauszufordern. Offiziell heißen die Urteilsgründe: „Geldwäsche, Veruntreuung und Unterschlagung, Misswirtschaft und Täuschung“. Allesamt erfundene und absurde Vorwürfe.

Rechtsstaatliche Urteile aber kann man in dem kleinen zentralamerikanischen Staat nicht mehr erwarten, seit Ortega Nicaragua in einen Unterdrückungsstaat verwandelt hat. Der ehemalige Revolutionär war von 1985 bis 1990 Präsident und regiert nun schon wieder seit 2007. Und das fast so grausam und zunehmend diktatorisch wie der damalige Diktator Anastasio Somoza, den Ortega und seine Sandinistische Befreiungsfront 1979 von der Macht vertrieben. Seit 2017 führen er und seine Frau Rosario Murillo das Land gemeinsam als Präsident und Vizepräsidentin. Nicaragua, vor einem halben Jahrhundert mal Projektionsfläche linker Utopien, ist zu einer schäbigen Familiendiktatur verkommen.

Nicaragua: Chamorro wird in berüchtigtem Gefängnis verurteilt

Seit Februar laufen die Prozesse gegen Oppositionspolitikerinnen, Studentenführer und ehemalige Präsidentschaftskandidat:innen unter fadenscheinigen Vorwürfen. Dora María Téllez, eine der bekanntesten Kämpferinnen der Revolution, wurde wegen Verschwörung zu acht Jahren Haft verurteilt. Lesther Alemán, der Studentenführer, der Ortega während der Proteste 2018 vor laufenden Kameras zum Rücktritt aufforderte, verbüßt eine dreizehnjährige Haftstrafe.

Hugo Torres, der Ortega in den 1970er Jahren aus Somozas Gefängnis befreite, starb Mitte Februar nach Monaten Kerkerhaft. Auch er hatte sich vom Machthaber abgewendet. Der berühmte Schriftsteller Sergio Ramírez, einst Ortegas Vizepräsident, floh angesichts eines Haftbefehls nach Spanien.

Wie bei den vorhergehenden Prozessen gegen seine politischen Kontrahenten ließ Ortega auch Cristiana Chamorro nicht im Gericht, sondern hinter verschlossenen Türen im noch aus Somoza-Zeiten berüchtigten Gefängnis „El Chipote“ aburteilen. Dort werden die politischen Gefangenen nach Angaben von Familienangehörigen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und misshandelt.

Nicaragua: Chamorro entstammt bekannter Familie

Festgenommen wurde Christiana Chamorro im Juni 2021, nachdem sie ihre Präsidentschaftskandidatur verkündet hatte. Die 68-Jährige vereinte die Opposition gegen Ortega hinter sich und stellte für den Autokraten und seine Frau eine veritable Bedrohung dar. Chamorros Familie gehört zu den bekanntesten in Nicaragua, auch dank des moralischen Erbes ihrer Eltern: des Journalisten Pedro Joaquín Chamorro, der 1978 von Schergen der Somoza-Diktatur ermordet wurde, und ihrer Mutter, der Ex-Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro, die 1990 Ortega an der Urne besiegte.

Personenkult zur vierten Amtszeit: Ein T-Shirt zeigt Präsident Ortega und seine Frau und Vertreterin Rosario Murillo. Foto: Oswaldo RIVAS/AFP.
Personenkult zur vierten Amtszeit: Ein T-Shirt zeigt Präsident Ortega und seine Frau und Vertreterin Rosario Murillo. © AFP

Das Nicaraguanische Zentrum für Menschenrechte Cenidh bezeichnet Chamorros Verurteilung als „politisch“. Gleichzeitig kritisiert die Organisation, dass die Justiz ihr neben der Haftstrafe noch „Millionenstrafen in Córdoba und Dollar auferlegt hat, die unmöglich zu zahlen sind“. Sollten sie in Haft umgewandelt werden, käme das einer lebenslangen Haft gleich, warnte Cenidh. Amnesty International kritisiert die Willkür der Verfahren. Es sei deutlich, dass Ortega und seine Regierung die Justiz „gefangen genommen“ hätten, sagt die Amerika-Direktorin Erika Guevara Rosas.

Die Regierung in Managua geht auch weiter gegen zivilgesellschaftliche Organisationen vor. Zwischen November 2018 und März 2022 wurden mehr als einhundert Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Gruppen verboten, die sich in den Bereichen Menschenrechte und Demokratiebildung engagierten. Zuletzt traf es auch das „Centro Humboldt“ und weitere 24 gemeinnützige Organisationen. Das „Centro Humboldt“, Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung, hat sich mehr als 30 Jahre für Familien eingesetzt, die unter den Folgen des Klimawandels leiden.

Nicaragua: „Anhaltende, brutale Repression durch das Ortega-Regime“

„Die anhaltende, brutale Repression durch das Ortega-Regime erreicht mit diesem Rundumschlag gegen die demokratische Zivilgesellschaft einen weiteren, traurigen Höhepunkt und findet nicht zufällig im Windschatten von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine statt“, kritisiert Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht.

Stalinistische Machthaber wie Ortega und Venezuelas Präsident Nicolás Maduro geraten inzwischen unter den neuen linken Präsidenten Lateinamerikas ins Abseits. Stellvertretend dafür steht der chilenische Präsident Gabriel Boric, der Ortegas Wahl undemokratisch nannte und Partei für die Opposition ergreift. „Meine Solidarität gilt Sergio Ramírez, Dora María Téllez, Cristiana Chamorro und all den Menschen, die Widerstand leisten.“ Zu seiner Amtseinführung am 11. März lud Boric nicht Ortega ein, sondern den Schriftsteller Sergio Ramírez.

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