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Neofaschist auf dem Weg ins Präsidentenamt – Erinnerung an Chiles dunkle Zeit

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Von: Klaus Ehringfeld

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Der deutschstämmige Rechtsaußen-Kandidat José Antonio Kast kommt bei der ersten Runde der Präsidentenwahl in Chile auf gut 28 Prozent der Stimmen.
Der deutschstämmige Rechtsaußen-Kandidat José Antonio Kast kommt bei der ersten Runde der Präsidentenwahl in Chile auf gut 28 Prozent der Stimmen. © Esteban Felix/dpa

José Kast, Fan der Pinochet-Diktatur, gewinnt überraschend die erste Runde der Präsidentenwahl in Chile – nun stehen das südamerikanische Land vor turbulenten Wochen.

Bei der Präsidentenwahl in Chile hat die Rechte einen überraschenden Sieg erzielt. Der neofaschistische Kandidat José Antonio Kast ging in der ersten Runde am Sonntag als Erster durchs Ziel und hat nun gute Chancen, kurz vor Weihnachten zum Nachfolger von Sebastián Piñera gewählt zu werden. Der 55-Jährige kam auf knapp 28 Prozent der Stimmen. Auf dem zweiten Platz liegt mit knapp 26 Prozent der Linkskandidat Gabriel Boric, der lange als sicherer Sieger galt. Der 35-Jährige tritt für ein Linksbündnis an, zu dem auch die Kommunistische Partei gehört. In seinem Programm finden sich viele der Forderungen wieder, die bei der Rebellion 2019 von Chilen:innen erhoben wurden, die wochenlang auf die Straßen gingen und zum Teil gewaltsam ein neues Sozial- und Wirtschaftsmodell forderten.

Eine Stichwahl zwischen Kast und Boric war von den meisten Analysten vor der Wahl für möglich gehalten worden, aber kaum jemand hatte damit gerechnet, dass der Sohn eines emigrierten Wehrmachtsoffiziers so eine hohe Zustimmung bekommen würde. „Es ist eine massive Gegenreaktion“, sagt Claudia Heiss, Politikwissenschaftlerin an der Universidad de Chile, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Er verspricht eine Rückkehr zur Normalität mit mehr Sicherheit und der Wiederherstellung der Ordnung.“ Chile habe seit dem Ausbruch des Aufstands viele „kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg gebracht oder umgesetzt, die einem Teil der Bevölkerung Angst machen“, unterstreicht Heiss.

Wahl in Chile: Konservative und rechte Kandidaten haben stark abgeschnitten

Kast hat nun auch im Blick auf die Stichwahl bessere Chancen, am 19. Dezember gewählt zu werden. Konservative oder rechte Kandidat:innen haben bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl insgesamt stark abgeschnitten. Zum einen hat der undogmatische Rechtspopulist Franco Parisi mit 13 Prozent ein überraschend hohes Ergebnis als Drittplatzierter geholt. Seine Stimmen gehen in ihrer Mehrheit eher zu Kast. Zudem wurde auch im gleichzeitig neu gewählten Senat die Rechte gestärkt.

Der große Verlierer vom Sonntag ist Gabriel Boric. In Chile hat noch nie ein Zweitplatzierter eine Entscheidungsrunde gewinnen können. Ihm ist zum einen zum Verhängnis geworden, dass ein Großteil der Linken und jungen Chilen:innen ihn als zu nah an der politischen Elite und zu kompromissbereit beim Versuch wahrnimmt, politische Allianzen zu schmieden.

Zudem sind Hunderttausende Wähler:innen Kasts Diskurs gefolgt, der im Wahlkampf immer von der Entscheidung zwischen „Freiheit und Kommunismus“, zwischen „Frieden und Terrorismus“ schwadronierte. Vermutlich wählten ihn all diejenigen, die in den vergangenen umwälzenden Jahren stillhielten, aber Angst vor zu großen Veränderungen haben. Der große konservative Teil des Landes fürchtet eine linke, junge Regierung und eine neue, moderne Verfassung. Ein Sieg von Kast in vier Wochen würde auch die Suche nach einer neuen Magna Charta in Gefahr bringen. Er würde als Präsident alle Kräfte gegen die Verfassunggebende Versammlung mobilisieren, die derzeit tagt und bis zum Sommer ein neues Grundgesetz ausarbeiten soll.

Harter Wahlkampf: Chile stehen turbulente Wochen bevor

José Antonio Kast wurde lange Jahre als ultrarechter Spinner kaum ernst genommen. Bei der Präsidentenwahl vor vier Jahren holte er acht Prozent und machte mit dem Satz auf sich aufmerksam: „Wäre Pinochet noch am Leben, würde er für mich stimmen.“ Kast hält die Zeit der Diktatur unter Augusto Pinochet (1973 bis 1990) noch immer für die beste Phase seines Landes. Ansonsten vertritt er Positionen, die rückwärtsgewandt sind und diametral den Forderungen der Rebellion von 2019 entgegenstehen.

In kulturellen Fragen steht Kast für das, was der peruanische Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa eine „höhlenartige Rechte“ nennen würde, die allergisch auf sexuelle und familiäre Vielfalt, die Gender-Agenda und Abtreibung reagiert. Seine Diagnose des Aufstands von 2019 ist ein Law-and-Order-Diskurs eines Staates, der sich gegen „Vandalen“ nicht mehr durchsetzen kann. In Kasts Reden kommen immer die Dauerthemen einer harten Rechten vor: nationale Einheit, Respekt vor der Tradition und – besonders typisch für Chile – die Reduzierung der Rolle des Staates.

Chile stehen jetzt vier turbulente Wochen ins Haus, in denen ein harter Wahlkampf zwischen einer neofaschistischen Rechten und einer undogmatischen Linken geführt werden wird. Kast hat mit seiner Rede am Sonntagabend den Markstein gesetzt, indem er Boric direkt angegriffen und ihn für den Anstieg der Kriminalität, des Drogenhandels und für die institutionelle Krise verantwortlich gemacht hat. Sollte Kast Präsident werden, dann stehen Chile noch mehr sozialer Aufstand und vermutlich Gewalt ins Haus. Dann geht das von vorne los, was vor genau zwei Jahren als Protest auf der Straße aufgebrochen ist und so exemplarisch politische Ergebnisse erzielt hat.

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